Von wegen Schulpflicht:Beliebtestes Fach: Schwänzen

Münchens Schüler bleiben dem Unterricht immer häufiger fern — vor den Ferien fehlt oft ein Drittel der Klasse.

Von Anja Burkel

Mit der Schulpflicht nehmen es Schüler heute nicht mehr so genau. 18-Jährige schreiben sich nach Belieben selbst krank, Eltern verfassen großzügig Entschuldigungen, und Münchner Lehrer beklagen:

Von wegen Schulpflicht: Eltern entschuldigen Versäumnisse ihrer Kinder oft großzügig. Foto: dpa

Eltern entschuldigen Versäumnisse ihrer Kinder oft großzügig. Foto: dpa

Vor lauter Fehlzeiten bleibt von dem im Stundenplan vorgeschriebenen Unterricht nicht mehr viel übrig. Besonders in der Zeit vor den Schulferien werden die Schulen mit Entschuldigungen überschwemmt.

"Sie nehmen sich frei, um zu lernen"

Als "absurdes Theater" bezeichnet der Deutsch- und Sportlehrer am Maria-Theresia-Gymnasium, Gerhard Dill, was täglich an seiner Schule abläuft. "In einer elften Klasse fehlt nicht selten ein Drittel der Schüler."

Wenn am Freitag eine Chemieschulaufgabe geschrieben wird, blieben am Donnerstag die Pulte leer. "Sie nehmen sich frei, um zu lernen", glaubt Dill. "Und am Freitag sind dann alle wieder da."

"An manchen Tagen kommen die Schüler nur stundenweise" oder erst zum nachmittäglichen Sportunterricht. "Einige kommen und gehen, wann sie wollen."

Ausrede: Verschlafen

Gerade gegen Schuljahresende, wenn keine Klassenarbeiten mehr geschrieben werden, häuften sich die Fehlzeiten. Ein Kollege habe eine Statistik angelegt — darin habe ein Schüler in 30 Wochen 50 Mal gefehlt.

"Die sind pumperlg'sund und lassen sich ein Attest vom Arzt schreiben." Ein anderer Schüler mache regelmäßig "Verschlafen" für sein Aufscheinen um zwölf Uhr verantwortlich. "Nach dem Motto: Was kann ich dafür, wenn ich verschlafe?"

Vertrauen des Kultuministeriums

"Lehrer haben gegen die Fehlzeiten keine Handhabe", sagt Dill, "das Kultusministerium tut nichts dagegen." Wie dessen Sprecher Thomas Gottfried erklärt, vertraue das Ministerium den Schülern zunächst einmal, wenn sie sich krank meldeten.

Bei Zweifeln am Grund für das Fehlen sei zunächst ein klärendes Gespräch mit Schüler und Eltern fällig. Bleiben Zweifel an den Gründen bestehen, kann laut gymnasialer Schulordnung dem Schüler eine Attestpflicht auferlegt werden. Wenn auch an den Attesten Zweifel besteht, kann eine Überprüfung vom Schulamtsarzt angeordnet werden.

"Den Ärzten", sagt die Münchner Bezirksvorsitzende des Philologenverbands, Gesa Wenz, "bleibt ja oft nichts anderes übrig, als jemanden krankzuschreiben, wenn er über Schmerzen klagt."

Beliebtestes Fach: Schwänzen

Sie beobachtet aber auch, dass Eltern heute "sehr viel eher bereit sind, eine Entschuldigung zu schreiben, schon bei einer Kleinigkeit, wenn die Nase läuft."

Das fange bereits in der Unterstufe an, werde in der Mittelstufe aber "noch schlimmer". Das Erlangen der Volljährigkeit kosteten die meisten Gymnasiasten in vollen Zügen aus — mit selbst geschriebenen Entschuldigungen.

Volljährigkeit wird ausgekostet

"Was auf dem Stundenplan der zehnten bis 13. Klasse steht, hat mit der Realität absolut nichts mehr zu tun", sagt auch der Schulleiter des Maria-Theresia-Gymnasiums, Jürgen Ewerling.

Ein Grund: "Heute ist der Großteil der Schüler in der elften Klasse volljährig — und kann sich selbst vom Unterricht entbinden. Früher waren sie erst in der Kollegstufe 18."

Und: "Bei manchen Schülern hat das Jobben Priorität vor dem Unterricht." Den Jugendlichen fehle heute das Bewusstsein: "Die Schule ist mein Job."

Auch das ständige Zuspätkommen sei kaum in den Griff zu bekommen. "Ein Junge ist in diesem Schuljahr 50- oder 60-mal zu spät gekommen." Eltern entschuldigten solche Versäumnisse oft großzügig.

"Gerade zu Schuljahresende denken sie offensichtlich: Da ist eh nicht mehr so viel los." Ewerling appelliert an die Eltern, Entschuldigungen nicht ganz so großzügig auszuteilen.

Billiger in den Urlaub

Ähnlich ist die Situation am Michaeli-Gymnasium. Dessen Leiter Hendrik Rehn erklärt: "Sehr häufig werden Kinder schon befreit, wenn es ihnen morgens nur ein bisschen schlecht ist." Derzeit überlegt man am Michaeli-Gymnasium, die Fehlzeiten statistisch zu überprüfen.

An den Grundschulen beobachtet die Vorsitzende des Münchner Lehrer- und Lehrerinnenverbandes, Marianne Baier, derweil: "Fehlzeiten vor den Ferien und an Brückentagen nehmen zu."

Der Grund: "Am ersten Schulferientag erhöhen die Fluggesellschaften ihre Preise. Für Eltern ist es deshalb viel günstiger, einige Tage früher in den Urlaub fliegen." Das sei aber rechtswidrig und für den Schulbetrieb eine Zumutung.

Schulkinder versäumten in den letzten Tagen "wichtige Ereignisse für soziales Lernen" wie Ausflüge und Projekte im Klassenverband: "Das ist einfach schade."

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