Einem alten Mythos neues Leben einhauchen
Schwerpunkt Niederlande im Literaturhaus - ein Gespräch mit Connie Palmen über Schreiben und Toleranz in unserem Nachbarland.
Amsterdam ist gleich um die Ecke - zumindest in den kommenden 40 Tagen, wenn die niederländische Literatur im Münchner Literaturhaus zu Gast ist. Eröffnet wird die Veranstaltungsreihe "Quer durch Amsterdam" am Donnerstag, 30. Oktober, mit einem großen Fest. Unter den vier Autoren, die aus ihren Werken lesen, ist Connie Palmen mit ihrem neuen Roman "Luzifer" (Diogenes). Mit Nina Berendonk sprach sie über Literatur und gesellschaftliche Probleme ihrer Heimat.
SZ: Frau Palmen, gibt es für Sie typisch niederländische Literatur?
Palmen: Nein, die niederländische Literatur, die ich kenne, finde ich sehr unterschiedlich, in Milan Kunderas Sinne europäisch. Harry Mulisch schreibt völlig anders als Cees Nooteboom, aber beide sind großartige Autoren. Ton und Stil sind etwas ganz Persönliches und somit nicht national.
SZ: Finden Sie, dass die Literatur Ihres Landes angemessen bekannt ist in der Welt oder sollte mehr übersetzt werden?
Palmen: Ich hoffe immer, dass alles übersetzt wird, dass mir auf diese Weise die Literatur der ganzen Welt zugänglich wird und umgekehrt unsere Bücher die ganze Welt erreichen. Das ist utopisch. Ich beobachte aber in letzter Zeit gerade in Deutschland, dass sich die Grenzen eher schließen und dass auch die Zeitungen immer weniger ausländische Bücher rezensieren. In Holland haben wir es noch ziemlich gut - Philip Roth zum Beispiel kann man eine Woche nach Erscheinen der Originalausgabe bei uns kaufen.
SZ: Das Bild von den Niederlanden als einem Musterbeispiel für Toleranz und Integration hat spätestens durch den Mord an Theo van Gogh einen Knacks bekommen - wie empfinden Sie das?
Palmen: In meinen Augen gab es bei uns diesen nationalen Mythos von der niederländischen Freundlichkeit und Toleranz, der die Menschen verband wie eine Religion. Schon nach Pim Fortuyns Tod tauchte plötzlich der Gedanke auf, ob wir uns das vielleicht nur eingebildet haben. Ich finde das schrecklich, zumal es manche Menschen zu ermutigen scheint, sich jetzt erst recht schlecht zu benehmen. Meine Chance als Schriftstellerin könnte es sein, dem alten Mythos neues Leben einzuhauchen.
SZ: Auch in Ihrem neuem Buch spielt ein unter Umständen gewaltsamer Tod eine wichtige Rolle ...
Palmen: Für mich ist "Luzifer" ein Roman über das Thema, über das wir gerade gesprochen haben, nämlich, wie Geschichten - sei es in Form von Klatsch, einem Mythos oder Literatur - wirken.
"Café Amsterdam": Eröffnung am Donnerstag, 30. Okt., 20.30 Uhr im "Oskar Maria", Salvatorplatz; das Programm der Reihe unter www.literaturhaus-muenchen.de; Mo., 3. Nov., 20 Uhr, Poesie im Lyrikkabinett
Foto: Ed van der Elsken/Nederlands Fotomuseum, courtesy Annet Gelink Gallery; Roy Tee