Vorwürfe gegen Klinikum:Pflegefall mit zwei Jahren

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Die zweijährige Hannah wurde schon länger im Klinikum Großhadern behandelt, weil sie kleinwüchsig war. Nun ist das Leben des Kindes in Gefahr. (Foto: oh)

Im Münchner Uni-Klinikum Großhadern soll sich ein kleines Kind einer Kernspin-Untersuchung unterziehen und wird dazu ruhig gestellt. Das Mädchen erleidet bei dieser Routineuntersuchung einen schweren Hirnschaden und schwebt in Lebensgefahr. Ein Fehler der Klinik, sagen die Eltern - doch die weist das zurück.

Von Ekkehard Müller-Jentsch

In einigen Tagen wird Hannah ihren dritten Geburtstag haben - lachen und feiern kann das Mädchen aber nicht mehr. Die Kleine ist nach einer eigentlich harmlosen Routine-Untersuchung im Klinikum Großhadern nicht mehr zu Bewusstsein gekommen. Das Kind hat einen schweren Hirnschaden erlitten und schwebt in Lebensgefahr. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt.

Die von den Eltern erhobenen Vorwürfe sind schwerwiegend: Mitarbeiter der Radiologie sollen dem Kind eigenmächtig eine Überdosis Schlafmittel verabreicht haben, weil es zu unruhig war und damit den Zeitplan der Abteilung durcheinander gebracht habe. Anschließend sei die Mutter ohne weitere Kontrolle mit dem noch narkotisierten Mädchen heimgeschickt worden. Das Klinikum hat die Vorwürfe in einer Stellungnahme an die SZ zurückgewiesen: Der Personal habe nur nach ärztlicher Absprache und in angemessener Dosis sediert - die Hirnschädigung sei vermutlich auf eine Grunderkrankung zurückzuführen.

Hannah M. ist im Klinikum Großhadern gut bekannt: Das Kind leidet unter einer Wachstumsstörung des Skeletts, ist daher kleinwüchsig und befindet sich in therapeutischer Behandlung des Sozialpädiatrischen Zentrums dort. Für den 19. November 2012 hatte ihre Ärztin eine Kernspin-Untersuchung der Wirbelsäule angesetzt. Da Patienten in der Röhre des Geräts absolut ruhig liegen müssen, hatte die Ärztin auf einem Rezept fest bestimmt, mit welcher Menge des Schlafmittels Chloralhydrat Hannah ruhiggestellt werden sollte.

Zunächst sei dem Kind die gemäß Überweisungsschein bestimmte Menge verabreicht worden, sagt Rechtsanwalt Jürgen Klass, der die Eltern vertritt. Dann sei der erste Versuch unternommen worden, ein Bild zu erstellen. Hannah war aber nach wie vor unruhig und bewegte sich zu stark.

Ohne die Eltern aufzuklären und damit ohne ihr Einverständnis hätten dann "Mitarbeiter in der Radiologie eigenmächtig und ohne jegliche Absprache beziehungsweise Rücksprache mit einem Arzt" die Entscheidung getroffen, die Sedierung bei dem Kind zu erhöhen, heißt es in der Strafanzeige, die Klass und seine Kollegin Julia Weinmann erstattet haben.

Als dies auch nicht den gewünschten Erfolg gezeigt habe, hätten die Mitarbeiter auf der Station für Radiologie "gestresst, entnervt und ungehalten" reagiert, sagen die Anwälte. Die Mutter sei darauf verwiesen worden, dass noch für viele Patienten am selben Tag Kernspin-Untersuchungen angesetzt seien. Man könne deshalb nicht länger versuchen, Bilder zu erstellen. Sie solle mit ihrem Kind heimgehen.

"Hannahs Mutter war verunsichert und beunruhigt, das Kind ohne ärztliche Kontrolle oder Überwachung mit nach Hause zu nehmen, da sich dieses im Schlafzustand befand und nach wie vor sediert war", sagt Klass. Man habe dann auf sie eingeredet um zu beschwichtigen: Das Kind würde in kurzer Zeit wieder aufwachen und volles Bewusstsein erlangen.

Sehr beunruhigt hätten die Eltern zu Hause nach zwei Stunden festgestellt, dass ihr Kind immer noch nicht ansprechbar sei. Als Hannah das Atmen schwer zu fallen schien, informierte der Vater den ärztlichen Notruf. Man riet ihm, abzuwarten, oder das Kind selbst in die Klinik zu bringen. Doch der Vater gab keine Ruhe, rief bald erneut an und bestand darauf, dass man einen Notarzt zu ihm nach Hause schickt. Beim Eintreffen des Rettungswagens war Hannah bereits bewusstlos, sagen die Anwälte. Die Sauerstoffsättigung im Blut sei ungenügend gewesen - im Rettungswagen sei es zum Atemstillstand gekommen, sodass die Kleine mehrere Minuten lang reanimiert werden musste.

Das Kind wurde dann intensivmedizinisch im Haunerschen Kinderspital behandelt. Bald darauf die niederschmetternde Diagnose: apallisches Syndrom, also schwerste Schädigungen des Gehirns, ausgelöst durch die Unterversorgung mit Sauerstoff. Sollte Hannah überleben, wird sie immer ein Schwerstpflegefall sein.

Die Staatsanwaltschaft bestätigte den Eingang der Strafanzeige - vorerst noch gegen Unbekannt. Philipp Kreßirer, Sprecher des Klinikums Großhadern, sagt dazu: "Den Vorwurf, Behandlungsfehler hätten das apallische Syndrom bei der Patientin verursacht, können wir nicht bestätigen und weisen ihn deshalb zurück. Gleichwohl gilt der Familie und der Patientin unser Mitgefühl, und wir möchten unser Bedauern über diesen schweren Krankheitsverlauf zum Ausdruck bringen."

"Die Dosierung für die Sedierung der Patientin mit einem in der Fachliteratur als sicher empfohlenen Medikament lag deutlich unter dem Wert, der in der Fachliteratur als Maximalwert genannt wird", erklärt Kreßirer. "Die Patientin wurde nach dem vergeblichen Versuch, eine Kernspin-Untersuchung durchzuführen, in wachem Zustand in die Obhut der Mutter entlassen mit dem Hinweis, einen neuen Termin zu vereinbaren." Die später erfolgte Kernspin-Aufnahme zeige eine durch die Grunderkrankung verursachte erhebliche Schädigung von Rückenmark und Hirnstamm, "die ursächlich für die Atemstörung sein können".

Anwalt Klass hält das für eine "unzutreffende Schutzbehauptung". Sollte die Haftpflichtversicherung der Klinik, die eingeschaltet ist, an der Aufklärung des Sachverhaltes nicht mitwirken, etwa durch Beauftragung eines Sachverständigen, lasse sich der Gang auch vor ein Zivilgericht nicht vermeiden. Ein medizinisches Gerichtsgutachten werde der Familie dann Klarheit verschaffen. "Ungeachtet dessen gehe ich davon aus, dass die Staatsanwaltschaft die Stellungnahme eines Sachverständigen anfordern wird", sagt der Anwalt.

Offenbar habe nicht-ärztliches Personal in der Radiologie Entscheidungen getroffen, die lediglich von einem Facharzt getroffen hätten werden können, meint der Anwalt. Das sei ebenso unverantwortlich, wie die Entlassung des noch sedierten Kindes. Daher sei das Klinikum "zum Schadensersatz verpflichtet". Auf Nachfrage erklärte Kliniksprecher Kreßirer zu diesem Punkt, dass auch die Nachsedierung nach Rücksprache mit einem Arzt erfolgt sei.

Anwalt Klass meint, Hannah stehe trotz ihrer jungen Jahre auch Schmerzensgeld zu: Er verweist in seinem Schriftsatz an Klinikdirektor Professor Burkhard Göke auf einen vergleichbaren Fall, in dem das Kammergericht Berlin wegen Verursachung eines schweren Hirnschadens bei der Narkotisierung eines Kleinkindes 650.000 Euro Schmerzensgeld zugesprochen hat. Hier hatten die Richter festgestellt, dass es durchaus möglich sei, dass auch einem erst vierjährigen Kind die Beschränktheit und Ausweglosigkeit seiner Situation in gewisser Weise bewusst sei.

© SZ vom 05.01.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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