Katholische Kirche:Der Kirchenmann, der gegen den Muff unter den Talaren eintrat

Kommunisten waren Abt Notker Wolf suspekt, von der Musik von Steve Morse von Deep Purple ließ er sich anstecken.

Kommunisten waren Notker Wolf suspekt, aber von der Musik der 68er ließ er sich anstecken. Auch mit Steve Morse von Deep Purple hat er schon gespielt.

(Foto: Daniele Purrone/dpa/oh)

Abt Notker Wolf ist kein politischer 68er. Zu einer Demo wäre er nie gegangen. Aber der Geist der Befreiung hat auch ihn angesteckt - und die Musik der Rolling Stones.

Von Karl Forster

Einen wie ihn hätten sie gut gebrauchen können, damals im Jahr 1968, als sie daran gingen, dem Establishment den Kampf anzusagen. Als sie an den Universitäten den Professoren die Hölle heiß machten und auf den Straßen für Rabatz sorgten. Doch der Schneidersohn Werner Wolf, 1940 im schwäbischen Grönenbach geboren und nun auf den Mönchsrufnamen Notker hörend, hatte einfach keine Zeit zum Demonstrieren.

Und, so sagt er heute, auch keine rechte Lust - aus gutem Grund. "Die haben da immer wieder 'Ho Ho Ho Chi Minh' gerufen. Und da hab' ich mich schon gefragt: Wissen die eigentlich, was dieser Ho Chi Min so treibt? Wissen die, wie viele Menschen der auf dem Gewissen hat?" Der Benediktinermönch Notker Wolf wird später in seinem Orden eine beispiellose Karriere machen, er wird mit Deep Purple auf der Bühne musizieren, und er wird sich bis heute treu bleiben im Kampf um die Freiheit des Menschen und für Gerechtigkeit. Doch auf die Straße gehen wollte er damals nicht.

Dabei hätte er wirklich gut dazu gepasst. Nicht nur, weil er "gerne Bömbchen legt", was natürlich nur metaphorisch gemeint ist; nicht nur, weil er schon während des Zweiten Vatikanischen Konzils gelernt hat, wie man auch mit harten Gegnern so diskutiert, dass man Gehör findet. Gerade zurück aus dem Think Tank der Benediktiner, aus der ordenseigenen Hochschule Sant' Anselmo in Rom, wo Notker Wolf sein Lizenziat in Philosophie abgelegt hatte, war er nun an der Ludwig-Maximilians-Universität eingeschrieben, um sein Theologiestudium abzuschließen und sich auf die Priesterweihe vorzubereiten.

Doch Notker Wolf hatte noch viele andere Interessen. Er studierte nebenbei Psychologie und Zoologie. Und war als diskussionserfahrener Exot ein äußerst beliebter Gesprächspartner bei den Kommilitonen. "Die brachten mir sogar das Essen in der Mensa an den Tisch, damit sie mit mir ratschen konnten", sagt er. Im Fach Anorganische Chemie steckte er dann das Uni-eigene Labor nahezu in Brand, weil er Kalium-Permanganat mit hochprozentigem Alkohol vermischte. "Da hat es Bumm gemacht!"

Und dann war da noch das Fach Astronomiegeschichte. Was das denn, bitte, sei? "Nun ja", sagt da Abt Notker Wolf und kriegt auch heute noch, als 77-jähriger Emeritus, leuchtende Augen, "da ist zum Beispiel die Geschichte der chinesischen Astronomie, oder die der alten Griechen und Ägypter, da war schon was los!" Und man sieht diese Lust, jetzt loszulegen und zu erzählen, wie sie die Sterne damals gesehen haben.

Statt zu protestieren hat er Kliniken gebaut

Aber darum soll es ja heute nicht gehen. Sondern darum, wie sehr die Zeit um 1968 die Gesellschaft verändert hat. Und wenn da ein weltweit renommierter Kirchenmann von sich sagt, er habe schließlich "Selbstbewusstsein und Autonomie gelernt" und sei natürlich "gegen den Muff unter den Talaren" eingetreten, könnte es sein, dass er, im Nachhinein betrachtet, doch ein nicht unwesentlicher Teil dieser Veränderung gewesen ist. Auch wenn er nicht mitmarschierte und auch keine Mao-Bibeln verteilte. "Mao-Bibeln? Das war doch eine gewaltige Heuchelei. Der war da gerade mit der Kulturrevolution zu Gange. Und die hatte zig Tausenden von Menschen das Leben gekostet. Von Not und Leid will ich gar nicht sprechen."

Der junge Mönch Notker Wolf war dann im Protestjahr 1968 zum Priester geweiht worden. Es war ein Berufswunsch, der seit dem 14. Lebensjahr klar war. Der junge Werner Wolf hatte von einem Missionar gelesen, der auf einer Südseeinsel wirkte. Und da wusste er: Das will ich auch.

Das mit dem Missionieren hat dann nicht geklappt, weil er zu schmächtig war. "Das hältst Du nicht aus", beschieden ihm seine Mitbrüder. Und so wurde er halt deren Chef. Trotzdem weiß Abt Notker Wolf, wovon er spricht, wenn er über Not und Leid und Tod in der Welt nachdenkt und über den Kampf gegen Diktaturen und Ungerechtigkeit.

Er fand es sinnvoller, nach Maos kulturrevolutionärem Desaster mit seinem Orden in China ein Krankenhaus mit 500 Betten zu errichten, statt dessen Bibeln in München zu verteilen; er half auch, eines in Nordkorea mit aufzubauen; er ist dann, als Erzabt von St. Ottilien, anno 2000 Abtprimas der Missionsbenediktiner geworden, also deren oberster Repräsentant weltweit, für 17 Jahre. Ein Mann mit Gewicht auch in Rom, wo er in den Siebzigern nicht nur viele Jahre in Sant' Anselmo als Professor wirkte (mit Vorlesungen auch in lateinischer Sprache).

Im Vatikan galt er als Globetrotter

Als Student in Rom erlebte er aus nächster Nähe die Diskussionen des großen Konzils, das Jahre vor der 68er-Bewegung, von 1962 bis '65, den Wandel in der katholischen Kirche einläutete. Und wenn er heute im Vatikan auf Papst Franziskus trifft, kann es schon passieren, dass dieser ihm fröhlich zuruft: "Ach, da ist er ja wieder, unser Globetrotter." Worauf Notker Wolf zu antworten pflegt: "Heiliger Vater, Sie machen es mir ja immer wieder nach."

Er ist, das spürt man schon nach den ersten Sätzen, ein großer Verehrer des amtierenden Papstes Franziskus. Das liegt zum einen an dessen sogar Nichtkatholiken beeindruckender Weise, sein Amt zu führen. Das liegt aber auch an Abt Notkers ebenso glühend geführtem Kampf für die Befreiung des Menschen aus jedweder Bevormundung. Und aus jenem Kontinent, aus dem Papst Franziskus stammt, aus Südamerika, erwuchs in den frühen Sechzigerjahren die Befreiungstheologie als "Stimme der Armen". Namen wie Leonardo Boff, Ernesto Cardenal, Camilo Torres sind heute noch ein Begriff.

Zwar gefiel Wolf nicht alles an der Befreiungstheologie. "Vor allem, dass man der Armut eine Art Seligsprechung verlieh", sagt Abt Notker heute. Er habe selbst in Afrika und anderswo erlebt, dass es auch unter den Armen zum Teil schreckliche Hierarchien gebe. Armut macht also nicht unbedingt bessere Menschen, "ganz im Gegenteil".

Trotzdem sah sich Notker Wolf, als oberster Benediktiner mit den Nöten der Welt vertraut, immer wieder in der Rolle des kämpferischen Verteidigers der Freiheit des Individuums. Zum Beispiel, wenn er mit dem Grünen-Politiker Daniel Cohn-Bendit auf der Bühne diskutierte und diesem vorwarf, nie habe er, der Mönch, so viel Bevormundung erlebt wie bei der 68er-Bewegung, auch der Frauen.

Aber auch innerhalb seiner Kirche sieht er sich als Verteidiger der Freiheit. Etwa dort, wo man Geschiedenen das Sakrament der Kommunion verweigert. "Das ist doch die individuelle Entscheidung der Eheleute!" Und da hat er einen Gegenspieler längst ausgemacht: den emeritierten Papst Benedikt XVI, vormals Kardinal der Diözese München-Freising und noch früher - zu jener Zeit, als Notker Wolf Theologie und vieles mehr studierte - ein eigentlich modern denkender Theologieprofessor zu Regensburg, worüber Abt Notker heute nur sagt: "Der ist halt aus Tübingen geflohen. Der Küng aber hat es dort ausgehalten."

Kirchenmann mit Hang zur Rockmusik

Hat Hans Küng, der aufmüpfige Kirchenkritiker, in Abt Notker Wolf gar einen heimlichen Fan? Als Theologen schätzt er ihn zumindest genauso wie den ehemaligen Papst aus Deutschland. Und er findet klare Worte zum späteren Wirken des Mannes aus Marktl am Inn: "In der Bergpredigt heißt es: 'Ich aber sage Euch, dass Ihr nicht schwören sollt. Euer Wort sei: ja ja, nein, nein. Was darüber ist, ist von Übel.' Und dann verlangte Ratzinger immer wieder neue Schwüre zum Glauben. Kann man denn die Heilige Schrift so außer Kraft setzen?" Dann sagt er leise, aber sehr überlegt, Ratzinger habe "vielleicht kein Vertrauen in die Menschen". Ein Vorwurf, der erst bei längerem Nachdenken sein volles Gewicht entwickelt.

Neben seinem Hang zu klaren Worten hegt der Mönch auch noch eine Liebe zur Rockmusik. Früh schon habe er Geige gelernt, erzählt er, dann sei der Querflötist im gymnasialen Orchester abgegangen, also lernte er dieses Instrument, später noch Gitarre. Dann kamen die Beatles - die interessierten ihn nicht, sagt er, "das war wie Schlagermusik", und singt ein paar Takte aus "Yellow Submarine".

Die Rolling Stones aber sind bis heute die Nummer eins in seinem Herzen. Mit seiner Band Feedback spielt er deren Musik noch immer, neben Deep Purple oder Led Zeppelin, und auch Selbstgeschriebenes seiner Band. Und einer von den ganz frühen Songs der Stones dient ihm gar als eine Art Lebensmotto. Er hat sich den Text extra noch einmal ausgedruckt. Nein, nicht "Street Fighting Man", sondern: "I'm free to do what I want any old time."

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