Vorurteile:Als Münchner im gnadenlosen Kreuzverhör

Ilse Aigner auf dem Münchner Oktoberfest, 2012

Ilse Aigner auf dem Münchner Oktoberfest.

(Foto: Robert Haas)

Wo immer es den Münchner hinverschlägt, er muss sich für seine Herkunft rechtfertigen. Und für die CSU.

Glosse von Wolfgang Görl

Wer sich in Hamburg oder Berlin am Biertisch als Münchner outet, wird rasch einem gnadenlosen Kreuzverhör unterzogen. Wie könne man, heißt es im schneidenden Ton, in einer so öden Stadt wie München leben, wo seit dem Mittelalter die CSU regiere, wo jede Woche die Fronleichnamsprozession durch die Straßen ziehe und wo alle nur Leberkäs und Weißwürste essen, außer der Schickeria, die sich mit Austern und Schampus begnügt?

Solchen Unsinn müssen sich Münchner im Norden anhören, verzapft von bärtigen Hipstern, die in Städten wohnen, in denen Labskaus das einzige Nahrungsmittel ist (Hamburg) oder seit dem Mittelalter an einem Flughafen gebaut wird (Berlin). Wenn man erwidert, der Münchner Oberbürgermeister sei ein Sozi und neben Weißwürsten und Leberkäs stehe auch Schweinsbraten auf dem Speiseplan, sehen die Typen einen an, als hätte man behauptet, die Fifa sei eine seriöse Organisation. Zur Beglaubigung wird mindestens eine eidesstattliche Erklärung erwartet, besser noch drei Lokalrunden.

Neulich ist es einem Münchner gelungen, mehrere Stunden in einem Berliner Lokal zu sitzen, ohne sich für sein selbstredend spießiges Dasein in München rechtfertigen zu müssen. Okay, dazu waren zig eidesstattliche Erklärungen vonnöten, unter anderem musste er schwören, dass in Münchens Clubs auch andere Tänze erlaubt sind als Schuhplattler. Danach aber war er als eine Art Mensch akzeptiert, sogar der Kellner bediente ihn - aber nur bis zu dem Moment, in dem die Nachtausgabe einer Zeitung in die Kneipe gebracht wurde. Darin stand zu lesen: Ilse Aigner fordert ein Burka-Verbot.

Mit einem Mal wehte ein eisiger Wind durchs Lokal, und der Münchner blickte in Gesichter, wie sie Mafiabosse bei der Einvernahme eines Verräters aufhaben. Aha, hieß es, die Bayern wieder! Provinziell bis zum Sepplhut! Die Aigner, das ist doch eine von euch. So wie der Seehofer und der Söder. Und ein Schwall von Häme ergoss sich über den Münchner, der, da war man sich einig, mitverantwortlich ist für all die peinlichen Sprüche, die Seehofer, Söder, Aigner und überhaupt alle Bayern gelegentlich von sich geben. Es versteht sich von selbst, dass der Kellner das Bier, das er dem Münchner eben kredenzt hatte, wieder wegnahm.

Es ist ein Kreuz mit diesen CSU-Politikern. Der eine verknüpft Terroranschläge mit Flüchtlingen, der andere benimmt sich wie ein Vorstadtrüpel, und kaum ist Gras über die Sache gewachsen, kommt die nächste mit dem Burka-Verbot. Wahrscheinlich machen die das extra so, damit die Bayern immer schön im Freistaat bleiben, weil sie wissen, dass sie in anderen Ländern wegen der CSU ausgelacht werden.

Es ist, als würde man im Reiserucksack stets den Seehofer, den Söder und die Aigner mitschleppen, und kaum hat man in der Fremde Freundschaften geschlossen, springen die drei heraus und blecken die Zunge. Auch wenn man dann tausend Eide schwört, dass nicht alle Bayern, und schon gar nicht alle Münchner, so sind: Es glaubt einem kein Mensch.

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