Von Knödeln und Klassik:Makler der eigenen Idee

Werner Eckart sollte als Pfanni-Erbe Verantwortung übernehmen, doch die Knödel-Fabrik wurde verkauft. Auf dem Werksgelände soll nun ein neues Stadtviertel entstehen - und vielleicht sogar ein Konzertsaal

Von Christian Krügel

Es ist eine Geschichte, die nur entfernt etwas mit klassischer Musik zu tun hat. Aber sie erzählt wohl doch viel über den "Pfanni-Erben" Eckart, den Menschen, der den Münchnern endlich zu einer neuen Philharmonie verhelfen soll. Die Anekdote spielt Ende der Siebzigerjahre in der Oper : Die Großeltern nehmen den kleinen Werner dorthin mit. Der Opa, nach dem der Bub benannt wurde, ist Musikfreund, spielt Violine und Oboe. Und er ist Gründer der Pfanni-Werke am Ostbahnhof, damals Arbeitgeber von bis zu 1000 Menschen. Ein Familienbesuch in der Oper gehört da zum guten Ton. Doch Werner junior leidet: Fein rausgeputzt und eingezwängt im Parkett zwischen den Menschen fühlt er sich beengt, eingeschränkt, verhaftet.

Jahrzehnte später geht er wieder in die Oper, inzwischen ist er selbst erfolgreicher Unternehmer, Chef der "Kultfabrik" und der Otec GmbH, die auf Opas Pfanni-Werken ein ganzes Stadtviertel errichten will. Werner Eckart sitzt wieder im Parkett, fühlt sich schon nach zehn Minuten beengt, eingeschränkt, verhaftet. Er hat die Wahl: zwei Stunden leiden oder gehen und den Zorn aller Gäste auf sich ziehen. Eckart entscheidet sich für Letzteres, wird beschimpft, aber fühlt sich frei.

So wie jetzt in seiner "Nachtkantine", dem Betriebsrestaurant der heutigen "Kultfabrik" und des künftigen Werksviertels. Eckart sitzt an Tisch 5, leicht erhöht, mit vollem Überblick über Bar und Gäste. Das weiße Hemd steht offen, Krawatten sind dem durchaus stämmigen Eckart seit den Opern-Besuchen der Kindheit ein Graus. Bei Pizza und Mineralwasser erzählt er die Anekdote und sagt: "Es gibt immer Kompromisse, die man eingehen muss. Aber ich will selbst entscheiden, welche das sind."

Von Knödeln und Klassik: Vision und Vergangenheit: Werner Eckart will auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände einen modernen Stadtteil errichten.

Vision und Vergangenheit: Werner Eckart will auf dem ehemaligen Pfanni-Gelände einen modernen Stadtteil errichten.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Neulich zum Beispiel, da hatte Werner Eckart gar keine Lust auf einen Kompromiss. Seine Mitarbeiter hatten in seiner Abwesenheit einen großen Coup gelandet: Ein Unternehmen wollte 80 Prozent aller Büros im "Werk 3" mieten, das Kerngebäude im neuen Werksviertel. Doch als Eckart davon erfährt, lässt er den Deal platzen: Er will nicht einen großen, sondern viele kleine Mieter haben, sich nicht in Abhängigkeit eines Unternehmens begeben, sondern Chef bleiben, Makler der eigenen Idee. "Es soll im Werksviertel kein Gebäude geben, das nur eine Nutzung hat. Jedes soll sich ständig wandeln lassen."

Das sagt Eckart so dezidiert, dass einem unweigerlich Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) in den Sinn kommt. Der ist meist alles andere als dezidiert, und doch soll er nun gemeinsam mit den Herren der staatlichen Immobilienverwaltung den ganz großen Deal mit diesem Werner Eckart aushandeln. Denn direkt neben dem "Werk 3" liegen ein Parkplatz und eine Brachfläche. Auf die könnte ein Konzertsaal von "internationaler Spitzenklasse" passen, wie ihn Ministerpräsident Horst Seehofer versprochen hat. Und da auch staatlich beauftragte Gutachter Eckarts Werksviertel beste Eignung attestieren, beschloss die Staatsregierung an diesem Montag, mit Werner Eckart zu verhandeln. Und das dürfte interessant werden.

Nicht weil Eckart schwierig ist, im Gegenteil. 47 Jahre ist er alt, Vater von fünf Kindern zwischen drei und 17 Jahren, ein sehr freundlicher Mann, unkompliziert, manchmal jovial, manchmal fast ein wenig schüchtern. Freunde wie Gegner beschreiben ihn als jemanden, der lieber im Hintergrund wirkt, aber bestens vernetzt ist, der sehr bestimmt, aber nur selten aufbrausend ist, der kreativ und detailversessen ist, aber auch hart verhandeln kann. Und der eines immer über alles stellt: die Familie, deren Freiheit, deren Selbstbewusstsein.

Von Knödeln und Klassik: Vater Otto (rechts im Bild) verkaufte das Knödel-Imperium, das Großvater Werner (links) aufgebaut hatte.

Vater Otto (rechts im Bild) verkaufte das Knödel-Imperium, das Großvater Werner (links) aufgebaut hatte.

(Foto: Pfanni-Archiv)

Mehr als 400 Jahre lässt sich die Geschichte der Münchner Handelsfamilie Eckart zurückverfolgen. Im 19. Jahrhundert gründete dann Ururgroßvater Johannes eine Konservenfabrik am Jakobsplatz, Großvater Werner experimentierte nach dem Zweiten Weltkrieg solange mit Kartoffelpulver, bis er daraus Knödel, Püree und Reiberdatschi maschinell produzieren konnte. "Pfanni" waren die Eckarts, und die Eckarts waren stolz darauf.

Als Werner Eckart junior im Februar 1968 geboren wird, lässt sein Vater Otto in den Werken Fahnen aufziehen. Der Bub ist - schon damals - der "Pfanni-Erbe", das Kind, das eines Tages die Verantwortung für Knödel und Mitarbeiter übernehmen wird. Die Fabrik am Ostbahnhof ist der große Spielplatz des Erben. Nur ins Versuchs-und Techniklabor darf Klein-Werner damals nicht. Dieses "Technikum" präsentiert er heute deshalb mit besonderem Stolz: Aus dem Labor machte er in den vergangenen Jahren eine Musik-und Veranstaltungshalle für bis zu 760 Besucher.

Eine Verwandlung des Geländes, die noch vor 25 Jahren für ihn unvorstellbar gewesen wäre: Der ausgebildete Industriekaufmann war bereit zur Übernahme der Fabrik - als Vater Otto 1993 Pfanni an den Lebensmittelkonzern Knorr-Maizena verkaufte. "Die bitterste Entscheidung meines Lebens", schrieb Otto Eckart später. Aber Pfanni schrieb damals rote Zahlen, Unternehmensberater rieten zum Verkauf. Die Mitarbeiter und die Kartoffelbauern verloren ihre Existenzgrundlage, der Erbe spricht noch Jahre später von einem "Schock". "Ich hätte mir auch vorstellen können, die Pfanni-Werke zu leiten, warum nicht?", sagt Werner Eckart heute.

Die Familie Eckart behielt aber das Fabrikgelände. Und das wird zum Experimentierfeld für Werner Eckart - und für die ganze Stadt. "Die erste Idee der Berater meines Vaters war, das Viertel sehr geordnet zu entwickeln, mit Wohnungen und Büros in Reihenbebauung", erzählt Eckart. Geradlinige, geordnete Verhältnisse - "das war damals die Zeit und auch das Denken". Herauskommt so ziemlich das Gegenteil: Die Verhandlungen mit Stadt und Nachbarn sind schwierig und so wächst auf dem Fabrikgelände erst einmal Europas größtes Amüsier- und Nachtclub-Viertel empor: Wolfgang Nöths "Kunstpark Ost".

Von Knödeln und Klassik: So soll der Eckpark aussehen. Simulation: Steidle Architekten.

So soll der Eckpark aussehen. Simulation: Steidle Architekten.

Der Rest ist jüngere Stadtgeschichte. Nach jahrelangem Streit mit Nachbarn, Stadt und Nöth übernimmt Eckart 2003 die "Kultfabrik". Er entwickelt aber vor allem die Idee des Werksviertels, schafft es, sieben Grundstücksbesitzer zusammenzuspannen und die Stadtverwaltung von der Idee zu begeistern, einen neuen Stadtteil entstehen zu lassen. "Der Reiz an dem Projekt ist, wirklich ein eigenes Viertel gestalten zu können. Ich möchte der Stadt an der Stelle etwas Neues geben", sagt Eckart. Dann schwärmt er von den Plänen: vom 85 Meter hohen Hotelturm genauso wie vom trendigen Jugend-Hostel und den Künstler-Lofts, von Wohnungen am grünen Pius-anger wie von Restaurants und Musik-Clubs und dem begrünten Dach des "Werk 3", auf dem Schafe weiden sollen. Auch von einem Konzerthaus hat er klare Vorstellungen: Das müsse so flexibel sein, dass dort auch Kongresse, Filmpremieren, Bälle stattfinden können. Damit es ins Konzept passe, dürfe es kein Monolith sein, sondern müsse sich gestalterisch gut einfügen und auch tagsüber belebt sein.

Es ist klar: Hier erträumt, hier erbaut sich jemand sein eigenes Viertel, am besten autark vom Rest der Stadt, versorgt durch ein eigenes Kraftwerk. Nicht umsonst hat er sich sein Büro so einrichten lassen, dass er möglichst alle Kräne sieht. "Baustellen stehen für Veränderung, dafür, dass man etwas anpacken und gestalten kann." Werner Eckart - vom Pfanni-Erben zum Bürgermeister des Werksviertels? Geht man mit ihm über das Gelände, grüßen und duzen ihn fast alle Mitarbeiter. Und er kennt alle: die Bar-Leute in der "Nachtkantine" und den Kultfabrik-Clubs, die Nerds aus den Gründerszene-Büros, die Künstler in den Ateliers. Es ist ein krudes, kreatives Gewirr an Menschen und Räumen, in dem offenbar nur Eckart selbst den Überblick behält.

Und das neue Werksviertel, man ahnt es, soll so ähnlich werden - nur schöner und ein wenig geordneter. "Wenn etwas zu unübersichtlich zu werden droht, dann suche ich mir einen Profi, der die Probleme in den Griff bekommt", sagt Eckart. "Ich käme nie auf die Idee, irgendetwas einfach hinzuschmeißen, nur weil es kompliziert wird."

Aber selbst er kennt Abhängigkeiten. Zum Beispiel von den Banken: Allein beim Bau von "Werk 3" muss er 65 Millionen Euro an Investitionen hereinholen. Auch einen Konzertsaal würde er gewiss nicht nur wegen seiner festen Überzeugung bauen, dass München diesen Saal braucht. Eine glanzvolle Philharmonie wertet aber eben auch das Viertel und die Grundstückspreise auf, was den Banken Finanzierungen leichter macht. Einfacher wäre es gewiss, das Areal einfach an den Staat zu verkaufen. Aber das kommt für ihn nicht infrage, ein Erbpachtvertrag vielleicht oder ein gemeinsames Investorenprojekt, aber kein Verkauf - es ist schließlich Pfanni-Land und Eckart-Besitz.

Wieder die Familie also. Fragt man Eckart nach Hobbys, verweist er auf die Kinder: vier Wochen Sommerurlaub im eigenen Haus in Bibione - die Kinder sind am Strand, er bastelt am Laptop sein Viertel weiter. Fragt man nach dem persönlichen Musikgeschmack spricht er von Klassik und Jazz. Aber zu Hause laufe alles, was Drei- bis 17-Jährige eben so hören, von "Bibi & Tina" bis Cro. Von verpflichtenden Opern-Besuchen erzählt er nichts.

Die Familie: Ihr verdankt er alles, sie bringt ihm auch den größten Schmerz. Im Januar 2014 verunglückt sein Sohn Paul beim Skifahren in Scheffau. Er fällt ins Koma, ringt tagelang mit dem Tod und stirbt schließlich mit nur 14 Jahren. Wenn Werner Eckart davon erzählt, blinzelt er ein wenig schneller, die grün-braunen Augen trüben sich kurz. "Der Tod war für mich kein Anlass, das hier infrage zu stellen", sagt er dann. "Im Gegenteil: Ich habe seitdem noch mehr Energie in das Werksviertel gesteckt." Das Ganze sei immer größer als ein Teil, hatte Eckart kurz zuvor beim Rundgang über das Gelände gesagt. Man möchte ergänzen: Die Familie ist größer als der Einzelne.

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