Volkskrankheit Demenz:Allianz gegen das Vergessen

Herbstspaziergang mit Pfeife

Foto: Frank Rumpenhorst/dpa, Bearbeitung: Dennis Schmidt

München ist ein Zentrum der Alzheimer-Forschung, doch die Wissenschaftler tun sich schwer, eine Therapie zu finden. Getestet wird derzeit eine Art Impfung, die den Ärzten Hoffnung macht

Von Stephan Handel

Aber selbstverständlich gibt es ein Mittel zur Vorbeugung gegen Alzheimer! Es stammt von dem amerikanischen Neurologen Dennis Selkoe, und es wirkt annähernd 100-prozentig: Wenn man verhindern wolle, Alzheimer zu bekommen, dann gelte es, nur eine Regel zu befolgen, sagte Selkoe: "Such dir die richtigen Eltern aus und stirb früh."

Das hat er natürlich nur halb ernst gemeint, weil die eine Hälfte des Ratschlags sich der Einflussnahme entzieht und die andere nicht erstrebenswert ist - der Satz zeigt aber exemplarisch das Dilemma von Alzheimer-Forschung und Therapie. Mehr als 100 Jahre, nachdem Alois Alzheimer die Veränderungen im Gehirn zum ersten Mal beschrieb, hat sich zwar einiges getan, sind Forscher auf der ganzen Welt ein gutes Stück vorangeschritten in ihrem Verständnis der Krankheit. Auch was die Prävention angeht, ist vieles inzwischen anerkannt, anderes als nicht hilfreich wieder verworfen worden. Nur: Eine Heilung der Alzheimer-Krankheit, wenn sie denn erst einmal ausgebrochen ist, existiert bis heute nicht.

Das liegt gewiss nicht daran, dass zu wenig geforscht wird - das Problem ist weltumspannend; es wird auf lange Sicht immer mehr Patienten geben, weil die Menschen immer länger leben, und so haben etwa Pharma-Unternehmen allein schon aus ökonomischen Gründen ein hohes Interesse daran, Mittel, Medikamente, Therapien zu finden. Und Psychiater, Molekularbiologen, Genetiker, Neurologen, Hirnforscher - wer ein richtiger Arzt ist, wird es schwer ertragen können, dass Millionen Menschen an einer Krankheit leiden, und die Medizin kann ihnen nicht helfen. Rund 700 000 Menschen sind in Deutschland an Alzheimer erkrankt, jedes Jahr kommen mehr als 100 000 dazu.

München spielt auf der Weltkarte der Alzheimer-Forschung durchaus keine unbedeutende Rolle - die beteiligten Wissenschaftler sprechen sogar von einem "Hot Spot". Der organisiert sich in der "Munich Memory Alliance". Dazu zählen: die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Klinikum rechts der Isar, das Alzheimer-Gedächtniszentrum der LMU sowie das Institut für Schlaganfall und Demenz-Forschung, ebenfalls zur LMU gehörend, das am Campus Großhadern vor kurzem in einem neuen Gebäude, fast 60 Millionen Euro teuer, sein Forschungszentrum in Betrieb genommen hat. Mit dabei sind außerdem die Deutsche Gesellschaft für Neurodegenerative Erkrankungen und die Münchner Alzheimer-Gesellschaft.

Die Zahl der Wissenschaftler, die sich in München mit Alzheimer beschäftigen, geht sicher in die Hunderte. Sie untersuchen die Erkrankung, um die Krankheit zu verstehen - übrigens eine Unterscheidung, auf die Alois Alzheimer selbst penibel achtete: Die Erkrankung, das sind der Patient und seine Symptome. Die Krankheit, das sind Ursachen, die Auslöser, die Gründe dafür.

Bislang weiß man, dass für die Degeneration des Gehirns ein Protein verantwortlich ist, Amyloid, beziehungsweise eine Abart davon: Für gewöhnlich besteht das Protein aus 40 Aminosäuren, ist zwar ein Gift im Körper, wird aber problemlos abgebaut. In bestimmten Fällen aber setzt es sich aus 42 Aminosäuren zusammen. Das hat zur Folge, dass es von der körpereigenen Müllabfuhr nicht mehr weggeräumt werden kann. Es verklumpt und bildet die sogenannten Plaques, die Alois Alzheimer 1906 im Gehirn seiner Patientin Auguste Deter fand und beschrieb. Diese Plaques führen zum Tod der Gehirnzellen, zum Verlust des Gedächtnisses und der Erinnerung, zum Absinken ins Dunkel des sich selbst nicht mehr Bewussten.

So weit, so erforscht. Warum aber entstehen bei manchen Menschen diese Plaques - und bei anderen nicht? Hans Förstl, Direktor der Psychiatrie am Rechts der Isar, hält Alzheimer für eine unausweichliche Alterserscheinung: "Mit zunehmendem Alter geht die Wahrscheinlichkeit der Erkrankung gegen 100 Prozent" - es sei denn, der Mensch stirbt vorher. Das Fatale ist, dass der Prozess lange begonnen hat, bis der Patient zum ersten Mal merkt, dass etwas nicht stimmt, und dann ist es zu spät, abgestorbene Gehirnzellen sind für immer verloren. Deshalb sucht Peter Falkai an der Psychiatrischen Klinik der LMU nach sogenannten Bio-Markern, Hinweisen im Körper des Patienten, die vom Beginn der Krankheit künden. Was geschehen soll, wenn solche Marker gefunden wären, ist unklar: Soll man dem Patienten die grausame Wahrheit mitteilen, auch wenn es noch viele Jahre dauern kann, bis sich die ersten Symptome zeigen? Lässt sich in diesem Stadium etwas tun, um auf die Bremse zu treten, den Fortschritt des Niedergangs aufzuhalten?

Man kann freilich auch das ganze Alzheimer-Gerede und die Schreckensszenarien zu großen Verschwörung erklären, von der Pharma-Industrie natürlich, die mal wieder nur ans Geschäft denkt, und wenn man diese wunderbare Theorie - natürlich ohne ans Geschäft zu denken - ausreichend aggressiv vermarktet, dann schafft man es damit sogar bis auf die Spiegel-Bestsellerliste. So wie Michael Nehls, der die "Alzheimer-Lüge" geschrieben hat und "Alzheimer ist heilbar". Man müsse sich nämlich nur gesund ernähren, ausreichend schlafen und sich nicht stressen lassen - schon werden sämtliche Alzheimer-Forscher der Welt arbeitslos.

Daran ist richtig, dass eine gesunde Lebensweise grundsätzlich besser ist als eine ungesunde. Christian Haass aber, der das Centrum für Schlaganfall- und Demenzforschung in Großhadern leitet, tut sich angesichts solcher Thesen schwer, die Beherrschung zu behalten: "Man kann Herrn Nehls nur wünschen, dass er selbst niemals vor einem unheilbar kranken Alzheimerpatienten in seiner Familie steht oder gar selbst erkrankt. Dann würde auch er sich ein wirksames Medikament wünschen." Dieses wirksame Medikament ist nicht in Sicht - jedoch arbeiten Haass und andere gerade an einer Methode, die ihnen und den Patienten Hoffnung macht. Es ist sozusagen eine Impfung gegen Alzheimer: Die Patienten bekommen Antikörper, die die Plaques für die körpereigenen Fresszellen markieren - als würde jemand durch die afrikanische Steppe laufen und jeder Antilope eine Fahne umbinden, als Zeichen für die Löwen: Hier gibt's was zu essen. Die Methode hat sich im Reagenzglas und an Tieren als wirkungsvoll erwiesen, nun läuft die so genannte Phase III: Studien mit menschlichen Patienten, die Ergebnisse, sagt Haass, sind erfolgversprechend.

Daneben gibt es jede Menge Versuche zur Prävention, vom Gehirntraining bis zum exzessiven Genuss von Ginkgo biloba. Von den meisten ist zu sagen: Wenn's schon nichts hilft, dann schadet's wenigstens nicht. Aus einer gewissen Hilflosigkeit heraus werden sogar - nicht in München, aber anderswo - die entlegensten Risikofaktoren untersucht, wobei unter anderem herauskam, dass Leute, die viel fernsehen, eher an Alzheimer erkranken als andere. Ob die Wahl des Senders dabei eine Rolle spielt, wird nicht mitgeteilt. Das wäre jedenfalls einfach: nicht mehr RTL gucken - wenn man sich schon seine Eltern nicht aussuchen kann und auch nicht früh sterben will.

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