Wachstum:Licht und Schatten einer Boomregion

Der 1992 im Erdinger Moos eröffnete Münchner Flughafen polarisiert von Anfang an die Bürger.

Von Gerhard Wilhelm

Fast ebenso alt wie die SZ Erding ist der Flughafen München - wenn man vom ersten Spatenstich ausgeht. Der erfolgte am 3. November 1980, also nur drei Jahre nach dem Erscheinen der ersten Lokalausgabe. Bekanntlich hat es dann aber gedauert, ehe der erste Flieger im Erdinger Moos abheben konnte - bis zum 17. Mai 1992, 30 Jahre nach der Entscheidung, für München einen neuen Flughafen zu bauen. Heute verzeichnet der Franz-Josef-Strauß-Flughafen, wie er offiziell heißt, der aber allgemein nur Flughafen München (MUC) genannt wird, jährlich rund 42,3 Millionen Passagiere, die zu 257 Zielen in 73 Ländern fliegen (Stand 2016). Dafür beschäftigt der Airport rund 8900 Mitarbeiter.

Doch seit dem Beschluss 1969, den neuen Münchner Flughafen statt in Riem im Erdinger Moos zu bauen, polarisiert der Airport auch die Bevölkerung. Fünf Monate nach dem Baubeginn im November 1980 stoppte damals der Bayerische Verwaltungsgerichtshof die Arbeiten, weil 5724 Klagen eingereicht worden waren. Beinahe vier Jahre dauerte es, bis es weitergehen konnte. Die Flughafen München Gesellschaft (FMG) hatte damals den Antrag für den Bau einer dritten Startbahn zurückzogen. Und genau diese dritte Bahn sorgt heute wieder für heiße Diskussionen. Aber vor allem im Landkreis Freising, während die Erdinger offenbar mit dem Thema lockerer umgehen, wie auch eine Umfrage der SZ unter ihren Lesern zum 40-jährigen Bestehen der Lokalsausgaben zeigt. 84 Prozent der Teilnehmer sagen, dass sich der Flughafen positiv auf die wirtschaftliche Situation ausgewirkt habe, während das in Freising nur 66 Prozent so sehen. 49 Prozent empfinden den Airport als "Bereicherung" (Freising 35 Prozent). Nur 17 Prozent sagen, sie haben sich bis heute nicht an ihn gewöhnt (im Nachbarlandkreis sind es hingegen 36 Prozent). Und nur 15 Prozent sind der Meinung, dass der Flughafen mehr schadet, als er nützt (Freising 38 Prozent).

Die geplante dritte Start- und Landebahn soll nordöstlich, also Richtung Freising gebaut werden

Dass der Airport eine wirtschaftliche Bereicherung ist, wird allgemein akzeptiert. Aber um welchen Preis? Das Aktionsbündnis Aufgemuckt, das sich im Sommer 2002 aus Protest gegen weitere Ausbaupläne - vor allem eine dritte Startbahn - gegründet hat, sieht den zusätzlichen Lärm und die "Naturzerstörung" als überflüssig an. Eine dritte Startbahn sei schlecht für das Klima und würde bereits massiv Betroffene noch stärker belasten und neue Betroffene schaffen. Unter anderem mit gesundheitsgefährdenden Ultrafeinstäuben, die vom Flugverkehr verursacht würden. Im Aktionsbündnis haben sich mehr als 80 Gruppen zusammengeschlossen: Bürgerinitiativen, Umweltorganisationen, kirchliche Gruppierungen und andere in zehn Landkreisen. Der Schwerpunkt des Protestes liegt in unmittelbarer Nachbarschaft des Flughafens und im Landkreis Freising. Der Grund ist einfach: Die geplante dritte Startbahn soll in einem Abstand von 1180 Meter nordöstlich zum bestehenden Bahnsystem gebaut werden - in Richtung der Stadt Freising.

Bei Westwind erfolgt der Landeanflug derzeit über den Landkreis Erding (Eitting, Berglern, Fraunberg, Steinkirchen, Hohenpolding, Neufraunhofen), gestartet wird nach Westen und damit fast ausschließlich über Orte im Landkreis Freising. Bei Ostwind ist es umgekehrt: Der Landeanflug ist über Freisinger Grund, gestartet wird nach Osten. Aber nur die Flugzeuge nach Osten oder Süden sind für Erdinger Bürger zu sehen und hörbar. Flugzeuge, die Ziele im Norden oder Westen haben, drehen in der Regel auf Höhe Berglern nach Norden ab - nach Langenbach, Moosburg und Landshut. Ebenfalls ein Grund dafür, dass die Sensibilität in Freising höher ist.

Das 1618 Hektar große Flughafengelände liegt zu 49 Prozent im Landkreis Erding (Gemeinde Oberding), während der westliche, geringfügig größere Teil auf drei Gemeinden im Landkreis Freising entfällt: Der Südwesten gehört zur Gemeinde Hallbergmoos, der Nordwesten mit dem Besucherpark zur Stadt Freising und an der Nordgrenze ein kleines Stück zur Gemeinde Marzling. Das Erdinger Moos war vor dem Bau des Flughafens relativ dünn besiedelt. Dennoch mussten einige Bewohner dem Airport weichen und umgesiedelt werden. Die meisten, nämlich rund 400 Einwohner, zählten zur aufgegebenen Streusiedlung Franzheim. Mit einer dritten Startbahn würde, so das Aktionsbündnis, die Anzahl der Betroffenen dramatisch steigen und die jetzige Belastung über jedes erträgliche Maß hinaus wachsen. So würde laut Unterlagen der FMG der Freisinger Ortsteil Attaching bis zu 530 Mal täglich in einer Höhe von nur rund 50 Metern direkt überflogen. In der Gemeinde Berglern wäre die Situation nur unwesentlich besser. Eine Erweiterung würde nicht nur direkt mehr Lärm und Abgase bringen, sondern auch noch mehr Infrastrukturprobleme, sagen die Kritiker: mehr Verkehr, weiter steigende Immobilien- und Mietpreise. Dabei platze die Region jetzt schon aus allen Nähten.

1978 lebten in Erding rund 90 000 Menschen, 2016 schon circa 135 000 - Tendenz steigend

Für die Region und damit auch für die beiden Landkreise zeigt sich der wirtschaftliche Aufschwung vor allem in der Entwicklung der Bevölkerungszahlen. Lebten vor dem Flughafen im Landkreis Erding 1978 insgesamt rund 90 000 Menschen, waren es 2016 schon circa 135 000 - Tendenz steigend. Der Landkreis Erding hatte in den Jahren 2003 bis 2013 mit knapp acht Prozent die vierthöchste Wachstumsrate unter allen Landkreisen in Bayern. Bezogen auf die Altersstruktur ist Erding ein sehr junger Landkreis: Fast ein Drittel der Einwohner ist jünger als 25 Jahre. Auch in Hallbergmoos hat der Zuzug die Gemeinde sozusagen "verjüngt": Mit einem Durchschnittsalter von 38,4 Jahren ist Hallbergmoos die jüngste Gemeinde Bayerns. Und wie in Hallbergmoos stieg die Zahl der Einwohner im Landkreis Freising enorm an: Ein Jahr vor Eröffnung des Flughafens waren es 132 000, heute sind es rund 175 000.

Parallel dazu stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten in Erding von 21 000 im Jahr 1980 auf 43 000 im vergangenen Jahr, wie die Arbeitsagentur mitteilt. Zwei Gemeinden gibt es, an denen sich der Wandel durch den Airport am stärksten zeigt: Oberding im Landkreis Erding und Hallbergmoos in Freising. In Hallbergmoos lebten 1990 insgesamt 4822 Einwohner, heute sind es knapp 11 500. Im Jahr vor der Flughafeneröffnung gab es 1043 Arbeitsplätze, heute rund 11 000. 28,9 Millionen Euro hat die Kommune 2016 bei der Gewerbesteuer verbucht. Noch extremer sind die Daten für Oberding: Heute hat die Gemeinde bei etwas mehr als 6300 Einwohnern 11 270 Arbeitsplätze. 1990 sind es bei 3549 Einwohnern gerade einmal 583 Jobs im Ort gewesen. Und 2016 kamen rund 26 Millionen Euro Gewerbesteuer in die Kasse.

Für Otto Heinz, Vizepräsident IHK für München und Oberbayern und Vorsitzender des IHK Regionalausschusses Erding-Freising, ist der Flughafen "ein essentieller Standortfaktor für ganz Bayern und insbesondere für das direkte Umland". Immerhin sorge der Flughafen jedes Jahr für Aufträge in Höhe von mehr als 40 Millionen Euro bei den lokalen Betrieben. "Ein Großteil unseres Wohlstandes, von dem wir alle tagtäglich profitieren", werde vom Airport erzeugt. "Bei den über 22 000 IHK-Mitgliedsunternehmen in Erding und Freising gibt es keine lokalen Differenzen bei der Wahrnehmung des Flughafens. Selbstverständlich wird der weitere Ausbau jedoch auch innerhalb der Wirtschaft durchaus kontrovers diskutiert. Im Regionalausschuss Erding-Freising haben wir alle Aspekte abgewogen und uns - trotz aller berechtigten Einwände - mehrheitlich für den Ausbau des Flughafens ausgesprochen. Nur so bleibt München auch in Zukunft ein internationales Drehkreuz mit all den positiven Effekten für die regionale Wertschöpfung", sagt der IHK-Vorsitzende. Arbeitslosenquoten um zwei Prozent seit Jahren scheinen Heinz recht zu geben.

"Durch den erhöhten Zuzug explodieren bei uns die Baulandpreise", sagt Bayerstorfer

Dass die Ansiedelung des Flughafens dem Landkreis Erding "sicherlich große Vorteile" verschafft hat, räumt auch Landrat Martin Bayerstorfer (CSU) ein. "Wir leben in einer wirtschaftlich prosperierenden Region. Die Steuereinnahmen, die von den Unternehmen im Flughafenumfeld generiert werden, bedeuten für uns eine hohe Lebensqualität. In Bezug auf die Umlagekraft liegt der Landkreis Erding in Oberbayern auf Platz 4, bayernweit auf dem sechsten Platz. Wir können uns dadurch Dinge leisten, die sonst nicht möglich wären, wie etwa eine umfassende Bildungslandschaft und einen gut ausgebauten ÖPNV. Auch der Tourismussektor hat sich in den letzten Jahren im Landkreis Erding sehr positiv entwickelt, was sicherlich zu einem großen Teil auf den Flughafen zurückzuführen ist." Aber wie sein Freisinger Kollege Josef Hauner (CSU) sieht er auch Schattenseiten. "Insbesondere die Anwohner in der Einflugschneise leiden unter einer erhöhten Immissionsbelastung. Durch den erhöhten Zuzug explodieren bei uns die Baulandpreise. Es ist ein Kampf um jeden Quadratmeter entbrannt". Überdies verzeichne Erding eine deutliche Erhöhung der Verkehrsbelastung auf den Straßen, was selbstverständlich mit einer erheblichen Beeinträchtigung für die Bürger einhergehe.

Wachstum: SZ-Grafik

SZ-Grafik

Gerade bei den steigenden Preisen für Mieten und für Bauland sowie bei Immobilien hat der Landkreis Erding in den vergangenen Jahren deutlich angezogen und Freising eingeholt, das die Entwicklung schon etwas früher erlebte. "Die Preissteigerungen waren in Erding zuletzt stärker als irgendwo sonst im Münchner Umland", wie ein Bericht der Immobilienmarktforscher des IVD-Instituts zeigt. Die Schattenseiten des Booms, ausgelöst durch den Flughafen, haben wohl jetzt auch Erding endgültig erfasst.

Auf einer Linie ist Bayerstorfer deshalb mit Freisings Landrat Hauner beim geplanten Bau einer dritten Start- und Landebahn. "Der Kreistag von Erding hat sich bereits vor Jahren eindeutig gegen den Bau einer dritten Start- und Landebahn positioniert und dies auch in eindeutigen Beschlüssen zum Ausdruck gebracht. Nach wie vor ist der Bedarf für den Bau einer weiteren Start- und Landebahn nicht nachgewiesen und die Verkehrserschließung des Flughafens auf Straße und Schiene ist weiterhin defizitär."

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