Wandel der Sendlinger Straße:Ausverkauf der Strumpfhalter

Adelinde Dilz verkauft seit mehr als 60 Jahren Damendessous in der Sendlinger Straße, nun geht die 75-Jährige in Rente. Kein Einzelfall: Traditionsläden weichen Ketten und neuen Geschäften. Und die Stadt will die Fußgängerzone noch weiter ausdehnen

Von Thomas Anlauf

Das Schild weist in die Vergangenheit. "Lewandowski Korsetten" steht über dem Eingang zum kleinen Laden an der Sendlinger Straße 62. Eine in blauer Unterwäsche bekleidete Dame ist auf der Reklametafel zu sehen, die dem Betrachter den Rücken zuwendet. Auf Höhe der Strumpfhalter steht in roter Schrift "Seit 1885". Das kleine Geschäft im Eckhaus am Sendlinger Tor ist das Reich von Adelinde Dilz. Sie verkauft hier Damenunterwäsche auf engstem Raum, in den Regalen stapeln sich BHs und Höschen, in der Glasvitrine, die als Verkaufstheke dient, liegt Unterwäsche für fast jeden Geschmack übereinander. Seit sie 14 Jahre alt ist arbeitet Adelinde Dilz in dem Laden - und das ist fast 62 Jahre her. Ende Mai schließt sie ihr Dessousgeschäft für immer, sie geht mit 75 in Ruhestand. Einen Nachfolger für ihren Laden hätte sie sogar schon gehabt. Aber der Eigentümer wolle die paar Quadratmeter lieber dem benachbarten Café zuschlagen. "Da kann man nichts machen", sagt Adelinde Dilz und lächelt charmant.

Die Sendlinger Straße, sie wandelt sich gewaltig. Es ist noch gar nicht so lange her, dass das Sträßlein zwischen Sendlinger Tor und Rindermarkt noch ein Geheimtipp selbst für Münchner war. Als es hier noch das familiengeführte Herrenmodengeschäft "Annas" gab, das Fotogeschäft Schaja, das Kaufhaus Wöhrl oder den Kunsthandwerk-Laden Müller neben der Asamkirche. Früher war die Sendlinger einmal eine Handwerker-Straße. Doch das ist endgültig vorbei. Fast im Monatstakt machen neue schicke Läden auf, Anfang Juni ist es wieder ein Markengeschäft, das Eröffnung feiert, erfährt man in einer noch verhüllten Auslage.

Wandel der Sendlinger Straße: Tor zur Altstadt: Schon jetzt lockt die Sendlinger Straße Tausende Passanten an. Sie soll nun komplett zur Fußgängerzone werden.

Tor zur Altstadt: Schon jetzt lockt die Sendlinger Straße Tausende Passanten an. Sie soll nun komplett zur Fußgängerzone werden.

(Foto: Stephan Rumpf)

"Alles verändert sich hier", sagt Adelinde Dilz. Sie hätte nicht aufhören müssen mit ihrem Geschäft, aber nach mehr als sechs Jahrzehnten in Sachen Unterwäsche ist es nun auch mal genug. Sie hat viele Stammkunden kommen und gehen gesehen, auch da hat sich in den vergangenen Jahrzehnten viel gewandelt. In den Fünfzigerjahren betraten die Leute oft noch etwas verschämt das "Lewandowski", den einstigen Dessous-Hoflieferant. Erst in den späten Sechzigerjahren wurde die Dessousmode frecher und die Kunden selbstbewusster. Später machte sich das kleine Geschäft am Rande der Altstadt sogar im benachbarten Glockenbachviertel einen Namen. "Die Herren aus dem Schwulenviertel waren die besten Kunden", sagt Adelinde Dilz. "Die haben ja oft Geld gehabt." Aber auch leichte Mädchen schauten gern im Laden vorbei. In der Sendlinger Straße hatten die jungen Prostituierten ihr Pflaster, im Oberanger waren es laut Dilz eher die älteren Damen.

Das "Lewandowski" ist nicht der einzige Traditionsladen in der Sendlinger Straße, der nun schließt. Auch "Salon Karin", der Friseursalon von Elfriede Ziegler mit der markanten roten Eingangstür, schließt am 31. Mai endgültig. Die Miete ist zu hoch, sagt Elfriede Ziegler, die ihren "Salon" nach 34 Jahren zusperren muss. Immerhin, zwei Mitarbeiter von ihr haben einen Friseurladen um die Ecke gefunden, den sie nun übernehmen können, weitere Mitarbeiter sind bei einem Friseur ganz in der Nähe untergekommen. Elfriede Ziegler wird mit 75 Jahren in Ruhestand gehen.

Wandel der Sendlinger Straße: "Alles verändert sich hier", sagt Adelinde Dilz, die seit mehr als sechs Jahrzehnten Dessous in der Sendlinger Straße verkauft.

"Alles verändert sich hier", sagt Adelinde Dilz, die seit mehr als sechs Jahrzehnten Dessous in der Sendlinger Straße verkauft.

(Foto: Stephan Rumpf)

Und so wird es wohl weiter gehen mit dem Ausverkauf der letzten verbliebenen Traditionsgeschäfte. Denn die Stadt will die Fußgängerzone in den kommenden Monaten noch weiter ausdehnen. Derzeit erstellt das Planungsreferat ein Papier, das im Laufe des Jahres dem Stadtrat zur Abstimmung vorgelegt werden soll. Es soll die etwas problematische Verkehrssituation im hinteren Bereich beim Sendlinger Tor berücksichtigen. Denn dort gibt es zahlreiche Pkw-Einfahrten für Anwohner, die auch weiterhin zu ihren Wohnungen oder Geschäften kommen müssen. "Wenn der Stadtrat zustimmt, wird es wohl eine einjährige Probephase geben", sagt ein Sprecher des Planungsreferats.

Die Sendlinger Straße wird also noch mehr ein Ort zum Flanieren und Konsumieren. Doch die Sendlinger Straße verliert damit auch ihr Gesicht, das Lewandowski-Schild und die rote Friseur-Tür sind bald Vergangenheit.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: