Wahlkampf:Die Münchner Bundestagskandidaten müssen Abwechslung mögen

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Wer in München für den Bundestag kandidiert, muss Abwechslung mögen: Radeln mit Claudia Tausend. (Foto: Florian Peljak)
  • München ist in vier Wahlkreise aufgeteilt: Jeder umfasst ein Stück der Innenstadt sowie einen Teil des Stadtrands.
  • Das macht den Wahlkampf für die Politiker interessant und schwierig zugleich, denn die Themen und die Menschen sind extrem unterschiedlich.
  • Oftmals sei den Bürgern bei Veranstaltungen besonders wichtig, dass sie über die Themen sprechen können, die sie umtreiben.

Von Jakob Wetzel, München

So schön kann Wahlkampf sein: Ein Sonntagnachmittag, die Luft angenehm kühl, und Claudia Tausend radelt durch den Truderinger Wald. Die Chefin der Münchner SPD begleitet zwei Parteifreunde und gut 20 Anwohner durch deren Viertel. Die Gruppe besichtigt Bauprojekte, diskutiert über verwaiste Sportstätten und fragwürdige Deals mit Grundstücken. Aber Tausend kann meistens einfach nur zuhören, und die längste Zeit führt der Weg durchs Grüne, zwischen Bäumen und Baukränen hindurch geht es über abgelegene Straßen und holprige Feldwege. Am Ende wartet auf die Gruppe ein Wirtshaus.

Claudia Tausend radelt dennoch nicht zum Spaß durch Trudering. Seit 2013 sitzt die Münchnerin im Bundestag, und sie will weitere vier Jahre dort bleiben. Doch der Weg nach Berlin ist weit. Und er führt die Kandidatin erst einmal nach Trudering, ebenso wie zum Beispiel in die Altstadt, nach Berg am Laim, nach Ramersdorf oder auch in den Herzogpark.

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Wer in München für den Bundestag kandidiert, muss Abwechslung mögen. Wie eine Torte ist die Stadt in vier Wahlkreise aufgeteilt, und jeder einzelne von ihnen umfasst ein Stück der Innenstadt wie auch einen Teil des Stadtrands, enthält Villenviertel wie auch Gegenden mit sozialem Wohnungsbau. Wer im Münchner Osten antritt, wirbt in den Großsiedlungen von Neuperlach ebenso um Stimmen wie unter den Bewohnern alter Jugendstilhäuser in Alt-Bogenhausen.

In Johanneskirchen, wo auf jedem Quadratkilometer im Schnitt nur 1400 Menschen wohnen, und in der Unteren Au, die fast 13-mal so dicht besiedelt ist. Im Bezirk Altstadt-Lehel, wo in zwei von drei Wohnungen nur eine einzelne Person gemeldet ist, ganz anders als etwa in der Messestadt Riem, wo in fast jedem zweiten Haushalt Kinder leben. Jeder Kandidat steht da vor derselben Frage: Wie bekommt man einen derart vielfältigen Wahlkreis nur unter einen Hut?

"Gar nicht", antwortet Claudia Tausend. Es ist ein verregneter Vormittag, die SPD hat am Weißenburger Platz in Haidhausen einen Infostand aufgebaut, Helfer verteilen Flyer und Gummibärchen, aber es kommen nur wenige Leute vorbei, es ist einfach zu nass, da hilft auch der große rote Schirm nichts.

In jedem Viertel gibt es andere Fragen

Und so setzt sich Tausend nebenan in ein Café und erzählt von ihrem Wahlkreis. Man müsse sich auf dessen Vielfalt einstellen, sagt sie. In jedem Viertel trieben die Bürger andere Fragen besonders um. In Neuperlach etwa sei das große Thema die Rente. In Riem seien es die Schulen, die Kinderbetreuung und die Freizeitmöglichkeiten. Und hier in Au-Haidhausen, da seien es die Mieten.

Tausend hat mehr als ein Dutzend verschiedene Postkarten drucken lassen, für jeden Stadtteil eine andere. Zu sehen ist sie selbst gemeinsam mit Kommunalpolitikern an verschiedenen Orten im Wahlkreis. "Und man überlegt sich schon, mit welchem Thema gehe ich in welches Viertel", sagt Tausend. Gerechtigkeit und Soziales? Da seien Berg am Laim oder auch Johanneskirchen gut. Für Mieterveranstaltungen biete sich Haidhausen an. Und für außenpolitische Themen, die für alle von ähnlich großem Interesse sind, buche sie auch einmal einen Raum im Hofbräuhaus.

Ortswechsel: Ein Häuschen in Daglfing, gleich neben einem Gebrauchtwagenhändler und der S-Bahn zum Flughafen. Im Erdgeschoss sitzt Wolfgang Stefinger in seinem Büro, der CSU-Wahlsieger von 2013 tritt erneut an. "Ich sage immer, mein Wahlkreis ist der schönste in München, er reicht vom Marienplatz bis zur Trabrennbahn", berichtet er. Klar, es gebe Themen, die bewegen die ganze Stadt. "Alle sind sich einig, dass wir mehr Wohnungen brauchen." Aber die Frage sei, wo - und wie. Umgekehrt merkt Stefinger sogar an der Kleidung, wie unterschiedlich sein Wahlkreis ist: In Trudering sei er oft in Tracht unterwegs, erzählt er. In der Innenstadt dagegen eher selten, allenfalls auf der Auer Dult.

Stefingers Antwort ist: Er will ansprechbar sein. Immer wieder lädt er zu Treffen ein, die "auf einen Kaffee" oder auch "auf ein Bier" heißen, er besucht Vereine und Volksfeste, wo er dann von Tisch zu Tisch geht. Es gehe dabei nicht so sehr darum, selber Themen zu setzen, sondern einfach darum zuzuhören, wie er sagt. Die Themen kommen zu ihm - und sie sind noch vielfältiger als die einzelnen Stadtviertel.

Nah am Bürger: So präsentiert sich auch Wolfgang Stefinger von der CSU. (Foto: Johannes Simon)

In seiner Bürgersprechstunde hört er alles Mögliche, angefangen bei kaputten Straßen über fehlende Kinderspielplätze bis hin zu falschen Rentenbescheiden. Dass er als Bundestagsabgeordneter mit vielem davon gar nichts zu tun hat, das zählt nicht. Einmal kam sogar eine junge Frau, die hatte Liebeskummer und wollte einfach nur mit irgendjemandem reden, erzählt Stefinger. "Da wusste ich erst nicht: Werde ich gerade auf den Arm genommen?" Aber dann habe er sich mit der Frau eben über deren Beziehung unterhalten.

"Ich versuche, bei jedem Termin so zu sein, wie ich halt bin", sagt Stefinger. Zugute kommt ihm, dass er vor allem für sich selbst werben kann. Er setzt voll auf die Erststimmen, auf die Parteiliste hat er sich gar nicht erst setzen lassen, die Zweitstimmen bringen ihm persönlich also nichts. Seine Aussichten sind trotzdem gut: Seit den Siebzigerjahren ist der Münchner Osten fest in der Hand der CSU. Stefinger selbst erhielt vor vier Jahren 44,6 Prozent der Erststimmen, knapp 16 Prozentpunkte mehr als die zweitplatzierte Tausend.

Seine Konkurrenten müssen anders planen, nicht nur die SPD, sondern auch etwa die Grünen. 2013 erhielt deren Kandidatin Ulrike Goldstein nur 10,2 Prozent der Erststimmen. In diesem Jahr tritt die langjährige Landtagsabgeordnete Margarete Bause an. Dass sie das Direktmandat erringt, ist unwahrscheinlich, ihr Weg in den Bundestag führt eher über die Liste, und so führt sie Wahlkampf über den Osten Münchens hinaus. Im August war sie etwa auf dem Gäubodenfest in Straubing, und sie hat einen Ortsverband der Grünen im Nürnberger Land unterstützt.

Wenn ein Plakat funktioniert, dann funktioniert es überall

Ob Stadtrand oder Münchner Innenstadt, das sei gar nicht so entscheidend, sagt Bause: "Wohnen ist überall Thema, und saubere Luft." Sie lasse auch überall im Wahlkreis die gleichen Plakate kleben. Überhaupt: Die Bundesgeschäftsstelle der Grünen habe einmal untersucht, ob man in der Stadt andere Plakate kleben müsse als auf dem Land, und herausgefunden: Nein. Wenn ein Plakat funktioniert, dann überall. Und die Münchner schwärmten sowieso stark für die Landwirtschaft, sagt Bause: Wenn einer auf dem Wahlzettel als Beruf "Bio-Bauer" angeben könne, werde er bei Landtagswahlen in München immer stark nach vorne gehäufelt.

In München tourt Bause durch Biergärten, "Margarete zum Anquatschen" nennt sie das, und sie ist da nicht allein. Mitglieder der jeweiligen Bezirksausschüsse und Ortsverbände begleiten sie, sagt sie, "für örtliche Themen, die ich im Detail manchmal gar nicht wissen kann".

Es ist wieder ein verregneter Samstag, diesmal vor einem Bio-Supermarkt an der Richard-Strauss-Straße in Bogenhausen. Durch die Medien geht gerade der Skandal um mit dem Insektengift Fipronil belastete Eier, vor dem Markt verspricht ein Aufsteller: "Wir haben saubere Bio-Eier", und davor haben sich Bause und vier weitere Grüne mit einem Schubkarren voller Wahlkampfutensilien postiert.

Zum Eier-Skandal haben sie nichts dabei, zu kurzfristig, sagt einer. Stattdessen verteilen sie Flyer, Programme, Traubenzucker und Brause, wie immer. Und sie verbreiten gute Laune: Den Einkaufenden drücken sie Sonnenblumen in die Hand. Bause hat sie in ihrer Parzelle im Riemer Park selber gepflanzt und eben erst gepflückt.

Sonnenblumen von Margarete Bause: So sieht der Wahlkampf im Münchner Osten aus. Aber nicht jede Aktion kommt überall gleichermaßen gut an. (Foto: Robert Haas)

Natürlich gehe sie gezielt an Orte, an denen sie viele potenzielle Grünen-Wähler treffe, sagt Bause. Ein Bio-Supermarkt in Bogenhausen, das ist ein Heimspiel. So wie Haidhausen für Claudia Tausend: Denn auch wenn im Münchner Osten insgesamt seit Langem die CSU dominiert, im Bezirk Au-Haidhausen lag bei den Erststimmen lange Jahre die SPD vorne. Im Wahljahr 2013 kam Tausend hier mit 32,1 gegen 33,4 Prozent immerhin noch auf Augenhöhe mit Wolfgang Stefinger.

So unterschiedlich der Wahlkreis ist, so verschieden sind die Ergebnisse in den Bezirken. Jeder Kandidat hat das im Hinterkopf. Sie zeige auch Präsenz in Bezirken, in denen die Ergebnisse schlechter waren, sagt Tausend. Ganz genau könne man das alles ohnehin nicht planen, es komme auch auf den jeweiligen Ortsverein der Partei an. "Wenn der sehr engagiert ist, dann gehe ich auch da hin, wo keine SPD-Hochburg ist. Vielleicht sogar in den Herzogpark." Dort, an der Isar nördlich von Alt-Bogenhausen, hatte sie 2013 nicht einmal halb so viele Stimmen erhalten wie der CSU-Konkurrent.

Freitagabend, ein Innenhof in Haidhausen. CSU und Junge Union haben "auf ein Bier" mit Stefinger eingeladen, mitten in die Hochburg der anderen. Er wisse schon, dass er in dem Stadtteil eher Menschen treffe, "die einen kritisch sehen, weil man nicht von den Grünen ist", hat Stefinger zuvor gesagt. Nun aber wird er umringt von Parteifreunden, von Studenten in Sakkos, von Sympathisanten und neugierigen Nachbarn. Die Stimmung ist locker, Stefinger trinkt mit, er stößt an, er hört zu. Er bemühe sich, viel in den einzelnen Vierteln unterwegs zu sein, sagt er. Seine Eindrücke nehme er dann mit nach Berlin.

Was nutzen die Hausbesuche?

Und jetzt? Die heiße Phase des Wahlkampfs beginne jetzt, zwei Wochen vor der Wahl, sagt Tausend. Dann wird sie etwa an U-Bahn-Ausgängen stehen und Broschüren verteilen, sie wird zu Infoständen gehen, vermutlich wird sie wieder kleine Gläser mit Erdbeermarmelade verschenken. Und vielleicht wird sie wieder von Haus zu Haus ziehen, um sich den Bewohnern persönlich als deren Kandidatin vorzustellen - und zwar in den Straßenzügen, in denen besonders viele potenzielle SPD-Wähler wohnen.

Bei der letzten Bundestags- und Landtagswahl hätten sie und mehr als 30 Helfer zusammen gut 20 000 Hausbesuche absolviert, und man könne nicht sagen, dass das Ergebnis in diesen Straßen dann signifikant besser gewesen sei. Aber es sei meistens nett, mit den Leuten ins Gespräch zu kommen. Viele freuten sich sichtlich, sie persönlich zu sehen, sagt sie. Und man merke dabei auch sehr deutlich, wie vielfältig dieser Wahlkreis München-Ost tatsächlich ist.

© SZ vom 08.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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