Von der Verräterin des Schönen zur Allrounderin der Avantgarde:Cellistin bei Deep Purple

Musikerin Fany Kammerlander spielt Bass bei Konstantin Wecker und musizierte schon mit dem Who is Who der internationalen Szene. Heute stehen Künstler Schlange, um von ihr gebucht zu werden

Von Karl Forster

Es gibt Kinder von Skilehrern, die nichts mehr hassen als Skifahren. Es gibt Kinder von Malern, die Hautausschlag bekommen, wenn sie auch nur einen Pinsel sehen. Und es gibt Kinder von Musikern, die sich, wollen sie denn überhaupt mit Klang arbeiten, dazu exakt jenen Sound aussuchen, der dem der Väter oder Mütter entgegengesetzt tönt. Bei der Cellistin Fany Kammerlander ist das ganz und gar nicht so. "Ich bin mit klassischer Musik aufgewachsen. Meine Eltern sind beide Musiker, die Mutter spielte Geige, mein Vater Bratsche, und mein Großvater leitete in Frankfurt ein Orchester. So war Musik für mich immer da. Sie war und ist mein Kosmos."

Kammerlander, 51, ist diesem Kosmos treu geblieben, nur dass sie ihn über die Grenzen der sogenannten klassischen Musik hinaus geweitet hat. Sie spielt Cello, neuerdings auch E-Bass, in unterschiedlichsten Konstellationen, unter anderem in der aktuellen Combo des Liedermachers Konstantin Wecker. Sie sorgt für das musikalische Programm, das in der Bar Gabányi jeden Donnerstag Freunde anspruchsvoller Musik unterschiedlichster Genres dorthin lockt. Und wenn es die Situation erlaubt, sitzt sie dort selbst auf der Bühne und spielt Klassisches, Romantisches oder Zeitgenössisches. Man kann sagen: Musik bestimmt das Leben von Kammerlander, und zwar so sehr, dass sie davon leben kann. Was nicht unbedingt selbstverständlich ist in diesem Metier.

Fany Kammerlander, geboren in Frankfurt am Main und im Alter von zwei Jahren, wie sie schelmisch sagt, nach Oberbayern "verschleppt", genauer gesagt, nach Rosenheim, ist eine elegante Erscheinung, wenn man das heute noch so feststellen darf. Die dunkelblonden Haare, auf der Bühne meist frei im Rhythmus fliegend, sind zum Schopf gebunden, das fast schulterfreie Kleid besticht durch dezenten Ton, am rechten Mittelfinger prangt ein Ring, dessen außergewöhnliche Form sich dadurch erklärt, dass er von Kammerlanders einstigem Lebensgefährten stammt, der in seinem Juweliergeschäft auch Selbstgefertigtes anbietet. Kammerlander bestellt grünen Tee im Mariandel, diesem hübschen Laden, unweit der Bar von Stefan Gabányi gelegen, ihrem derzeit zentralen Wirkungsort.

Rosenheim jedenfalls hat als Ort mit oberbayerischer Aura wenig Wirkung bei Kammerlander hinterlassen. Sie spricht ohne einen Hauch von Dialekt, aber auch ohne jeglichen Anflug von Künstlerallüre. Erzählt, wie das anfing mit der Musik, zuerst Geige, deren Gekrächze mochte sie nicht; dann Cello, und es war Liebe auf den ersten Blick. Eine solche Liebe, dass sie nach der Mittleren Reife die schlechte Note in Latein als Zeichen sah und die Aufnahmeprüfung am Richard-Strauss-Konservatorium absolvierte, selbstredend mit Erfolg.

Von der Verräterin des Schönen zur Allrounderin der Avantgarde: Seit einiger Zeit spielt die 51-jährige Musikerin Kammerlander auch E-Bass, singt oder zupft die Ukulele.

Seit einiger Zeit spielt die 51-jährige Musikerin Kammerlander auch E-Bass, singt oder zupft die Ukulele.

(Foto: PR)

Es folgte ein Studium, das Kammerlanders Liebe zur Kammermusik mehr und mehr vertiefte, eine Liebe, die bis heute wirkt. Sie spielte damals schon Bach mit großer Begeisterung, Mozarts Quartette mit Inbrunst, dazu gerne Schostakowitsch, Brahms und Modernes bis hin zu Zeitgenössischem. Nur für Boccherinis Cello-Konzerte mochte sie sich nicht erwärmen. Aber das muss ja auch nicht sein.

Doch hat sich früh schon ein Virus in Kammerlanders Seele eingenistet, der ihr Leben neben dem klassischen Klang des Cellos prägen und diesem Klang eine weitere Komponente hinzufügen sollte. Das geschah, als sie 14 war. Da nahmen sie Freunde mit in den Circus Krone, wo eine Band namens AC/DC zugange war. "Das war eine Offenbarung. Bis dahin kannte ich ja nichts außerhalb der klassischen Musik", sagt sie heute und erzählt lachend, wie damals dann ihr Vater 14 Tage lang nicht mit ihr geredet habe, mit dieser Verräterin des Guten und Schönen.

Das hat sich mittlerweile gelegt. Kammerlanders Vater geht, wann immer es passt, ins Konzert, wenn die Tochter etwa mit Konstantin Wecker auf der Bühne werkelt.

Nach dem Konzertabschluss am Konservatorium begann für die junge Cellistin Kammerlander der spannende Weg in neue musikalische Welten. Bald wusste man nicht nur in Münchens Avantgarde-Szene, dass es da eine Cellistin gibt, die nahezu alles spielen kann. "Nur nicht Jazz", sagt Kammerlander. "Aber wenn man mir ein Blatt mit Noten hinlegt, spiele ich das einfach runter." Die Liste der Musiker, mit denen Kammerlander nun zu arbeiten begann, liest sich wie das Who is Who der Münchner und auch der internationalen Szene anspruchsvollen Klangs.

Natürlich sind die sechs Wochen zusammen mit Deep Purple auf deren Orchestertour der spektakulärste Eintrag in ihrem Portfolio. Aber da stehen auch Namen wie Bill Frisell, das ist einer der aufregendsten Gitarristen zwischen Neuer Musik und Jazz; John Zorn, der große Experimentator aus New York, der Münchner Komponist Josef Anton Riedl, ein Klangpoet sonder Güte, Thomas Wollenweber und all die Musiker rund um das Münchner Modern String Quartet, Michael Weiss von der Cello Mafia (mit der Kammerlander auch einige Zeit lang zu Gange war). Oder, ganz andere Baustelle, Markus Wolf, Erster Konzertmeister des Bayerischen Staatsorchesters, ein Österreicher, dessen ganzer Körper, kaum klemmt die Geige am Kinn, zu Musik zu werden scheint. Die Liste wäre beliebig lang fortzusetzen. Nicht zuletzt mit Quadro Nuevo, Mulo Francels famoses Weltmusik-Quartett, in dem Robert Wolf die Gitarre schlug, bevor er durch einen unverschuldeten Verkehrsunfall querschnittsgelähmt war. Er war einer der Lieblingskollegen von Kammerlander.

So weitete sich das musikalische Spektrum der Cellistin, wobei sie selber auch kräftig nachhalf. Zwar wusste und weiß sie natürlich auch um die erotische Wirkung des Cellospiels. Wohl kein Instrument kommt dem Körper des spielenden Künstlers näher als das Cello, keines geht eine intimere Beziehung mit ihm ein. Selbst Udo Lindenberg dichtete ein Lied namens "Cello": "Ich saß immer in der ersten Reihe / Und fand dich so erregend. . ." Und Sol Gabetta, Kammerlanders sehr präsente Kollegin, bringt die Sache auf den Punkt: "Ich tanze mit meinem Cello." Wer Kammerlander auf der Bühne beobachtet, sieht da durchaus Ähnlichkeiten. Aber hier im Gespräch biegt sie das Thema schnell und elegant ab und erzählt lieber, wie sie zum einen die Musik in die Bar Gabányi bringen konnte, zum anderen von Konstantin Wecker um Mithilfe bei der Bühnenarbeit gebeten wurde. Letzteres schien recht einfach gewesen zu sein. Man traf sich musikerseits, also die ganze Mischpoke, die auch das Nockherberg-Singspiel über Jahre prägte, meist bei Charles Schumann. Da wurden dann Pläne geschmiedet etwa zu Filmmusiken, wurden Studiojobs ausgekartelt oder Konzertprogramme entworfen. Irgendwann kam das Thema auf, dass Wecker wieder auf Tour gehen wolle, wie so oft mit neuen Musikern. "Da trafen wir uns zum Essen, und nach ein paar Gläsern Weißwein war die Sache klar." Vorspielen? "Ich weiß, dass du gut spielen kannst. Da bin ich mir ganz sicher", habe Konstantin Wecker gesagt. Das war vor vier Jahren.

Von der Verräterin des Schönen zur Allrounderin der Avantgarde: Combo mit Cello: Fany Kammerlander (zweite von links) bei einem Konzert mit der Band von Konstantin Wecker (ganz links).

Combo mit Cello: Fany Kammerlander (zweite von links) bei einem Konzert mit der Band von Konstantin Wecker (ganz links).

(Foto: Hans Eder/oh)

Derzeit ist Kammerlander mit dem Liedermacher, der im vergangenen Jahr seinen 70. Geburtstag gefeiert hat (natürlich auf der Bühne) auf dessen fünfter Tour dabei. Wecker wusste schon immer um die Wirkung des Cellos. Bereits beim Team Musikon, seiner großen Combo vor etwa 40 Jahren, strich eine Cellistin die Saiten. Heute macht das eben Fany Kammerlander, die aber auch gerne zur Ukulele greift oder zum E-Bass, dem sie sich ebenso verschrieben hat wie einer komplexen Technik, mit der sie den Ton des Cellos elektronisch zu modulieren weiß.

Natürlich hat auch der Booking-Job in der Bar Gabányi mit dem Schumann's zu tun. Stefan Gabányi wirkte dort viele Jahre als guter Geist des Chefkellnerwesens mit Hang zu Schöngeistigem, was beispielsweise seine sehr lesenswerten Essays etwa über Whisky beweisen. Außerdem hat er schon lange vor der Zeit bei Schumann in der legendären Kneipe Randstein hinterm einstigen Schwabylon bewiesen, dass er mit den schwarzen und weißen Tasten des Klaviers prächtig umzugehen weiß. Und weil eben die Musikerclique um Kammerlander regelmäßig im Schumann's tagte (eher: nachtete), kam man sich auf der kulturellen Ebene auch mit dem dienstbaren Geist Gabányi nahe. Als dann, nicht ganz unvorhersehbar, der Münchner Multikünstler Anderl Lechner seine Aurora Bar am Beethovenplatz in den Sand gesetzt hatte, wusste Stefan Gabányi: Das ist die Chance, seinen Traum von einem eigenen Laden zu verwirklichen.

Das war im Sommer 2012. Und von Anfang an war klar: Hier wird es auch Musik geben. Kein Jazzclub wie die Unterfahrt sollte es werden, kein Bluesschuppen wie das Hide Out. Hier soll Musik erklingen, die einen voll gefangen nimmt, die einen zum Zuhören zwingt, die mindestens so viel Qualität hat wie die Drinks, die man serviert. Und es gab da eben diese eine Person, die solche Musik organisieren oder, wenn nötig, auch selber produzieren kann: Fany Kammerlander.

Heute muss die Bookerin Kammerlander nicht mehr groß umher telefonieren oder Rundmails schicken auf der Suche nach Musikern für die Barbühne, heute stehen die Künstler Schlange, um am Donnerstagabend hier für Kunst am Klang zu sorgen. Da gibt es dann schon mal Mozarts Es-Dur-Konzertante in einer Transkription für Sextett oder Schuberts Forellenquintett, natürlich mit Kammerlander am Cello. Neulich nun saß sie auf der Bühne des Prinzregententheaters. Der Multiinstrumentalist und Klangkünstler Martin Kälberer hatte zum Konzert geladen, um seine neue CD "Baltasound" vorzustellen, auf der das Cello eine wichtige Rolle spielt. "Das ist mein neues Herzensprojekt", sagt Kammerlander.

Die 51-Jährige hat eine Tochter. Alena ist 24 Jahre alt. Musik oder nicht Musik? Musik: ja, Bühne: nein. "Das wäre für sie der Horror." Die Tochter hat gerade das Studium Musikmanagement am Liverpool Institute for Performing Arts mit dem Bachelor beendet. Das ist quasi eine Art Harvardyalestanford der Musik, gegründet 1996 von Paul McCartney. Es wäre also durchaus möglich, dass demnächst die Tochter das Management für die Mutter übernimmt.

Wibke Puls & Ivica Vukelic, "Leonard Cohen - das Lieblingsspiel", 12. Juli; Surfer Boys & the Girl mit Fany Kammerlander, 19. Juli live in der Bar Gabányi, jeweils 21 Uhr, Beethovenpl. 2

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