Verkäuferin:Diese Frau verkauft Wiesn-Brezn - seit 52 Jahren

Verkäuferin: "Ich mag einfach keine Brezenknödel", sagt Elfriede Grimmig, die ihren Stand vor dem Augustinerzelt hat. Ihr ist es viel lieber, wenn ihre Brezen am Abend restlos ausverkauft sind. Aber an schlechten Tagen kriegt sie auch mal nur zehn Stück an den Mann oder die Frau.

"Ich mag einfach keine Brezenknödel", sagt Elfriede Grimmig, die ihren Stand vor dem Augustinerzelt hat. Ihr ist es viel lieber, wenn ihre Brezen am Abend restlos ausverkauft sind. Aber an schlechten Tagen kriegt sie auch mal nur zehn Stück an den Mann oder die Frau.

(Foto: Robert Haas)

Elfriede Grimmig arbeitet als "Brotfrau" auf dem Oktoberfest. Früher war das eine sozialpolitische Maßnahme der Stadt - heute ist damit nicht mehr allzu viel zu verdienen.

Von Franz Kotteder

"Was schauen Sie denn so g'schreckt?", fragt Elfriede Grimmig gleich bei der ersten Begegnung und lacht. Ja mei, Frau Grimmig, wenn man sich mit jemandem trifft, der seit 52 Jahren auf der Wiesn an einem Brotstand Brezen verkauft, dann stellt man sich die halt ein bisschen älter vor. Elfriede Grimmig aber ist recht jung geblieben in all dieser Zeit, die Jahre sieht man ihr nicht an. "In meinem Freundeskreis sind praktisch alle jünger als ich", sagt sie, und das färbt offensichtlich ab.

"Brotfrauen" heißen sie ganz offiziell, die Münchnerinnen, die links und rechts an den Eingängen der großen Bierzelte in kleinen Ständen stehen und vor allem Brezen verkaufen. Brot läuft eher so nebenbei mit. Schon nach dem Ersten Weltkrieg, als es langsam wieder losging mit dem Oktoberfest, waren die Brotfrauen eine sozialpolitische Maßnahme: Vor allem alleinstehende Mütter, meist Kriegswitwen, sollten sich etwas dazuverdienen können auf der Wiesn, die Stände vor den Zelten wurden bevorzugt an sie vergeben.

Das hat sich im Grunde bis heute nicht geändert. Nach wie vor werden die insgesamt 64 Brotfrauen (es gibt nur ein paar Männer) von der Stadt nach einem Bewertungskatalog ausgewählt, dabei spielen auch soziale Gesichtspunkte eine Rolle.

Bei Elfriede Grimmig geht es dabei wohl vor allem um die Kriterien "Tradition" und "Volksfesterfahrung" - schließlich gehört sie praktisch zum Inventar des Oktoberfests. Wenn man es genau nimmt, schon fast ihr ganzes Leben lang. Denn auch ihre Mutter war schon Brotfrau. Die Familie lebte auf der Schwanthalerhöhe, an der Ecke Kazmair-/Gollierstraße. "Wenn meine Mama unten auf der Wiesn war", erzählt Grimmig, "dann musste ich beim Bäcker in der Gollierstraße immer die Brezen und Salzstangerl holen und den schweren Korb bis runter zum Zelt schleppen." Damals mussten die Frauen ihre Ware noch selbst heranschaffen, heute werden sie von Bäckern beliefert.

So ist sie also richtiggehend hineingewachsen in diese Tätigkeit. 1964 kam ihr Sohn auf die Welt, aber die Ehe ging in die Brüche, und um sich etwas dazuzuverdienen, bewarb sie sich wie ihre Mutter um einen Brotstand: "Ich bin zum Vogel Manfred gegangen, das war damals der Marktleiter, der war sehr sozial eingestellt." 1965 bekam sie die Zusage, seitdem ist sie dabei.

Angefangen hat sie vor dem Armbrustschützenzelt, später wechselte sie für ein Jahr zum Hackerzelt und anschließend für volle 30 Jahre "zum Löwen", wie das Löwenbräuzelt bei den Insidern heißt. Weiter ging es "zum Ochsen", weil dort auch lange die Mutter gestanden hatte, aber so recht glücklich war sie damit nicht. Die Kolleginnen hätten etwas kollegialer sein können, hört man durch, wenn sie davon erzählt. Es war halt schon damals nichts mehr so wie früher.

Jetzt steht sie seit sieben Jahren "vor dem August" und ist sehr zufrieden damit: "Wir sind ein Zelt, in dem der Zusammenhalt noch sehr gut ist." Es gibt da keine große Konkurrenz, und man hilft sich gegenseitig schon mal aus, wenn es sein muss. Neun Brotstände gibt es vor dem Zelt. Täglich wird der Stand durchgewechselt, damit jede annähernd die gleichen Chancen hat, denn "die Nummer eins, zwei und drei kannst du vergessen".

Überhaupt fällt der Verdienst geringer aus, als man meinen möchte. Ist das Wetter oder der Platz schlecht, dann kann es schon sein, dass man am Tag gerade mal zehn Brezen loswird: "Ich hab' schon oft eine Bäckerrechnung von 13 Euro am Tag gehabt. Und ich mag einfach keine Brezenknödel."

Den Zusammenhalt unter den Brotfrauen wusste Elfriede Grimmig zu schätzen, als ihr zweiter Mann sehr krank wurde und sie ihn elf Jahre lang pflegen musste. Und er ist ja dann auch ausgerechnet an einem Wiesnsamstag gestorben, da war natürlich keine Zeit für die Brezen. Heute ist sie wieder glücklich mit ihrer Saisonarbeit unterhalb der Bavaria, auch mit den Wirten des Augustinerzelts. "Die Vollmers sind sehr großzügig", sagt sie, "wir kriegen vormittags praktisch immer eine Suppe umsonst und kriegen für fünf Euro auch ein Personalessen." Das sei nicht selbstverständlich, schließlich sei man ja nicht beim jeweiligen Wiesnwirt angestellt.

Die Brotfrauen wissen das umso mehr zu schätzen, als sie es ohnehin nicht mehr so einfach haben wie früher. "Wir dürfen ja unseren Stand eigentlich gar nicht verlassen", sagt Grimmig, "da wird dann gleich eine Vertragsstrafe von 100 Euro fällig." Das ist ganz schön happig, findet sie. Schließlich ist mit so einem Brotstand längst nicht mehr so viel zu verdienen wie früher einmal: "Uns fehlen die Firmen, die zusammen auf die Wiesn gehen. Früher kamen die raus und haben für den ganzen Tisch Brezn gekauft. Jetzt haben die schon ein Brotzeitbrettl auf dem Tisch stehen, wenn sie ins Zelt kommen."

Immerhin, ein anderes Problem tritt nicht mehr so häufig auf wie noch vor ein paar Jahren: "Wenn die Zelte wegen Überfüllung geschlossen werden, stehen wir dumm da." Es könne dann zwar niemand mehr zu ihnen kommen, aber ihre Stände dürften sie auch nicht verlassen. Wegen der drohenden Vertragsstrafe.

Ach ja, seufzt Elfriede Grimmig. Die Mitmenschlichkeit, sie habe eben nachgelassen. Sie will da gegensteuern, zum Beispiel, indem sie alten Leuten aus der Nachbarschaft beim Rentenantrag hilft oder sich um Zuschüsse für kinderreiche Familien bemüht: "Ich habe in einer Steuerkanzlei gearbeitet, ich kenne mich ein bissl aus." Sie selbst hat einen großen Freundeskreis, mit dem sie auch gerne verreist: "Was nützt mir denn das ganze Geld, wenn ich meine Freundschaften nicht mehr pflegen kann?"

Und die Wiesn? Na ja, logisch: Jedes Jahr wieder sagt sie sich am Schluss, dass es dieses Mal das letzte Mal gewesen ist. Weil sie zum Beispiel ordentliche Blutblasen an den Füßen hatte und trotzdem noch ein paar Tage ausharren musste. Oder weil so ein besoffener Depp doch tatsächlich sein Hosentürl aufgemacht hat, um sich an ihrem Stand zu erleichtern. Man kann sich das Donnerwetter, das Elfriede Grimmig da anstimmte, lebhaft vorstellen. Schön ist das alles nicht, aber es ist dennoch sehr wahrscheinlich, dass Grimmig bis Silvester, wenn die Frist abläuft, ihre Bewerbungsunterlagen fürs nächste Jahr einreichen wird. Nur zur Sicherheit. Falls sie es sich wieder anders überlegt. So wie die letzten 51 Jahre.

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