Verkehr:Auf den letzten Drücker zur Kasse gebeten

Die Stadt will in den kommenden drei Jahren die Herstellungskosten von 58 Straßen von den Anliegern eintreiben. Zwölf sollen als erstes endgültig ausgebaut werden, um die Rechnungen noch rechtzeitig zu präsentieren

Von Simon Schramm

Die gute Nachricht ist: In sehr vielen Fällen in München müssen die Bürger nicht mehr damit rechnen, für die Herstellung der Straße, die sie schon seit Jahrzehnten täglich befahren, noch zur Kasse gebeten zu werden. Es gibt für einige Bürger aber auch eine schlechte Nachricht: Im Fall von 58 Straßen in der Stadt will die Verwaltung es noch schaffen, den Anwohnern noch eine Rechnung zu präsentieren - und zwar in den kommenden drei Jahren. Diese Straßen sind über das ganze Stadtgebiet verteilt, mit Harlaching als einem Schwerpunkt.

Aber der Reihe nach: Genauso wie die Stadt zum Beispiel Gebühren für die Straßenreinigung einnimmt, so ist sie auch berechtigt, für den Bau von Straßen vom Bürger Geld zu verlangen - wenn die Trasse zum ersten Mal hergestellt wird. Der sogenannte "Ersterschließungsbeitrag" ist eine übliche Kommunalabgabe. Die Kommunen sind gesetzlich verpflichtet, 90 Prozent der Kosten für die erstmalige Herstellung von den Anwohnern zu erheben und selber zehn Prozent Anteil zu leisten. Abgerechnet werden darf ab dem Zeitpunkt, wenn die Straße endgültig hergestellt ist.

Verkehr: Endgültiger Ausbau: Betroffen sind etwa Anwohner der Gabriel-Max-Straße in Harlaching.

Endgültiger Ausbau: Betroffen sind etwa Anwohner der Gabriel-Max-Straße in Harlaching.

(Foto: Catharina Hess)

Kriterien dafür sind vor allem: Auf der Straße liegt eine Frostschutzschicht, die Randsteine sind gesetzt, die Entwässerung ist eingerichtet, die Beleuchtung ist betriebsbereit. Es konnte vorkommen, dass eine Straße zwar voll funktionsfähig war und jahrelang genutzt wurde, ihre komplette Herstellung aber erst nach Jahrzehnten bezahlt werden musste, wenn auch die letzte Laterne montiert war. Im Frühjahr 2016 hat der Bayerische Landtag das aber geändert.

Das Parlament hat damals eine Frist eingeführt: Spätestens 25 Jahre nach dem Spatenstich für den Bau einer Straße dürfen die Kommunen nun den Beitrag zur Ersterschließung noch kassieren. Rechtssicherheit sollte das schaffen und der Verwaltung den Aufwand nehmen, Jahrzehnte alte Maßnahmen zu rekonstruieren. Die Frist gilt auch für "Altanlagen", Straßen, die eben schon länger auf den letztgültigen Ausbau warten. Um die Kommunen auf die neue Rechtslage vorzubereiten, hat der Landtag festgelegt, dass die Neuregelung vom 1. April 2021 an gilt. Wenn die bayerischen Kommunen Straßen abschließend herstellen und abrechnen wollen, deren Baubeginn vor April 1996 liegt, müssen sie sich also sputen.

Verkehr: Auch an der Weilheimer Straße in Sendling-Westpark soll gebaut werden.

Auch an der Weilheimer Straße in Sendling-Westpark soll gebaut werden.

(Foto: Catherina Hess)

Vor Kurzem hat das Baureferat dem Stadtrat erläutert, welche Konsequenzen das für München hat. Laut der Verwaltung sind von den rund 6200 Straßen in München etwa 1000 noch nicht endgültig hergestellt. Angesichts der Frist muss die Verwaltung Prioritäten setzen. Dazu hat das Baureferat untersucht, bei wie vielen der rund 1000 Straßen der Ausbau schon fortgeschritten ist. Dann hat das Referat berücksichtigt, wo ein Bebauungsplan aussteht und wo es noch möglich ist, die Bauarbeiten bis 2021 abzuschließen und abzurechnen. Anhand dieser Kriterien blieb ein Rest von 58 Straßen übrig.

Diese Straßen unterzog die Stadt einer weiteren Prüfung: Wo muss nur noch geringfügig ergänzt werden, wo ist ein Provisorium nicht mehr verkehrssicher? So blieben letztlich zwölf Straßen übrig, deren Bau die Stadt bis Ende 2019 abschließen will (siehe Kasten). Mehr sei bis 2019 mit den "vorhandenen Kapazitäten" nicht machbar, schreibt das Baureferat. Sprich: Weil Verwaltung und Bauunternehmen in München so stark ausgelastet sind, ist es nach Darstellung des Referates derzeit nicht möglich, mehr Ausbaumaßnahmen in Auftrag zu geben. Welche der 46 übrigen Straßen nach 2019 dran sein werden, kann das Baureferat noch nicht sagen und will es erst Anfang 2020 prüfen.

Buddeln und berechnen

Folgende Straßen sollen noch bis 2019 erstmalig hergestellt werden - wobei es großteils nur um einzelne Bereiche geht, etwa um Gehwege, Fahrbahnen oder Randsteine: Achleitnerstraße und Gabriel-Max-Straße (beide Harlaching), Huisler-/Mariabrunner Straße (Aubing), Kronstadter Straße (Bogenhausen), Rabenkopfstraße und Reinerstraße (beide Harlaching), Truderinger Straße (Bogenhausen), Vierheiligstraße (Harlaching), Weilheimer Straße (Sendling-Westpark), Wiebekingstraße und Wollnystraße (Untermenzing) und Zirler Straße (Sendling-Westpark). Die Anlieger werden danach ihren Anteil an den Baukosten entrichten müssen.

Bereits endgültig hergestellt und somit für die Abrechnung mit den Anliegern jederzeit fällig sind folgende Straßen: Autharistraße (Harlaching), Cimbernstraße (Sendling-Westpark), Defreggerstraße (Harlaching), Eichendorffstraße, Eichendorffplatz, Hohenwarter Straße und Josef-Naus-Straße (alle Sendling-Westpark), Koblenzer Straße (Moosach), Lindenstraße und Mangfallstraße (Harlaching), Pläntschweg (Obermenzing), Tintorettostraße (Nymphenburg) und Werdenfelsstraße (Sendling-Westpark). Für diese Straßen erfolgt die Abrechnung, sobald alle relevanten Rechnungen und Dokumentationspläne vorliegen.sz

Fünf der zwölf nun fixierten Straßen liegen in Harlaching. Robert Franck, der Vorstand der Harlachinger Siedler- und Eigenheimervereinigung, weist darauf hin, dass alle diese Straßen im Viertel voll nutzbar seien. Franck vermutet, dass die meisten in den Zwanziger- und Dreißigerjahren entstanden sind, teilweise sogar noch vor dem Ersten Weltkrieg. Das Baureferat erklärt, dass es bei den Straßen vor allem notwendig sei, Kies-Gehwege mit Kunststeinplatten auszurüsten. "Dass es manchmal nur Kieswege sind, hat niemanden gejuckt", sagt der in Harlaching geborene Eigenheimer Franck, andererseits "erscheinen die Maßnahmen nicht überzogen, sondern durchaus im Sinn von Bürgern, die Einschränkungen haben".

Bisher habe sich nicht ergeben, dass Mitglieder der Vereinigung betroffen seien. Dennoch bangt Franck mit den Betroffenen. Wie hoch die Kosten ausfallen, ist noch offen, der Beitrag wird auf die Anlieger der Straße verteilt und richtet sich beispielsweise nach Grundstücksgröße. "Von der Einwohnerstruktur her gibt es in Harlaching nicht wenige ältere Leute, die nicht so flüssig sind, spontan einen fünfstelligen Betrag zur Verfügung zu haben", sagt Franck. Er fragt sich auch, wie die Stadt alte Maßnahmen abrechnet, etwa wenn sie noch mit Deutscher Mark bezahlt wurden. Dem Baureferat zufolge hat es die Abrechnungen für frühere Ausbauabschnitte dokumentiert.

Ob die Harlachinger sich im Zuge des Straßenausbau ähnlich erschrecken werden wie die Bewohner der Schittgablerstraße im Münchner Norden? Dort wurden 2016 nach Ausbau der Straße teilweise fünf- bis sechsstellige Beiträge angekündigt. Wohl vor diesem Hintergrund hatte der Stadtrat im Herbst 2016 einen Drittelerlass in Härtefällen eingeführt. Die Herstellung der Schittgablerstraße ist mittlerweile abgeschlossen, die Anlieger warten auf die Rechnungen und darauf, wie sich der Erlass auswirken wird. Auch die zwölf kommenden Fälle werden vom Rabatt profitieren: Er gilt für Altanlagen, bei denen die Pflicht zur Zahlung im Zuge der Herstellung und Abrechnung nach April 2012 gegriffen hat und deren Spatenstich mindestens 25 Jahre zurückliegt.

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