Volksmusik-Star Helene Fischer:Miss Makellos

Sie ist das Fräuleinwunder der Volksmusik. Fans geben bis zu 70 Euro aus, um Helene Fischer live zu erleben. Dafür bekommen sie nicht einfach eine Sängerin. Die 28-Jährige ist Tänzerin und Entertainerin, gute Freundin und Vamp, Darstellerin ihres eigenen Musicals und Rockröhre. Das ist dann doch zu viel des Guten.

Tobias Dorfer, München

Konzert Helene Fischer

Schafft es, selbst in Pumps ansehnlich zu tanzen: Sängerin Helene Fischer bei einem Konzert in Berlin.

(Foto: dapd)

Natürlich ist der Auftritt in München etwas ganz Besonderes. Das sagt Helene Fischer am Anfang und schaut mit treuen Augen in die Olympiahalle. Es ist das 25. Konzert ihrer aktuellen Tour. Halbzeit.

Seit Monaten ist die Halle ausverkauft, die knapp 10.000 Besucher haben bis zu 70 Euro für ein Ticket ausgegeben. Sie feiern ihren Star: Helene Fischer, das Fräuleinwunder des deutschen Schlagers, Echo-Preisträgerin, ausgezeichnet mit Goldener Henne, Goldener Kamera, der Krone der Volksmusik und gesegnet mit einer Fangemeinschaft, die Hunderttausende ihrer Platten kauft und die 28-Jährige zu einer der erfolgreichsten Sängerinnen der Republik gemacht hat. "Von Herzen ganz viel Spaß", wünscht Fischer der Fangemeinde. Dann singt sie "Ich brauch keine Villa in der Schlossallee".

Der deutsche Schlager ist tot, hieß es noch vor einigen Jahren. Die legendäre ZDF-Hitparade? Eingestellt im Jahr 2000. Die Branchen-Gala "Goldene Stimmgabel"? Flimmerte 2007 zum letzen Mal über die Bildschirme. Dieter Thomas Heck, der beide Sendungen moderierte, machte zuletzt allenfalls als CDU-Wahlkämpfer oder als Kritiker von Thomas Gottschalk auf sich aufmerksam.

Wie passt das zusammen mit den 300.000 Tickets, die für Helene Fischers Europatournee verkauft wurden?

Eine gehörige Portion heile Welt

Helene Fischer, das kann man durchaus so sagen, ist das Produkt ihres ziemlich gewieften Managers Uwe Kanthak sowie des Musikproduzenten Jean Frankfurter, der schon für Schlager-Sternstunden wie "Michaela" von Bata Illic verantwortlich war und Stefanie Hertel den Titel "Über jedes Bacherl geht a Brückerl" auf den Leib geschrieben hat.

Natürlich kommt auch Helene Fischer nicht ohne eine gehörige Portion heile Welt aus. In ihren Liedern, die alle ziemlich ähnlich klingen, reimt sich "gut" auf "Mut" und "Leid" auf "Seelenkleid" und wenn die eigenen Titel wie "Ich lebe jetzt" oder "Von hier bis unendlich" alleine das Glücksbedürfnis nicht befriedigen können, wird in den Konzerten auch mal mit Schnulzen aus Disneys "Pocahontas" und "Die Schöne und das Biest" nachgeholfen.

Im Hintergrund flimmern dann die entsprechenden Szenen aus dem Zeichentrickfilm. Sogar das Mikrofon von Helene Fischer glitzert, als hätte ein fleißiger Bühnenarbeiter vor dem Konzert noch schnell eine Ladung Svarovski-Kristalle draufgeklebt. Es ist ziemlich perfekt, was in dieser Hightech-Show auf die Bühne gebracht wird.

Da ist diese attraktive junge Frau, die selbst in Pumps ansehnlich tanzt. Die sich wie ein Schneekönig über jeden Schokohasen und jeden selbstgebastelten Papierdrachen freut, der aus dem Publikum nach oben gereicht wird. Und auf deren Stirn selbst nach drei Stunden körperlicher Hochleistung kein einziges Schweißtröpfchen zu sehen ist. Und am Ende vergisst sie nicht einmal, ihren Bühnenarbeitern zu danken, den Technikern; die Tänzer und Musiker werden sogar einzeln vorgestellt und mit warmen Worten bedacht.

Es wäre nicht erstaunlich, wenn Helene Fischer im nächsten Ranking "Deutschlands beste Arbeitgeber" einen Spitzenplatz belegen würde. Die Frau bietet keine Angriffsfläche. Keine Skandale, keine Affären, seit Jahren liiert mit dem Sänger und Moderator Florian Silbereisen (der sich sogar ihr Gesicht auf den Oberarm tätowieren ließ).

Ein Reporter der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung hat sich kürzlich auf die Suche nach einem Makel der Sängerin begeben. Das Resultat dieser Recherche: Helene Fischer sei "nicht zickig", im Gegenteil, sie gebe sogar auf "komische Fragen" vernünftige Antworten und bodenständig sei sie auch noch: Im Bordrestaurant des ICE bestellt die Sängerin nach einem Auftritt in Köln Erbsensuppe und Bionade, heißt es in dem Text. Und vor dem Schlafengehen findet sie sogar noch Zeit, in einem Buch zu lesen: "Die weißen Lichter von Paris", ein Historienroman.

Das einzig Unperfekte an einem perfekten Abend

Pause in der Olympiahalle. Am Souvenirstand ist noch etwas Platz, möglicherweise weil die CDs noch nicht da sind, wie die Verkäuferin bedauernd sagt. Vielleicht sind die nicht vorhandenen CDs das einzig Unperfekte an diesem Abend. Aber es gibt ja ohnehin genügend Alternativen: die Helene-Fischer-Tasse für 15 Euro, die Helene-Fischer-Pudelmütze für 25 Euro oder den Helene-Fischer-Schlüsselanhänger für 20 Euro.

Nicht zu vergessen das Hochglanzmagazin "Paradies by Helene Fischer", das schon für zehn Euro zu haben ist. In dem von Manager Kanthak herausgegebenen Heft wird Helene Fischer so inszeniert, wie ihre Fans sie sehen sollen. Da darf sie sich von Markus Lanz in sexy Posen fotografieren lassen. Dazu: Helene Fischer mit Pferden, Helene Fischer im Boxring, Helene Fischer und ihre Personality-Show in der ARD, Helene in Madame Tussauds Wachsfigurenkabinett.

Zwei Frauen stehen am Stand und tauschen ihre Fan-Erlebnisse aus. Nach jedem Konzert würde sie Helene Fischer einen Brief schreiben, erzählt eine. Manchmal per Post. Doch ab und an würde sie den Brief einfach bei Helenes Freund Florian in den Briefkasten werfen. Schließlich wohne sie selbst wie Silbereisen im niederbayerischen Tiefenbach. Auf die Briefe habe Helene Fischer aber bislang nicht geantwortet. Kein Problem, sagt ihre Gesprächspartnerin und zückt ihr Smartphone. Dort hat sie die "private E-Mail-Adresse" der Sängerin notiert, die sie bereitwillig weitergibt.

"Du siehst aber süß aus"

Wer Helene Fischer in München erlebt, mag sich kaum vorstellen, dass sie auch nur einen einzigen Fanbrief nicht persönlich beantwortet. "Das werde ich später auspacken", sagt sie, als eine Frau ihr ein kleines Päckchen hochreicht. "Du siehst aber süß aus", schmeichelt sie einem anderen Fan. Und dann gibt es noch einen Tipp an alle Eltern: "Lasst die Kinder kreativ sein!"

So wie Helene Fischer, die im Alter von vier Jahren mit ihrer Familie aus Sibirien nach Deutschland kam, und damals auch kreativ sein, die Stage & Musical-School in Frankfurt am Main besuchen und Musik machen durfte. "Danke Mama und Papa", ruft sie in ihr Glitzer-Mikrofon.

Im Publikum sitzen nicht nur gutgelaunte Single-Frauen Anfang 50, Dauerwellenträgerinnen nebst bester Freundin und Rentner-Ehepaare. Die Anhängerschaft ist bunt gemischt: Kinder, Gruppen junger Männer, die verdächtig nach Junggesellenabschied aussehen, Mittzwanziger beiderlei Geschlechts. Sie alle sind im Schmachten vereint.

Sogar ein prominenter Besucher hat sich an diesem Abend in der Olympiahalle eingeschlichen: Schlagerkollege Semino Rossi. Es würde nicht wundern, wenn plötzlich Carmen Nebel auf die Bühne kommen oder das Deutsche Fernsehballett hinter den Kulissen hervorhopsen würde.

Fischer hält inne. Erzählt ihrem Publikum vom prominenten Besuch und bittet ihre Fans, Semino Rossi doch bitte während der Show in Ruhe zu lassen. Dann schmeichelt sie dem Kollegen, er könne was und sie möge Menschen, die was können und deshalb verehre sie ihn.

Dabei schwebt sie längst in anderen Sphären. Helene Fischer füllt problemlos die Hanns-Martin-Schleyer-Halle in Stuttgart und die O2 World in Berlin und kommendes Jahr die Veltins-Arena in Gelsenkirchen. Ihre Tänzer sind in Los Angeles gecastet und die Bühne wurde in den USA konzipiert. Drunter geht es nicht mehr. Semino Rossis Tournee startet im November 2013 in der Stadthalle von Deggendorf.

Zu viel des Guten

Helene Fischer ist nicht nur eine Sängerin, sie ist in ihren Konzerten Tänzerin und Entertainerin, gute Freundin und Vamp, Darstellerin ihres eigenen Musicals und Rockröhre - und das ist dann doch zu viel für eine einzige Show. Was stört, ist besonders die ziemlich willkürlich zusammengestellte Liedauswahl. Munter wechselt Helene Fischer zwischen eigenen Songs und Coverversionen, baut ein zwanzigminütiges Medley aus dem Musical "Grease" ein und untermalt eine furiose Lasershow mit dem schwedischen Eurovision-Siegertitel "Euphoria".

Dann kramt sie Whitney Houstons Schmachtballade "I will always love you" heraus und singt den James-Bond-Song "Goldeneye" von Tina Turner. Irgendwann erklingt gar noch das Intro von "Sweet Dreams", doch dann sieht Fischer dankenswerterweise davon ab, jetzt auch noch ein Lied der Eurythmics zu singen und stimmt lieber ihren Titel "Vergeben, vergessen und wieder vertrau'n" an.

Das alles ist zu viel des Guten. Denn Helene Fischer ist nicht Tina Turner und auch nicht Whitney Houston - was, trotz aller Perfektion und dem ansprechenden Stimmvolumen, deutlich zu hören ist. Und warum gerade diese Coversongs? Weil sie Helene Fischer besonders gut gefallen? Weil sie im Radio rauf und runtergespielt werden?

Diese Frage bleibt unbeantwortet. Dem Publikum ist das egal. Frenetisch wird jeder Song bejubelt. Wahrscheinlich könnte Helene Fischer auch ein Medley altdeutscher Wanderlieder singen oder "Alle meine Entchen", ohne dass der Jubel leiser würde. Wie heißt es doch so schön in einem ihrer Titel: "Wer wirklich liebt, spürt die Zweifel nicht."

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