Waffenhandel:Die Munition kommt mit der Post

Amoklauf im OEZ in München, 2016

Besucher verlassen währen des Amoklaufs im Jahr 2016 mit erhobenen Händen das Olympia-Einkaufszentrum.

(Foto: Lukas Barth)

Im Prozess gegen den Waffenhändler des Münchner Amokläufers wird deutlich, wie bizarr die Szene im Darknet ist - und wie gewissenlos dort gefährliche Waren verkauft werden

Von Martin Bernstein

Ein Jahr hat David S. in den Tiefen des Darknets nach einer Glock 17 gesucht. Er ist Angebern aufgesessen, die sich im Waffenforum nur wichtig machen wollten. Er hat bei einer Online-Auktion mitgeboten, doch die 1650 Euro, die der junge Münchner sich zu diesem Zeitpunkt durch Zeitungsaustragen zusammengespart hatte, waren viel zu wenig. Er hat sogar, ohne es zu wissen und ohne dass die Gegenseite wusste, mit wem sie es zu tun hat, mit einem Frankfurter Zollfahnder Kontakt gehabt, der als verdeckter Ermittler im finsteren Teil des Internets mit dem übernommenen Account eines Waffennarren unterwegs war.

Schließlich ist der 17 Jahre alte Münchner Schüler auf "Rico" gestoßen. Rico kann liefern. Eine Glock 17? Kein Problem, so etwas holt er aus seiner grünen Bundeswehrkiste, die er nahe Köln an der Autobahn verbuddelt hat. Und wenn in der Kiste nicht die gesuchte Schusswaffe vorrätig ist, dann fährt Rico schnell mal nach Tschechien oder in die Slowakei oder in die Schweiz. Dort sitzen Leute, die sich Kronos nennen oder Hyena oder Cultimate. Und die können liefern. Die Glock 17 für David S. holt Rico Anfang April in Prag bei Hyena. 1600 Euro zahlt der Waffenhändler dafür.

Dann treffen sich die beiden - der Händler und der Kunde. "RLT" heißt das in der Szene, "Real Life Treffen" - absolut unüblich. Normalerweise werden Waffen verschickt, bezahlt wird mit Bitcoins, der virtuellen Währung. So was macht Rico nicht. Rico will Cash, runde Summen, Hunderter. 40 davon hat David S. in der Tasche, als er nach stundenlanger Flixbusfahrt in Marburg eintrifft.

David S. zittert, obwohl er an dem heißen Spätfrühlingstag Ende Mai 2016 einen langen Mantel trägt. So erinnert sich Rico später. Im wirklichen Leben heißt Rico Philipp K. Und im wirklichen Leben steht der 32-Jährige seit drei Wochen vor Gericht. Illegaler Waffenhandel wird ihm vorgeworfen, auch ein Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz. Und fahrlässige Tötung in neun Fällen. Es sind die neun Menschen, die David S. am fünften Jahrestag des Breivik-Attentats am Münchner Olympia-Einkaufszentrum mit einer Waffe gleichen Typs, wie sie der norwegische Massenmörder benutzt hatte, erschossen hat. Mit der Glock 17, die Rico ihm in einem Park in Marburg verkauft hat.

Doch noch während des Treffens kommen David Zweifel. Ob Rico denn nicht noch etwas anderes habe, eine Maschinenpistole zum Beispiel? Rico hat eine Maschinenpistole. Die hat aber einen Defekt. Nichts für den Münchner Kunden, der sich im Darknet "Maurächer" nennt. Er wolle damit schon gleich herumballern, sagt er. Dann doch lieber die Glock.

Mit der ballert David S. im Keller des Mietshauses in der Dachauer Straße. Er filmt sich dabei selbst. Als die 100 Schuss verbraucht sind, muss Nachschub her. Ein Magazin bestellt der gerade 18 Jahre alt gewordene Münchner ganz legal online bei einem Geschäft im Landkreis München. 19 Schuss für 29 Euro inklusive Versandkosten. "Das ist ein Massenartikel", sagt der Versandhändler. Das frei erwerbbare Magazin wird mit DHL verschickt. Ein Magazin ohne Waffe kann ja keinen Schaden anrichten.

Freitag der 13.

Der Prozess gegen den Marburger Waffenhändler Philipp K. vor dem Landgericht München I läuft seit Ende August. Eigentlich hätte das Urteil in ein paar Tagen gefällt werden sollen. Doch mittlerweile wurden schon fünf neue Verhandlungstage anberaumt, der Prozess damit um drei Wochen verlängert. Urteilsverkündung könnte jetzt am 13. Oktober sein. Für den Angeklagten könnte es ein Freitag der 13. werden, wenn nämlich das eintreten sollte, was einige Nebenklägeranwälte von Beginn an fordern: Dass der Waffenhändler nicht wegen fahrlässiger Tötung verurteilt wird, sondern wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen. Die Anwälte sehen den Tatbestand der Beihilfe dadurch erfüllt, dass der Waffenhändler zumindest eine ernsthafte Ahnung davon haben konnte, was sein seltsamer Kunde "Maurächer" alias David S. mit der Glock und der Munition tun wollte, und dass er diese Möglichkeit billigend in Kauf genommen habe. An den nächsten Verhandlungstagen wird es auch um die Persönlichkeit des Waffenhändlers gehen, unter anderem um seine von Zeugen beschriebenen Gewaltfantasien. bm

"In unserem Shop müssen Sie bei einer Bestellung nicht zwangsläufig ein Kundenkonto einrichten", heißt es auf der Homepage. Dann kann man als Gast bestellen. David S. bestellt als Gast. "Ich weiß ja leider nicht, wer's kauft", sagt der Händler. Und wenn es ein Minderjähriger wäre?, will einer der Nebenklage-Anwälte wissen. Da müsse man dann halt drauf vertrauen, dass die Eltern das schon mitbekämen und die Lieferung zurückschicken.

Er wolle im Urlaub herumballern, sagte David S. - für K. war das völlig normal

Aber David S. will mehr Munition, viel mehr Munition. Wieder vereinbart er ein Treffen mit Rico. Diesmal geht alles entspannter zu. Rico und Maurächer kennen sich ja schon. Übergabe im Park am Marburger Busbahnhof, danach geht man zusammen noch ins McDonald's. Vier Tage vor den tödlichen Schüssen im Moosacher McDonald's. Wie immer bei solchen Treffen hat Rico das Nummernschild seines blauen Lupo abgeschraubt, wie immer hat er eine Waffe im Schulterholster dabei. Nur zur Sicherheit, falls ein Kunde ihn "abziehen" will. Nie hätte er damit auf einen Menschen geschossen, erzählt Philipp K. später. Aber die Szene ist halt, wie es ein weiterer Kunde vor Gericht schildert, ziemlich paranoid. Langwaffen werden gerne im Gitarrenkoffer übergeben.

Worüber Käufer und Verkäufer an jenem 18. Juli 2016 im Marburger McDonald's plaudern, wird vor Gericht nur bruchstückhaft deutlich. Denn Philipp K. schweigt. Zu Prozessbeginn hat er seine Anwälte eine Erklärung verlesen lassen, ein Geständnis des Waffenhandels. Anbei zwei ziemlich konfuse Listen der An- und Verkäufe, die wird er später noch mal nachbessern lassen. Und eine Entschuldigung an die Familien der Todesopfer und der Schwerverletzten.

Mitglieder dieser Opferfamilien sitzen Philipp K. seit drei Wochen gegenüber. Doch der Angeklagte schweigt, was sein gutes Recht vor Gericht ist. Er hält meist den Kopf gesenkt, hat die Arme verschränkt. Nur selten geht der Blick zu den Verteidigern, manchmal schaut Philipp K. auch auf. Vor allem dann, wenn ein Zeuge über waffentechnische Details berichtet.

Im McDonald's jedenfalls plaudern Rico und Maurächer. Der erzählt, was er mit der Glock und den 400 Schuss vorhat. Nach Österreich in den Urlaub fahren, dort mit Freunden ein bisschen herumballern. Das kennt Rico. Das macht er auch: In den Wald fahren, dort mit Freunden herumschießen. Vorher im Auto ein paar rassistische Witzchen machen, Possen reißen, man lacht sich schlapp. "Das waren halt so seine Späße" - "das habe ich nicht so ernst genommen": Solche Sätze sind im Prozess immer wieder zu hören, von K.s Freunden, von einem Mithäftling, von ihm selbst.

Wenn nach dem Österreich-Urlaub Munition übrig sein sollte, sagt David S., wolle er damit "noch ein paar Kanaken abknallen". Das irritiert den Waffenhändler dann doch. Er werde doch keinen "Scheiß" mit der Waffe anstellen, fragt er erschrocken seinen Kunden. Das sei doch nur so ein Spaß gewesen, soll David S. geantwortet haben. Nach dem Attentat werden die Münchner Ermittler 567 Patronen und Hülsen zählen, die David S. im Übungskeller verschossen, auf seine Opfer abgefeuert oder nach seinem Selbstmord im Rucksack hat.

Dass Philipp K. Waffen und Munition verkauft hat, hat er zugegeben. Aber die Frage, warum die Kunden das alles haben wollten - die stellt man in der Szene nicht, auch wenn K. behauptet, das bei seinen Treffen getan zu haben. Erinnern kann sich daran niemand. Die Kunden, die als Zeugen auftreten, wollen sich die Frage noch nicht einmal selbst gestellt haben. "Aus Interesse", sagt einer. "Zur Verteidigung", sagt er im nächsten Satz. Stutzt, denkt nach und murmelt: "Wie auch immer." Seit er erwischt wurde und ausgepackt hat, bekommt der Mann Drohungen aus der Szene.

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