Videoüberwachung in München:Stadt der 10 000 Augen

  • Mehr als 9200 Kameras erfassen in München den öffentlichen Raum, ergibt eine Umfrage der Süddeutschen Zeitung.
  • Bayerns Innenminister Herrmann will noch mehr Anlagen einrichten.
  • Kritiker bemängeln, dass Kameras keine Straftaten verhindern. Zudem ist unklar, wer die Live-Bilder der Kameras überhaupt noch im Blick haben soll.
  • Zahlreiche Privatpersonen und Firmen richten ebenfalls Objektive auf ihre jeweilige Umgebung - Zahlen dazu gibt es nicht.

Von Florian Fuchs, Melanie Staudinger, Nicholas Steinberg und Marco Völklein

Wer sich in München im öffentlichen Raum bewegt, wird von Tausenden Überwachungskameras erfasst. Nach einer Umfrage der Süddeutschen Zeitung betreiben allein die Verkehrsunternehmen, die Polizei, die städtischen Verkehrsüberwacher und die Ministerien des Freistaats mehr als 9200 Kameras, um den öffentlichen Raum im Visier zu haben. Und ihre Zahl dürfte steigen: Neben Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) haben auch die Betreiber von U- und S-Bahnen angekündigt, noch mehr Anlagen zu installieren. Kritiker fragen sich bereits, wer das ganze Bildmaterial noch auswerten soll.

Allein die Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG) und die Deutsche Bahn (DB) als Betreiberin der S-Bahn unterhalten jeweils etwa 4400 Kameras in Fahrzeugen und Bahnhöfen. Die Videos aus den Bussen und Bahnen werden aber nur aufgezeichnet; Sicherheitspersonal hat sie nicht im Blick. Erst wenn etwas passiert ist, etwa ein Überfall, greifen Polizei und Staatsanwaltschaft auf die Aufnahmen zu.

Verkehrsleitzentrale der Stadt München, 2013

Von der Leitzentrale in Moosach aus überwacht die Stadt den Verkehr. Zudem nutzt die Polizei die Kameras, um "virtuell Streife zu fahren".

(Foto: Catherina Hess)

Anders dagegen sieht es in den Bahnhöfen aus: So hat die MVG alle ihre 100 U-Bahn-Stationen mit Kameras ausgerüstet. Diese zeichnen nicht nur auf, vielmehr verfolgen Mitarbeiter der U-Bahn-Wache in der MVG-Zentrale in Moosach an Monitoren das Geschehen. Ähnlich bei der Bahn: Sicherheitsleute beobachten live die Bilder aus den großen Stationen Hauptbahnhof, Pasing und Ostbahnhof sowie aus den Bahnhöfen entlang des S-Bahn-Tunnels - und können notfalls Polizei oder eigene Streifen alarmieren. Zudem kann sich bei der DB die Bundespolizei, bei der MVG die Landespolizei auf die Übertragungen aufschalten.

Extra-Kameras für Wiesn und Christkindlmarkt

Das Münchner Polizeipräsidium hat zudem sechs stationäre Kameras, um damit "Kriminalitätsschwerpunkte" zu überwachen - etwa den Stachus. Gesteuert und überwacht werden diese aus der Einsatzzentrale an der Ettstraße. Die Beamten können so nah heranzoomen, dass auch Porträtaufnahmen einzelner Personen möglich sind. Zudem setzt die Polizei zeitweise Kameras ein - während der Wiesn 19 Stück und während des Christkindlmarkts am Marienplatz zwölf Geräte.

Polizisten sitzen auch in der städtischen Verkehrsleitzentrale an der Schragenhofstraße in Moosach. Von dort aus überwachen sogenannte Operatoren den Verkehr und greifen etwa bei Unfällen in Tunneln ein. 300 Kameras gibt es dafür in den Autoröhren, 100 weitere sind oberirdisch auf Straßen und Kreuzungen ausgerichtet. Polizisten wiederum nutzen das, um "virtuell Streife zu fahren", wie ein Präsidiumssprecher sagt. "Sie beobachten den Verkehr und alarmieren Kollegen im Einsatzwagen, wenn sie Verdächtiges entdecken."

Geht es nach Innenminister Herrmann, dann sollten diese Möglichkeiten noch öfter genutzt werden. Erst im Sommer hatte er die Verkehrsunternehmen aufgefordert, mehr Kameras zu installieren. Und die kommen dem nach: So will die Bahn heuer bundesweit bis zu 700 weitere Videokameras in etwa 100 Bahnhöfen montieren, obwohl heute schon "80 Prozent der Fahrgastströme mit Videotechnik erfasst" würden. Und die MVG peilt in den nächsten Jahren "die Vollausstattung" aller Fahrzeuge mit Videoüberwachung an - so wie heute schon bei ihren Bahnhöfen.

"Anlasslos und flächendeckend"

Daran allerdings gibt es Kritik. An "Brennpunkten" seien Videokameras in Ordnung, sagt etwa die Grünen-Fraktionschefin im Landtag, Margarete Bause. Nicht okay sei dagegen die Vollausstattung des öffentlichen Raums "anlasslos und flächendeckend". Zumal die Technik "anders als beispielsweise Polizisten auf Streife keine Straftaten verhindert, sondern allenfalls dabei hilft, eine Tat hinterher aufzuklären". Auch der Landesdatenschutzbeauftragte Thomas Petri hat am Dienstag gerügt, dass viele Kameras unzulässig installiert würden - sie seien nur zur Gefahrenabwehr zulässig.

Aus Sicht vieler Ermittler hingegen ist die Technik eine "wertvolle und unersetzliche Unterstützung", wie Hubert Steiger sagt, Chef der Bundespolizei in Bayern. Straftaten könnten so leichter und rascher aufgeklärt werden. In München etwa nahm die Polizei am Sonntag einen Mann wegen einer versuchten Vergewaltigung fest. Nur Stunden nach der Tat, auch dank der Aufnahmen einer Kamera am Justizpalast. Zudem sehen Verkehrsbetriebe einen abschreckenden Effekt, um etwa Vandalismus zurückzudrängen.

Überwachung an Ministerien - und Schulen

Ähnlich geht es manchem Schulleiter, weshalb laut Schulreferat aktuell an vier von 120 städtischen Schulen Kameras zum Einsatz kommen. Sie seien "überwiegend an Tiefgarageneinfahrten" montiert, um Einbrecher oder Graffiti-Schmierer abzuschrecken. Auch die Staatsregierung setzt Kameras "zum Schutz der Dienstgebäude und der darin befindlichen Personen" ein. 87 seien an den Ministerien montiert, heißt es dort. Die Zahl der an der Staatskanzlei eingesetzten Kameras verschweigt die Regierung aber.

Völlig unklar ist zudem, wie viele Privatpersonen und Firmen Objektive auf ihre jeweilige Umgebung gerichtet haben. Zahlen dazu gibt es nicht, niemand ist gezwungen, den Einsatz der Technik zu melden. Weil aber immer öfter Bürger beim Landesamt für Datenschutzaufsicht nachfragen, was der Nachbar eigentlich genau filmen darf, glaubt Amtschef Thomas Kranig, "dass immer mehr Privatpersonen Videoüberwachungssysteme einsetzen". Diese dürfen laut Kranig ihr Grundstück sowie das direkte Umfeld filmen, also Zugangsbereiche, Hausfassaden oder Schaufenster. Etwaige Aufnahmen seien aber "nach wenigen Arbeitstagen zu löschen".

Ob sich die Leute daran halten, sei fraglich, glaubt Florian Ritter, der Datenschutzexperte der Landtags-SPD. Seiner Erfahrung nach scheitern viele Firmen schon daran, korrekt mit Schildern auf eine etwaige Videoüberwachung hinzuweisen. Zudem ist unklar, wer die Live-Bilder der vielen, vielen Kameras überhaupt noch im Blick haben soll. Die Polizisten und Mitarbeiter der Sicherheitsdienste könnten "allenfalls einen Bruchteil" überwachen, sagt Ritter; daher sei es eher dem Zufall geschuldet, "wenn ein Zwischenfall entdeckt und Schlimmeres verhindert werden kann".

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