Verkehr:Taten statt Worte

Bezirksausschüsse äußern teils scharfe Kritik am "Grundsatzbeschluss zur Förderung des Radverkehrs in München". Die Gremien verlangen anstatt der vielen Studien den schnellen Einstieg in konkrete Projekte

Von N. Graner, S. Mühleisen, S. Niesmann und U. Steinbacher

Die schärfste Kritik kommt aus den Bezirken Trudering-Riem, Maxvorstadt und Schwanthalerhöhe, nahezu wortgleich aus der Feder der jeweiligen Grünen-Fraktion. Der "Grundsatzbeschluss" sei, trotz seines Umfangs, zu wenig mutig und visionär, schreiben die Bezirksausschüsse an die Stadt. Mehr noch: Die Lokalpolitiker vermissen "einen klaren Plan oder eine referatsübergreifende Gesamtstrategie". Die Gremien lassen durchblicken, dass sie den Stadtratsbeschluss grundsätzlich für misslungen halten. Als "nicht akzeptabel" bezeichnen die Politiker all die vorgeschlagenen Untersuchungen und Prüfungen - sie wollen Taten sehen, in den Worten der Anträge: "konkrete Planungen und schnelle Umsetzung von Maßnahmen zur Verbesserung des gesamten Radwegenetzes in München". Außerdem fordern sie auch die nötigen Personalressourcen, nicht nur so wenige Stellen, das gerade mal das bisher Liegengebliebene erledigt werden kann.

Es geht um einen Entwurf mit dem Titel "Grundsatzbeschluss zur Förderung des Radverkehrs in München", der den Bezirksausschüssen derzeit zur Anhörung vorliegt, bevor im Rathaus am Mittwoch, 6. Dezember, darüber beraten wird. Ein Mammut-Konvolut von 266 Seiten, erstellt von Planungs-, Bau- und Kreisverwaltungsreferat, das den Status Quo sowie Wege aufzeigen will für ein "attraktiveres, komfortableres, dichteres und sicheres Radverkehrsnetz" in der Stadt.

Start zur 8. Münchner Radlnacht, 2017

Flott auf zwei Rädern: So kommt man nur bei der - autofreien - Radlnacht durch die Stadt. An allen anderen Tagen hakt es an vielen Stellen.

(Foto: Johannes Simon)

Das Papier ist die Fortschreibung des ersten "Grundsatzbeschlusses" von 2009, der 2013 durch einen Radverkehrsbericht angereichert wurde. Damals wurde zunächst beschlossen, Daten zu erheben und "Evaluierungsziele" festzulegen. In weiten Teilen ist davon auch der Inhalt des aktuellen "Grundsatzbeschlusses" geprägt: Das Behörden-Trio empfiehlt weitere Machbarkeitsstudien, etwa zu einer Reihe von Verkehrsknoten, Hauptverkehrsachsen und Radschnellverbindungen, schlägt die flächendeckende Prüfung der "Radwegbenutzungspflicht" vor, die erst für 138 von 384 betroffenen Straßen abgeschlossen ist. Es werden Absichtserklärungen abgegeben, die im "Evaluierungsjahr" 2025 umgesetzt sein sollen: Mindestens 100 Fahrradstraßen soll es dann in der Stadt geben (derzeit 60), dazu zwei Radschnellverbindungen; das Radverkehrsnetz soll fertig geprüft, die Unfallzahlen an den unfallträchtigsten Knoten deutlich reduziert sein. Die Zielvorgaben lauten: Stetig soll die Stadt Maßnahmen zur Steigerung des Radverkehrs umsetzen, wobei der Verkehrssicherheit oberste Priorität eingeräumt werde.

Manchen Bezirksausschüssen aber fehlt der Glaube. "Es werden keine Meilensteine definiert, kaum Projekte benannt, keine klaren Prioritäten gesetzt und schon gar nicht die aktuelle Struktur in der Verwaltung hinterfragt", kanzeln die Maxvorstädter ebenso wie die Westendler den Entwurf ab. Stattdessen wird "der zügige Einstieg in konkrete Planungen" gefordert, überdies darauf gedrängt, die Schritte für stadtteilübergreifende Radwegrouten bereits bis 2020 einzuleiten und die vorhandenen Lücken im Radwegnetz ihres Stadtbezirks bereits Ende des ersten Quartals 2018 aufzulisten - inklusive der Vorschläge, wie diese geschlossen werden könnten.

lebensgefährliches Radeln an der Leopoldstraße

Eng, voll, gefährlich: Radler sollten an der Leopoldstraße besser eigene Streifen auf der Fahrbahn bekommen, fordern Lokalpolitiker.

(Foto: Florian Peljak)

In der Maxvorstadt verlangt man ferner ebenso dringlich wie in Schwabing-Freimann breitere Fahrradwege an der Leopoldstraße. Beide Gremien beziehen sich dabei auf eine Stellungnahme des Polizeipräsidiums, in welcher der gesamte Abschnitt zwischen Münchner Freiheit und Odeonsplatz als "gefährliche Angelegenheit" für Radler bezeichnet wird, der "nur mit höchster Konzentration und viel Glück bewerkstelligt werden kann". Doch die Verwaltung sieht es nur als nötig an, zwischen Siegestor und Odeonsplatz die Radwege zu canceln und dafür Streifen auf der Fahrbahn auszuweisen. Im nördlichen Abschnitt der Trasse dagegen wollen die Referate keine Möglichkeit erkennen, "im Bestand eine Verbesserung herbeizuführen".

Überhaupt vermissen die Politiker in den Stadtvierteln konkret identifizierte Projekte. Der Bezirksausschuss Milbertshofen-Am Hart hat schon vor längerem eine Liste mit 18 Punkten erarbeitet, wie ein "flüssigerer Radverkehr" möglich sein könnte. Unter anderem wird gewünscht, dass der Radweg an der Rathenaustraße fortgeführt wird und der Radschnellweg an der Kreuzung der Kämpfer- mit der Rockefellerstraße so umgestaltet wird, dass eine "nahtlose Weiterführung nach Norden" möglich ist; für den "Grundsatzbeschluss" legte das Gremium noch einmal nach: Der Radschnellweg vom Hauptbahnhof entlang der alten Tramtrasse zum Harthof müsse "schnellmöglichst" umgesetzt werden, bestenfalls schon 2018.

Im Westend erinnert man konkret an die wiederholt geforderten Radstreifen an der Schwanthalerstraße und auch an der Ridlerstraße mit ihren zu schmalen Radwegen, mahnt Lösungen an der Landsberger Straße zwischen Trappentreu- und Schrenkstraße an sowie grundsätzlich eine attraktive Verbindung vom Westend in die Innenstadt. "Man muss das mantraartig wiederholen", seufzt BA-Chefin Sibylle Stöhr (Grüne).

Grundsätzlicher Tadel an dem umfangreichen Verwaltungspapier verlautet aus dem BA Bogenhausen, dem Ziele und Maßnahmen schon im Ansatz nicht weit genug gehen: "Das Ziel, den Anteil des Radverkehrs bis 2025 um drei Prozentpunkte zu erhöhen, erscheint wenig ambitioniert", heißt es kritisch gleich im ersten von 14 Unterpunkten. Stattdessen fordert der BA mehr Geld, um eine Trendwende herbeizuführen. Die Nahverkehrspauschale sei mit zehn Millionen Euro zu knapp kalkuliert. 2018 solle sie auf 20 Millionen aufgestockt werden, danach auf 30. Eine ähnliche Forderung erheben auch die Bezirksausschüsse Schwanthalerhöhe und Feldmoching-Hasenbergl. Die Bogenhauser konstatieren überdies: Statt immerfort nur Untersuchungen vorzunehmen, seien mehr Verkehrsversuche und Praxistests sinnvoll, "damit die Leute selber mit ihren Rädern und Füßen abstimmen können, was funktioniert und was nicht".

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