Was zählt:Fragwürdige Methoden

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IOC-Präsident Avery Brundage 1972 im Münchner Olympiastadion. (Foto: dpa)

Entwicklungshilfe und Einladungen für IOC-Mitglieder - bei der Vergabe der Spiele geht es nie nur um den Sport

Von Thomas Kistner, München

Es ist auch manches verklärt worden um München 1972. Vielleicht, weil diese zweiten Sommerspiele im Lande ja stets mit den ersten verglichen wurden, den düsteren Nazi-Spielen 1936 in Berlin. Jedenfalls blieben zentrale Hintergründe des Events lange im Dunkel des Vergessens. Denn München setzte auch im Hinblick auf manche fragwürdige sportpolitische Tendenz Maßstäbe. Ein korruptionsverdächtiges Buhlen um die Sportfunktionäre in der Bewerbungsphase gehörte ebenso dazu wie der Kotau vor dubiosen Sportführern. Und als die Party vorbei war, kam der Weckruf für die Steuerzahler: 600 Millionen Mark Mehraufwand.

Der Kandidat München lag stets gut im Rennen. Was sich nicht nur der Nähe des deutschen Chefolympiers Willi Daume zum damaligen IOC-Präsidenten Avery Brundage verdankte, sondern auch dessen Faible für ein Deutschland, "das nicht mehr existierte", wie die britischen Historiker Kay Schiller und Christopher Young in ihrem Buch "München 1972: Olympische Spiele im Zeichen des modernen Deutschland" festhielten. Der Amerikaner Brundage war schon 1936 ein glühender Fan der Berlin-Spiele gewesen. Für diese hatte er sogar trickreich den geplanten Boykott der US-Athleten verhindert. Später, als IOC-Boss seit 1952, soll Brundage den Geist des untergegangenen Systems weiter gepflegt haben. Daume selbst berichtete dies nach einem Besuch in Brundages Privatclub in Chicago. Man traf sich unterm Dach eines jener gewaltigen Hochhäuser, die der Baulöwe mitkonstruiert hatte, und Daume sah entsetzt, wie "Männer mit Uniformen und Armbinden wie die SS ein und aus gingen".

Funde im Holocaust-Archiv des amerikanischen Simon Wiesenthal Center offenbaren, dass Brundage von den Berlin-Spielen, in bester olympischer Tradition, auch finanziell zu profitieren suchte. Im Archiv fand die New York Times einen Briefwechsel, in dem Brundage die Zusage der Nazis für den Neubau der deutschen Botschaft in Washington erhielt. "Beglückt", schrieb Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten, "darf ich Ihnen mitteilen, dass mir sowohl der deutsche Außenminister als auch Generalbauinspekteur Speer erklärt haben, dass Sie teilnehmen werden." Nicht an Olympia, sondern am Bau des Botschaftsgebäudes. Geschäftsfilz mit Tradition: So schließen sich die Ringe.

Auf andere, ebenfalls vertraute Spuren stießen die Historiker Young und Schiller. Zwar wachte Brundage puritanisch über die Einhaltung der Amateurregel im Sport - dass ihm Daume vor der Wahlsession in Rom anzeigte, München wolle Sportler in Afrika finanziell und technisch unterstützen, nahm er allerdings ebenso hin wie bayerische Einladungen an einige IOC-Leute, die auf dem Weg zur Kür nach Italien noch kurz in München vorbeischauen durften. Dabei waren solche Visiten laut IOC-Reglement schon 1964 untersagt - nachdem es Gerüchte gegeben hatte, dass Tokio bei der IOC-Session 1959 in München (wo die Spiele 1964 vergeben wurden) Prostituierte angeheuert haben soll.

Die Sporthistoriker förderten in ihrer preisgekrönten Arbeit noch mehr Brisantes zur München-Bewerbung ans Licht: Dokumente aus jener Zeit, die darlegen, dass die Bundesregierung Marokko einen dreistelligen Millionbetrag als Entwicklungshilfe in Aussicht gestellt habe. Der marokkanische IOC-Mann soll München sein Votum und das dreier weiterer afrikanischer Kollegen avisiert haben. Das, findet Young, könne als Bestechung zu werten sein.

Sportpolitische und immer stärker wirtschaftliche Interessen haben die Spiele-Vergabe stets beeinflusst. Diese Erkenntnis begründet heute Misstrauen und Überdruss in vielen westlichen Ländern - auch in München, wo eine Bewerbung um die Winterspiele 2022 schon am Bürgervotum scheiterte. Der Blick auf die nächsten drei Events nach den Rio-Spielen im August zeigt, dass die Spiele dauerhaft in Fernost angedockt haben: Auf Südkorea 2018 folgen Tokio 2020 und Peking 2022.

Im Weltsport geht es um Machtpolitik und ökonomische Argumente, nachrangig ist die Eignung der Kandidaten. So verhält es sich auch mit der Fußball-WM: Hier stehen die nächsten Turniere in Russland und in Katar an. Das Emirat ist halb so groß wie Hessen, hat so viele Staatsbürger wie Wuppertal Einwohner und schätzt Fußball gleich nach Kamelrennen und Falkenjagd. Warum bei der Kür 2010 die Fifa-Vorstände um Sepp Blatter so heiß auf eine Wüsten-WM waren, das ermittelt nun das FBI.

Läuft eine Kandidatur um Olympia oder Fußball-WM, werden Tausende Seiten dicke Bewerbungsbücher und strenge Prüfberichte erstellt, Kommissionen durchpflügen die Kandidatenländer; es wird gecheckt, gebohrt, verhört. Das Resultat kümmert am Ende kaum einen Sportfunktionär. Die wenigen, die auf solche Benotungen achten, fallen nicht ins Gewicht, im IOC stimmen rund 110 Mitglieder ab. Wie alibihaft die Prüfberichte sind, zeigt der Umstand, dass nie der sportlich-technisch beste Kandidat gewann. Und auch der, dass in den obskuren Agentenkreisen um die Bewerberstädte und -länder stets dieselben Leute agieren; mit pikanten Dossiers zu den Neigungen von Wahlleuten.

Von Avery Brundage übrigens blieb damals nicht seine politische Haltung im Gedächtnis, sondern die Worte, die er nach dem Terroranschlag ins Münchner Stadionmikrofon rief: "The games must go on!" Wer genau hinhörte, dem fiel auf, dass er seine Antwort in die Aussage einbettete, dass die Spiele "Gegenstand von zwei wilden Attacken" geworden seien. Diese zweite Attacke bezog der IOC-Chef auf den Protest afrikanischer Länder gegen die Olympiateilnahme Rhodesiens. Ein Protest, der ganz friedlich war.

© SZ vom 26.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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