Verspätungen bei der S-Bahn:"Wegen einer Stellwerksstörung am Ostbahnhof..."

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Warum die S-Bahn so häufig zu spät kommt und selbst kleine Computerprobleme das ganze Netz lahmlegen - und wie die Bahn das Problem nun lösen will.

Marco Völklein

Mittlerweile ist es ihm egal, warum genau seine S-Bahn nicht fährt, sagt Peter Peindl. Ob ein Notarzteinsatz, eine Signalstörung oder eine defekte Weiche - "im Grunde ist es mir völlig wurscht, was genau der Grund ist für die Störung", sagt der Pendler aus dem Landkreis Erding. "Ich will nur, dass es weniger werden." Peindl will nur, dass die Bahn etwas tut, eine Lösung findet für die Störungen und Ausfälle in ihrem Netz. "Wir arbeiten daran", versichert Volker Hentschel, der verantwortliche Manager bei der Bahn-Tochter DB Netz.

Es fährt kein Zug zum Ostbahnhof: Weil auf der Stammstrecke die Stellwerke veraltet sind, kommt es immer wieder zu Störungen bei der Münchner S-Bahn. (Foto: ddp)

Der Konzern geht bei der Münchner S-Bahn derzeit gleich mehrere Projekte an, damit sich Pendler wie Peindl nicht mehr so häufig ärgern müssen. Wobei auch klar ist: Notarzteinsätze, Streckensperrungen wegen "Personen im Gleis" - das kann die beste Technik nicht verhindern. Um aber Stellwerksstörungen und Signalausfälle in den Griff zu kriegen, lässt die Bahn derzeit bauen. Wo genau, das lässt sich am Besten erläutern, wenn man einem S-Bahn-Zug auf seinem Weg von Pasing zum Ostbahnhof folgt. Schritt für Schritt, Stück für Stück - einmal quer durchs Münchner Kernnetz:

Die Neuerung: Pasing

Bahnverkehr ist hochkomplex, sehr viel komplizierter als zum Beispiel der Flugverkehr am Himmel. Grundsätzlich gilt: Das Schienennetz wird von Stellwerken aus gesteuert; dort sitzen Fahrdienstleiter, die für einen bestimmten Abschnitt zuständig sind. Die lenken die Züge in ihrem Abschnitt auf die richtige Gleise, stellen die Weichen, schalten die Signale. "Fahrstraßen einrichten" nennen das die Fachleute. Über Detektoren im Gleis erhalten die Fahrdienstleiter die Meldung, wenn ein Abschnitt frei ist - oder eben nicht. Steht dort ein Zug, kann er keinen weiteren Zug losschicken.

Machen wir also mal ein Beispiel: Eine S-Bahn der Linie S6 kommt von Starnberg nach Pasing herein. Etwa ab der Station Westkreuz übernimmt ein Fahrdienstleiter in Pasing den Zug, reicht ihn weiter zum Pasinger Bahnhof und dann weiter in Richtung Innenstadt. Das Problem ist: Derzeit gibt es in dem Abschnitt westlich von Pasing bis zur Donnersbergerbrücke noch fünf einzelne Stellwerke. Diese stammen zum Teil aus den fünfziger und sechziger Jahren, zum Teil aus der Zeit davor; Bahnfahrer sehen die Stellwerke beim Blick aus dem Fenster: Meist sitzen die Fahrdienstleiter in kleinen Türmchen entlang der Strecke - und stellen von Steuerpulten aus die Weichen und Signale in ihrem Abschnitt.

In Pasing ersetzt die Bahn Mitte August die fünf alten Stellwerke durch eine moderne Anlage; die Bahner sprechen nur noch vom "ESTW Pasing". Das Kürzel steht für "Elektronisches Stellwerk". Statt in fünf Einzeltürmchen sitzen die Fahrdienstleiter in der Bahn-Zentrale an der Donnersbergerbrücke in einem abgedunkelten Raum und steuern am Computer die Weichen und Signale. Der Vorteil: Das Ganze erfolgt zentral, die Übergaben zwischen den fünf Einzelstellwerken entfallen, die Züge rauschen schneller durch den Abschnitt hindurch. "Der Betrieb wird damit insgesamt stabiler", verspricht Bahn-Manager Hentschel. 130 Millionen Euro lässt sich die Bahn das ESTW Pasing kosten.

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Das Nadelöhr: Der Tunnel

Folgen wir weiter der S6 auf ihrem Weg zum Ostbahnhof. Etwa auf Höhe der Donnersbergerbrücke übergibt der Fahrdienstleiter des "ESTW Pasing" künftig die Züge an den Kollegen im "ESTW Stammstrecke". Schon vor einigen Jahren hat die Bahn den Betrieb im innerstädtischen Tunnel auf die elektronische Steuerung umgestellt; der Fahrdienstleiter sitzt vor zahlreichen Computermonitoren in einem abgedunkelten Rundbau der Bahn an der Richelstraße in Neuhausen.

Doch auch im Tunnelabschnitt gibt es immer wieder Probleme. Das hängt allerdings an einer anderen, dem Ganzen übergeordneten Technologie: Damit auf der Tunnelstrecke die Züge dicht an dicht rollen können, hält die Bahn einen zentralen Rechner für die Zugsteuerung vor, die sogenannte "Zugnummern-Meldeanlage". Dieser Computer sorgt dafür, dass die Fahrstraßen für die S-Bahnen auf der Stammstrecke im Regelbetrieb automatisch gestellt werden - die Mitarbeiter im Stellwerk überwachen den Betrieb eigentlich nur noch.

Doch die Zugnummern-Meldeanlage fällt immer wieder aus - mit fatalen Folgen: Denn dann muss der Fahrdienstleiter im ESTW per Mausklick die Züge einzeln durch den Tunnel schleusen - was länger dauert und sich bei der dichten Zugfolge sofort zu Verspätungen im gesamten S-Bahn-Netz hochschaukelt. Deshalb muss die Bahn nun vorsorgen: Ein zweiter Rechner soll die Arbeit übernehmen, wenn der erste wieder ausfällt. Seit mehr als einem Jahr dringen Bayerns Verkehrsminister Martin Zeil (FDP) und zahlreiche Abgeordnete im bayerischen Landtag auf die Installation eines solchen "Redundanzrechners". Bis Ende des Jahres soll er stehen, versichert Hentschel. Früher allerdings nicht: Denn bevor die Bahn Mitte August nicht das neue ESTW in Pasing in Betrieb genommen hat, geht auch beim Redundanzrechner nichts voran. "Dann erst können wir den zusätzlichen Rechner dort anflanschen."

Der Problemfall: Ostbahnhof

Folgen wir weiter der S6 auf ihrem Weg Richtung Osten: Von der Donnersbergerbrücke rollt sie durch den Tunnel zum Ostbahnhof. Am Tunnelportal am Ostbahnhof übernimmt das dortige Stellwerk den Zug. Dieses Stellwerk stammt ebenfalls aus den sechziger Jahren - und sorgt immer wieder für Verdruss: Die Ansage "Wegen einer Stellwerksstörung am Ostbahnhof..." können S-Bahn-Nutzer schon lange nicht mehr hören.

Tatsächlich sitzen die Fahrdienstleiter dort in einem Raum im dritten Stock eines weißen, turmartigen Gebäudes an der Friedenstraße. Wenn einer von ihnen oben im Turm eine neue Fahrstraße einstellt, rattern in den Stockwerken darunter einige der etwa 1,5 Millionen Relais, die die 182 Weichen und 293 Signale in dem Bereich steuern.

Das Problem ist: Exakt auf dieser Ebene kommt es immer wieder zu Ausfällen. Und dann bricht - aufgrund der Konstruktion des Stellwerks - nicht nur ein Teilbereich weg; vielmehr fällt der gesamte Abschnitt Ostbahnhof aus. Die Stellwerker können dann die Weichen und Signale im Bereich zwischen dem Tunnelportal im Westen, dem Bahnhof Giesing im Süden, dem Haltepunkt Daglfing im Norden und dem S-Bahn-Halt Berg am Laim im Osten nicht mehr steuern.

Und das trifft nicht nur die S-Bahn: Auch bei den Fern-, Regional- und Güterzügen geht nichts mehr. Und zwar so lange, bis der Fehler gefunden ist. Die Bahn setzt auch hier an und lässt den Abschnitt sukzessive in einzelne Segmente unterteilen. Fällt eines der Segmente aus, legt das nicht mehr den ganzen Bereich des Stellwerks lahm - sondern nur einen Teil. Bis zum Herbst wollen Hentschel und seine Techniker das Problem in den Griff bekommen. Denn eines ist klar: Mit Baujahr 1968/69 befindet sich das Stellwerk nach Ansicht der Bahn "noch im mittleren Alter", wie Hentschel sagt. Gute fünf bis zehn Jahre wird es noch im Betrieb sein, schon wegen der Kosten.

Die Lösung? Zweite Stammstrecke

Das Münchner S-Bahn-Netz ist sternfömig auf die Innenstadt ausgerichtet, sämtliche S-Bahnen müssen durch den Tunnel im Zentrum. Kommt es dort zu einer Störung, steht das gesamte Netz. "Wir brauchen einen Bypass", sagt Klaus-Dieter Josel, der Konzernbeauftragte der Bahn in Bayern. Er plädiert daher zusammen mit dem Freistaat und der Münchner Stadtspitze für den zweiten Tunnel, der in etwa parallel zur bestehenden Stammstrecke verlaufen soll. "Störfallkonzepte lassen sich so viel leichter umsetzen", sagt Josel.

Die Tunnelgegner argumentieren, dies ließe sich auch durch einen Ausbau des Bahn-Südrings und der "Sendlinger Spange" erreichen. Dann könnten die Züge am Bahnhof Laim nach Süden ausweichen und über Sendling und Giesing zum Ostbahnhof geführt werden. Zumindest bei der Sendlinger Spange sehen das die Planer von Bahn und Freistaat ähnlich; das Genehmigungsverfahren läuft. Streit gibt es aber auch hier: Die Stadt will, dass die S-Bahnen - bevor sie im Störfall nach Sendling abbiegen - einen Zwischenstopp in Laim einlegen. Der Freistaat entgegnet: Das sei zu teuer.

© SZ vom 30.05.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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