Verkehr in München:Streit um die Straße

Radfahrer im Münchner Stadtverkehr, 2012

Gerangel im Straßenverkehr: In München oft ein Ärgernis.

(Foto: Stephan Rumpf)

Radler fluchen über rücksichtslose Autofahrer, die wiederum genervt auf die Hupe drücken, wenn jemand auf der Fahrbahn radelt: Auf den Straßen Münchens herrscht ein rüder Umgangston. Das Gerangel beschäftigt die Politik seit langem - doch nur die Grünen wollen den Autoverkehr eindämmen.

Von Marco Völklein

Schade eigentlich, dass Sylvia Hladky die Aktion der Radl-Aktivisten gleich unterbindet. Ursprünglich hatten die Mitglieder des Radfahrerklubs ADFC an diesem Abend vor, die Gäste der Podiumsdiskussion mittels Strichliste am Ausgang des Verkehrsmuseums abstimmen zu lassen. "Welcher OB-Kandidat hat Ihnen am besten gefallen?" Doch noch vor Beginn der Veranstaltung grätscht Hladky, die Chefin der Verkehrszentrums, dazwischen. Als überparteiliche Institution könne man eine solche Abstimmung nicht zulassen. Wie gesagt: Schade eigentlich.

Denn mit der Strichliste hätte sich ein Stimmungsbild des Abends zeichnen lassen. Und nicht nur das. Zugleich hätte sich gezeigt, welcher Bewerber am glaubwürdigsten beim Publikum rübergekommen ist. Denn in ihren Programmen und Aussagen zur Verkehrspolitik unterscheiden sich die Kandidaten und Parteien auf den ersten Blick kaum. Alle erklären, den Radverkehr fördern zu wollen. Alle sind sich einig, den öffentlichen Nahverkehr ausbauen zu müssen. Erst wer tiefer in die Diskussion einsteigt, kann Unterschiede herausarbeiten. Etwa bei der Frage, wie der Straßenraum künftig aufgeteilt werden soll unter den einzelnen Verkehrsteilnehmern.

Zuletzt wurde diese Kluft deutlich beim Streit um die Rosenheimer Straße. Dort wollte das städtische Planungsreferat zwei der vier Auto-Fahrspuren opfern zugunsten zweier breiter Fahrstreifen für Radfahrer. Eine Lücke im Radwegenetz der Stadt sollte so geschlossen werden, eine Gefahrenquelle obendrein. Grüne, ÖDP und Linke unterstützten im Stadtrat das Vorhaben. SPD, CSU und FDP allerdings schmetterten mit ihrer Mehrheit den Plan ab. Sie befürchteten zu viele Staus auf der wichtigen Ausfallstraße zur Salzburger Autobahn. Nun sollen die Planer der Stadt prüfen, ob man den Radlern eine Ausweichstrecke durch Haidhausen anbieten soll.

Der Streit um die Straße ist beispielhaft für das, was in den nächsten Jahren auf die Verkehrspolitiker im Stadtrat (und selbstverständlich den neuen OB) zukommen wird. Auch an der Lindwurmstraße, an der Dachauer Straße oder der Nymphenburger Straße, an vielen Einfallstraßen in die Innenstadt wird sich die Frage stellen, wie der Platzanspruch, den Auto- wie Radfahrer formulieren, bedient werden soll. Zudem sollen vielerorts zusätzliche Plätze und Grünzüge geschaffen werden, mit "mehr Aufenthaltsqualität" für Anrainer, mit Raum für Sitzbänke und Café-Stühle.

Zugleich aber werden mehr und mehr Menschen in die Stadt drängen. 20 000 bis 30 000 Neubürger pro Jahr erwarten Statistiker in den nächsten zehn Jahren. Etwa die gleiche Anzahl an Menschen wird in die Gemeinden zwischen den S-Bahn-Ästen ziehen. Sie alle wollen mobil sein, zum Arbeiten, in die Schule und zum Einkaufen fahren. Es dürfte somit noch ein bisschen enger werden auf den Straßen. Wer also löst dieses Problem? Und vor allem: Wie?

"Vorrang für den Umweltverbund" - so formuliert Sabine Nallinger, die grüne OB-Kandidatin, ihren Ansatz. Neue, breite Spuren für Radfahrer, mehr Platz für Fußgänger, dazu neue Tram- und U-Bahn-Linien. Das ist ihr Programm. Es findet sich so oder so ähnlich auch in den Broschüren der Kontrahenten Dieter Reiter (SPD), Josef Schmid (CSU) und Michael Mattar (FDP). Nur: "Wenn's dann zum Schwur kommt, stehen wir stets alleine da", sagt Nallinger. Siehe Rosenheimer Straße. Die meisten anderen Parteien trauten sich eben nicht, den Autofahrern den Platz zu nehmen, um Radlern Vorfahrt einzuräumen.

Der Druck wächst

Dass er mit dem Nein der SPD zur Rosenheimer Straße in eine strategische Klemme geraten ist, hat mittlerweile offenbar auch Dieter Reiter erkannt. Auf dem ADFC-Podium jedenfalls zeigt sich der bisherige Wirtschaftsreferent "überrascht" darüber, wie sich der Radverkehr in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Und, ja, man müsse "den Straßenraum anders verteilen - davon bin ich felsenfest überzeugt". In Sachen Rosenheimer Straße jedenfalls sei das letzte Wort noch nicht gesprochen, sagt Reiter, das Thema werde man "im nächsten viertel oder halben Jahr noch einmal neu behandeln". Reiter weiß: Im Internet haben mittlerweile 1700 Radler eine Petition für den Umbau der Rosenheimer Straße unterzeichnet. Der Druck wächst.

Daher geben sich auch CSU-Mann Schmid und FDP-Vertreter Mattar in diesem Wahlkampf - zumindest grundsätzlich - als Freunde des Radfahrens und des Zufußgehens. Allerdings schränkt Schmid immer wieder ein, dass "wir allein mit der Umverteilung des Raums nicht weiterkommen". Er will vielmehr "neuen Raum" erschließen. Tunnel schweben ihm vor, um die Autos unter die Erde zu verbannen, die fahrenden wie die parkenden- um an der Oberfläche Platz zu haben. Denn: "Die Zulassungszahlen steigen", sagt Schmid. "Es besteht nach wie vor ein Mobilitätsbedürfnis in Richtung Auto." Der Bau neuer Rad- oder Fußgängerwege helfe vielleicht diesen Gruppen. "Was aber bieten wir den Autofahrern?", fragt Schmid.

Ähnlich sieht es Mattar, der für "pragmatische Lösungen" plädiert. Den zwei neuen Radstreifen in der Kapuzinerstraße etwa habe seine Fraktion zugestimmt, sagt Mattar. Dort sei eine solche Lösung auch sinnvoll gewesen; nicht aber in der Rosenheimer oder gar in der Dachauer Straße. Wer auf Ausfallstraßen den Kfz-Verkehr behindere, etwa durch Tempo-30-Regelungen, verdränge ihn nur in die Seitenstraßen und Wohngebiete, findet auch Reiter. Und: Mit einer "apodiktischen Verweigerungshaltung" zu neuen Straßentunneln werde man "in einer Stadt mit Platzproblemen nicht vorankommen", glaubt Mattar.

Die vielen, vielen neuen Tunnel seien samt ihrer Folgekosten für Unterhalt und Erneuerung in ein paar Jahrzehnten schlicht nicht zu finanzieren, findet dagegen nicht nur Brigitte Wolf (Linke). Vielmehr würden auch bei neuen Auto-Röhren weiterhin große, teils sogar vierspurige Straßen an der Oberfläche verbleiben, ergänzt Tobias Ruff (ÖDP). "Der Petueltunnel ist da die einzige Ausnahme." Bei allen anderen Projekten, etwa am Luise-Kiesselbach-Platz wie auch bei den derzeit diskutierten Tunneln an der Landshuter Allee oder der Tegernseer Landstraße werde die Stadt "weder Aufenthaltsqualität für Fußgänger noch mehr Platz für Radler gewinnen, sondern nur viel Geld verlieren".

Ohnehin habe eine künftige Stadtregierung gar nicht die Zeit, zehn oder sogar noch mehr Jahre zu warten, bis die neuen Tunnel geplant, genehmigt und gebaut sein werden, um die Probleme zu lösen, sagt Grünen-Kandidatin Nallinger. "Jetzt haben wir die Engpässe." Jetzt müsse die Stadt handeln. Und das gehe nun mal am schnellsten und am kostengünstigsten mit dem Bau neuer Radwege und -streifen.

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