Verkehrspolitik in München:Stillstand in der Radlhauptstadt

Bürgermeister Josef Schmid fährt mit dem Fahrrad zur Arbeit. Von Allach ins Rathaus. Fotografiert an der Kreuzung Wintrichring/Nederlinger Straße

Bürgermeister Josef Schmid unternimmt in München Selbstversuche mit dem Fahrrad.

(Foto: Florian Peljak)
  • In München ist der Ärger groß, weil sich die Verkehrspolitik wieder verstärkt dem Auto zuwendet, seit SPD und CSU regieren.
  • Nicht nur Umweltverbände und Radfahrer schlagen Alarm.
  • CSU-Bürgermeister Schmid allerdings betont: "Wir machen was" und schwingt sich selbst auf den Sattel.

Von Marco Völklein

Zugegeben, der Sattel ist ein bisschen zu niedrig eingestellt, um als sportliche Sitzposition durchzugehen. Am Lenker klemmt eine Art Tröte, um sich den Weg freizuklingeln. Und eine Aktentasche sucht man vergebens auf dem Gepäckträger seines Alu-Rades. Der Mann, der da durch den Münchner Westen zu seinem Büro am Marienplatz strampelt, ist Josef Schmid, der zweite Bürgermeister. "Ja, richtig", entgegnet der CSU-Mann gerne mal dem einen oder anderen erstaunt dreinblickenden Radler an der Ampel. "Ich bin jetzt öfters mit dem Rad unterwegs."

Schmid will sich selbst einen Eindruck verschaffen vom Fahren auf zwei Rädern. Er möchte, wie er sagt, selber schauen, was sich verbessern lässt für die Radler. Will mögliche Parallelrouten austüfteln, auf denen sie künftig geführt werden können, abseits der großen Verkehrsadern, weg von den Autos. Im Sommer war er sogar mal mit Vertretern des Bund Naturschutz (BN) auf Tour, um Vor- und Nachteile solcher Routen zu besichtigen. Um zu schauen, wo vielleicht Auto-Parkplätze wegfallen müssten, damit Platz ist für die Radler. Schmid sagt: "Ja, die Stadt kann mehr tun für die Radfahrer." Die Frage ist nur: Was genau?

Jahrelanger Streit im Rathaus

Seit Jahren tobt im Rathaus der Streit um die Radverkehrsförderung. Grüne, ÖDP und Linke unterstellen Schwarz-Rot, sich vor allem um die Autofahrer zu kümmern und die Belange der Radler weitgehend zu ignorieren: Neue Straßentunnel am Mittleren Ring sind geplant, von Februar an dürfen Radler nicht mehr über den Marienplatz fahren, die Kfz-Stellplätze in der Diener- und der Schrammerstraße sollen aber erhalten bleiben. Vom "Griff in die Auto-ideologische Mottenkiste" spricht Grünen-Stadtrat Herbert Danner.

Doch CSU und auch SPD wollen solche Vorhaltungen nicht länger auf sich sitzen lassen. "Wir machen was", sagt Bürgermeister Schmid. Ende 2014 wurde die "Nahmobilitätspauschale" verdoppelt, zehn Millionen Euro stehen nun pro Jahr für Verbesserungen beim Rad- und Fußverkehr zur Verfügung. "Dieses Geld will ich auf die Straße bringen", sagt Schmid. Auch deshalb sei er nun öfter selbst mit seinem Alu-Flitzer unterwegs. Und die SPD-Fraktion hat mit Bettina Messinger eine eigene "Radverkehrsbeauftragte" ernannt. "Meine Aufgabe ist es", sagt Messinger, "die Anliegen und Wünsche der Radler in die Fraktion zu tragen." Aber geschieht dies auch?

Kritiker bemängeln Stillstand

In der Umwelt- und Radlerszene jedenfalls rumort es. "Auch wenn die Stadt mehr Geld gibt, hinten kommt zu wenig raus", sagt Martin Hänsel vom BN. Schmid und Messinger hätten keinen Rückhalt in ihren Fraktionen. Der Dauerstreit um die Radlerspuren in der Rosenheimer Straße, der Ärger um die Marienplatz-Sperrung, die ungeklärte Frage, wie es mit dem Radweg in der Lindwurmstraße weitergeht - all das zeige, "dass CSU und SPD die Quadratur des Kreises versuchen", sagt Martin Glöckner von Green City: "Sie wollen es allen recht machen."

Doch das könne nicht klappen, "jedenfalls nicht, solange dem Autoverkehr nichts weggenommen werden darf." Das Ergebnis sei "absoluter Stillstand bei der Radverkehrsförderung". Gut in Erinnerung ist den Verbänden der Streit um den Umbau der Landsberger Straße.

In der Verwaltung macht sich Frust breit

Verkehrspolitik in München: Radfahren ist in München oft eine Herausforderung.

Radfahren ist in München oft eine Herausforderung.

(Foto: Catherina Hess)

Der örtliche Bezirksausschuss (BA) hatte beschlossen, den Radweg auf Höhe der Grasserstraße zu verbreitern, im Gegenzug fiel eine Kfz-Fahrspur weg. Als sich während der Baustelle im Sommer lange Staus bildeten, beklagte die CSU eine programmierte Staufalle - und beantragte im Stadtrat, solche kleineren Maßnahmen künftig nicht mehr den BAs zu überlassen, sondern stets dem Stadtrat vorzulegen.

Gleichzeitig stoppte Schwarz-Rot ein ganzes Paket ähnlicher Umbaupläne, etwa in der Herzog-Heinrich-Straße. Zum Teil waren dafür bereits Baufirmen beauftragt, die von einem Tag auf den anderen zurückgepfiffen wurden. "Das hat richtig Geld gekostet", sagt Glöckner. "Doch gebaut wurde nichts." Auf eine Anfrage der Grünen, wie viel Geld genau da verpulvert wurde, gibt es bislang keine Antwort.

Fünf Referate werken vor sich hin

Mittlerweile macht sich auch in der Verwaltung Frust breit; die Stimmung zwischen Planern und Entscheidern ist angespannt. "Vielleicht sollte man unsere Stadträte mal auf Fortbildung schicken", murren einige. Mit Expertisen dringe man in den großen Fraktionen kaum noch durch. Und nach dem abrupten Stopp der Umbaumaßnahmen fragen sich viele, was sie nun noch tun sollen. Pläne und Anordnungen für mögliche Umbauten könnten allenfalls noch für die Schublade erstellt werden. Ob sie jemals umgesetzt würden, sei fraglich.

Problematisch scheint zudem, dass es seit dem Abgang von Bürgermeister Hep Monatzeder (Grüne) keinen zentral Verantwortlichen mehr gibt für die Radverkehrspolitik. Seither werkeln fünf Referate mehr oder weniger unkoordiniert vor sich hin: neben dem Planungs- und dem Kreisverwaltungsreferat noch das Bau-, das Wirtschafts- und das Umweltreferat. Es gibt einen Lenkungs- und einen Arbeitskreis sowie diverse Arbeitsgruppen, in die von Fall zu Fall auch noch MVG und MVV eingebunden werden - was es nicht gerade einfacher macht.

Stelle des Koordinators ist vakant

Zwar beschloss der Stadtrat Ende Juli, für 94 000 Euro jährlich einen "Radverkehrsbeauftragten" anzuheuern, der das alles besser koordiniert. Bislang aber ist die Stelle vakant. Wegen der Haushaltsquerelen soll sie erst im Frühjahr besetzt werden. Unklar ist zudem, wie viel Einfluss der oder die neue Radbeauftragte haben wird.

CSU und SPD weisen indes den Vorwurf des Stillstands zurück. Im Frühjahr erst waren Stadträte fast aller Fraktionen in Holland unterwegs. In einer interfraktionellen Arbeitsgruppe brüten sie seither darüber, welche Ideen sie aus Radler-Vorzeigestädten wie Amsterdam oder Utrecht auf München übertragen könnten. Von Radschnellwegen ist hier und da die Rede, ebenso von möglichen Servicestationen. "Lassen Sie sich überraschen", verspricht SPD-Stadträtin Messinger. "Da wird etwas kommen."

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