Verfahren gegen Anti-Nazi-Demonstrant eingestellt:Sprachlosigkeit im Gerichtssaal

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Ein Mann protestierte gegen einen Neonazi-Marsch - und landete vor Gericht. Der Vorwurf: Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Nun ist das Verfahren eingestellt worden wegen geringer Schuld.

Bernd Kastner

Die Sprachlosigkeit im Gerichtssaal ist auffallend, sie kündigt die spätere Pleite von Staatsanwaltschaft und Polizei schon an. Wo sonst Ankläger mit Paragrafen hantieren, wo Verteidiger jeden Satz der Anklage umdrehen, ist an diesem Nachmittag - Schweigen. Es beginnt damit, dass der Angeklagte Martin M., 40, nichts zum Vorwurf des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte sagen will. Und dass dann der Richter, als er das einzige Beweismittel, ein Polizeivideo, starten will, den Ton nicht ankriegt.

Wie gut, dass zumindest der Angeklagte technisch versiert ist, sodass man dann Gerangel sieht zwischen Polizisten und Demonstranten, man Rufen und Brüllen hört.

Die Aufnahmen zeigen Demonstranten, die im Januar gegen einen Neonazi-Marsch protestierten. Gegen jenen Marsch, den der weithin bekannte Rechtsextremist Norman Bordin angemeldet hatte und bei dem zu Beginn die Melodie von Paulchen Panther gespielt wurde. Jene Melodie, mit der die Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds ihr Mord-Video unterlegt hatten.

Diesen Marsch versuchten ein paar hundert Nazigegner zu stoppen, was ihnen später, in der Lindwurmstraße, auch gelang. Zuvor, in der Sonnenstraße, waren sie von der Polizei noch "weggeschoben und weggedrückt" worden, wie es im Strafbefehl gegen M. heißt. Bei diesem Wegschieben soll M. Widerstand geleistet haben.

Es ist dies der erste Prozess wegen der Anti-Nazi-Aktion, weitere werden folgen. Sie erinnern an eine andere Prozessreihe, die noch gar nicht abgeschlossen ist - wegen der Blockade eines Nazi-Marsches in Fürstenried, dabei hat die Staatsanwaltschaft schon mehrere Pleiten vor Gericht erlebt, Pleiten in Form von Freisprüchen. Ob sich die Ankläger mit der neuen Prozesswelle einen Gefallen tun, darf bezweifelt werden. Wieder werden Nazigegner vor Gericht gezerrt, wieder aber scheint die Beweislage dünn bis mangelhaft zu sein.

Das war schon daran zu erkennen, dass Amtsrichter Andreas Schätzl den vor Monaten von der Staatsanwaltschaft beantragten Strafbefehl gegen Martin M. nicht unterzeichnet hat, weil er nichts Strafbares erkannte. Deshalb jetzt die mündliche Verhandlung. Die Staatsanwältin verliest die Anklage, weiß aber nichts zu sagen, um ihre Vorwürfe zu untermauern. Der Richter rätselt nach der Videovorführung: "Wo ist jetzt die Widerstandshandlung?" Und er sagt: "Jaaa, was mach ma jetzt?"

Der Richter lächelt viel, das Lächeln scheint zu sagen: Lasst es doch bittschön gut sein. Allein Verteidigerin Angelika Lex gibt der - nicht anwesenden - Polizei eine Art Nachhilfe, wie sie's anstellen müsste, um eine Gegendemo rechtswirksam aufzulösen und so überhaupt die Voraussetzung für eine Widerstandshandlung zu schaffen.

Die Polizei hat der Staatsanwaltschaft keine ausreichenden Belege dafür geliefert, dass der Angeklagte M. sich strafbar gemacht hat. Die Videos geben nichts her, und so bleibt auch nichts übrig von der ursprünglichen Forderung der Ankläger, dass M. zu 60 Tagessätzen verurteilt wird und 2400 Euro zahlen soll. Man einigt sich, das Verfahren einzustellen wegen geringer Schuld. Die Schuld ist so gering, dass die Staatskasse alle Kosten zu tragen hat, auch die der Verteidigerin.

© SZ vom 10.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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