Viktualienmarkt:Sterneköche statt Bierstüberl

Der Viktualienmarkt wandelt sich: Rund um die Stände haben im vergangenen Jahr neue Lokale eröffnet, die den Platz zu einem Treffpunkt für Gourmets machen. Platz für Boazn gibt es da kaum noch.

Von Franz Kotteder

"Ganz hervorragend! Da musst du hingehen!" Zwei Sätze, die man in München nicht oft hört, wenn es um ein vegetarisches Restaurant geht. Insbesondere dann nicht, wenn es sich beim Sprecher um jemanden handelt, der durchaus gerne und mit Lust Fleisch und Fisch verspeist. In München kann man diese Sätze aber derzeit hören, wenn Gourmets und Gastronomen über das Restaurant Tian am Viktualienmarkt reden.

Es handelt sich da um ein vegetarisches Restaurant der Spitzenklasse, einen Ableger des gleichnamigen Restaurants in Wien, das sogar einen Stern im Guide Michelin und soeben erst drei Hauben im Gault&Millau bekommen hat, ungewöhnliche Auszeichnungen für einen Vegetarier (weltweit haben überhaupt nur vier einen Stern bekommen). Das Münchner Tian ist Teil des Ende September eröffneten Derag-Living-Hotels in der Frauenstraße 4 und bietet alles vom Frühstück bis zum Sechs-Gang-Abendmenü. Das Lokal erstrahlt in lichtem Weiß und sanftem Grün, geradezu ein Raum gewordenes Sinnbild für Eleganz, Einfachheit und Entschleunigung.

Viele Restaurants werden von Österreichern betrieben

Das Tian ist der bislang letzte Höhepunkt in der Umwandlung des Viktualienmarkts zum Zentrum für die etwas anspruchsvollere Gastronomie in der Altstadt. Seit etwa einem Jahr eröffnet ein Lokal nach dem anderen rund um den Markt, das den Anspruch hat, gehobene Küche zu bieten.

Das ist eine erstaunliche Karriere für den seit mehr als 200 Jahre existierenden Markt im Herzen der Stadt. Früher einmal standen hier ein Irrenhaus und eine Krankenanstalt, drumherum waren Freudenhäuser drapiert, darunter sogar ein kommunales unter Führung des Magistrats. Erst König Max I. Josef erließ am 2. Mai 1807 die "allerhöchste Entschließung", den städtischen Markt vom Marienplatz ums Eck auf den Hof des Heiliggeistspitals zu verlegen. Seither kaufen die Münchner dort frische Lebensmittel ein, und es steht zu vermuten, dass sie wegen ihres Hangs zum Granteln damals schon über die Preise jammerten. "Da kannst as Gmias ja glei in der Apothekn kaufa", lautet ein geflügeltes Münchner Wort über den Viktualienmarkt von Alters her.

Boazn wie das Heiliggeiststüberl werden verdrängt

Jetzt, so scheint es, kann der Münchner auch gleich in der Apotheke essen. In einem der Lokale wurde gar ein Schnittlauchbrot für 7,80 Euro gesichtet. Auch wenn das als Ausreißer gilt: Die neuen Restaurants werden nicht von Billigheimern betrieben. Eher von Österreichern. So gehört der Steirer am Markt, Nachfolger des recht rustikalen Wirtshauses Löwe am Markt, zwar den Wirtebrüdern Werner und Dieter Hochreiter vom Biergarten am Viktualienmarkt, aber es kocht ein Österreicher, und Küche und Keller werden ebenfalls aus dem Nachbarland und speziell aus der Steiermark bestückt. Eine Ecke weiter, an der Frauen-/Westenriederstraße hat der Grazer Großgastronom Franz Grossauer eine Münchner Filiale seines gehobenen Steakhauses El Gaucho eröffnet. Als Geschäftsführer holte er sich Gerd Schmitz, der zuvor bei dem ehemaligen Wiesnwirt Sepp Krätz tätig war.

Und das Tian ist letztlich auch ein Gastro-Unternehmen aus Wien. Die anderen Neulinge sind Münchner Hausgewächse: Die Ferkelei an der Prälat-Zistl-Straße ist ein Ableger des Augustiner-Marktwirts in der Heiliggeiststraße, der Kleinschmecker am kleinen Sebastiansplatz das Gourmet-Startup von ein paar jungen, ambitionierten Gastronomen, die sich gehobene Küche zum Ziel gesetzt haben, und die Marktschänke an der Frauenstraße ist ein Ableger der Perlacher Forschungsbrauerei.

Damit wären die wesentlichen, neuen Lokale benannt, die die gastronomische Szene am Viktualienmarkt binnen kurzer Zeit umgekrempelt haben. Es ist zwar nicht so, dass es dort bisher keine höherwertige Gastronomie gab - sie beschränkte sich nur auf einige wenige Lokale.

Sterneköche aus dem Ausland

Etwa das Restaurant des Hotels Blauer Bock am Sebastiansplatz 9. Hotelchef Stefan Grosse hat es vor zehn Jahren eröffnet und den Witzigmann-Schüler Hans Jörg Bachmeier als Chefkoch geholt. In Sachen hochwertiger Gastronomie ist der Blaue Bock wohl das beste Haus am Platze. Grosse und Bachmeier holen auch immer wieder mal Sterneköche aus dem Ausland zu Gastspielen in die Küche. Dieses Wochenende ist zum Beispiel noch der Schweizer Eduard Hitzberger zu Besuch und kombiniert unter anderem Hummer mit Schweineschnauze und pochiertes Ei mit Hahnenkämmen und schwarzem Trüffel.

Stefan Grosse sieht die gastronomische Aufwertung des Viktualienmarkts durchaus mit Wohlgefallen. "Der Kuchen ist in München groß genug", sagt er, "höchstens ganz oben, an der Spitze, bei den Sternerestaurants, gibt es inzwischen fast zu viel Platzkapazität." In den Ebenen darunter sei noch genug Luft für alle. So vertrage der Markt ja offenbar auch zwei Steakrestaurants, mit dem schon länger ansässigen Goldenen Kalb und dem neuen El Gaucho, das Anfang September aufmachte. Dessen Geschäftsführer Gerd Schmitz ist auch "ganz zufrieden", wie er sagt. Das Goldene Kalb sieht er auch gar nicht so als Konkurrenz: "Wir grillen auf Gas, die auf Holzkohle. Und wir haben uns auch ganz bewusst auf österreichisches Dry-Age-Beef und argentinische Steaks beschränkt."

Weniger anspruchsvolle Gastronomie verschwindet

Das El Gaucho scheint jedenfalls wesentlich besser zu laufen als sein Vorgänger, ein Mexikaner. Überhaupt ist ein gewisser Verdrängungseffekt zu beobachten: Die weniger anspruchsvolle Gastronomie verschwindet nach und nach. Nicht der Marktstadl an der Westenriederstraße, der als beliebter erster Anlaufpunkt für Strafentlassene aus Stadelheim gilt und somit ein gewisses Alleinstellungsmerkmal hat. Aber das beliebte Heiliggeiststüberl muss im Mai 2015 schließen, nach vielen Jahrzehnten aufopferungsvoller und verdienstvoller Pflege von alteingesessenen Münchner Boaznhockern.

Die jedenfalls werden wohl kaum in ein Lokal wie das Tian umziehen, in dem es zum Beispiel eine Steckrübe mit Estragon, Romanesco-Salat und Ur-Möhre für 17 Euro gibt. Auch wenn das viel besser schmeckt, als es klingt.

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