US-Tournee:Wie von der Riesenameise gebissen

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Erstmals seit 2003 geht das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf Tournee durch die Metropolen der amerikanischen Ostküste. Eine Reise, die von Klassikfans in USA und Kanada mit Spannung erwartet wird. SZ-Kulturredakteur Egbert Tholl begleitet die Tour und schildert in einem "Symphonischen Tagebuch" hier täglich seine Eindrücke von den Auftritten der Münchner Musiker und der Kultur- und Klassikszene zwischen Montreal und Washington.

Von Egbert Tholl, Washington

So, nun wird es ernst. Die ersten beiden Konzerte, beide vom Repertoire her gleich, Mahlers fünfte Symphonie, davor das Violinkonzert von Korngold, erst in Washington, tags darauf in Chapel Hill. What the fuck is Chapel Hill? Die offenbar älteste staatliche Universität der USA, so alt wie die französische Revolution, aber die gibt es ja nur noch in Reminiszenzen.

Chapel Hill in North Carolina indes ist lustig lebendig, eine Stadt, die eigentlich nur Campus ist, mit Eichhörnchen, reizenden Backsteinhäuschen und in der Mitte ist die Memorial Hall, ein Konzertsaal, in welchen Emil Kang regelmäßig reichlich sensationelle Musiker und Tänzer einlädt. Kang, der Leiter, begrüßt auch das Publikum, erzählt ein bisschen was von Korngold und Mahler und berichtet, dass Bayern München gewonnen hat - was ja nicht ganz stimmt, aber weiter sind sie schon in der Champions League.

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Von Egbert Tholl

Tags zuvor ganz anders: Das Kennedy Center in Washington, am Fluss und neben dem Watergate Gebäude gelegen, ist eine grandiose Setzung für die Kunst, ein beeindruckender Kasten mit einem leicht spätsozialistisch anmutenden Interieur, mit einem Foyer, das auch mal als Kulisse für "House of Cards" diente, von 189 Metern Länge, und neben Opern-, Theater- und sonstigem Haus ist darin ein Konzertsaal, der mit mehr als 2400 Plätzen fast doppelt so groß ist wie der in Chapel Hill. So unterschiedlich die Orte, eines ist gleich: Das Publikum springt erst nach dem Korngold, vor allem aber am Ende nach dem Mahler wie von der roten Riesenameise gebissen auf. Totale Begeisterung.

In München hörte ich Leonidas Kavakos bereits den Solopart im Korngold spielen, eine Vorführung blasierter Überlegenheit. Kavakos kann alles auf der Geige, sein Ton ist von beneidenswerter Präsenz. In München machte er mit dem Gold in seinen Händen nichts, in Washington ist er fast schon närrisch, durchbricht Korngolds Piratenfilmmusikschönklang mit aufgewühlter Zerrissenheit, die in der Umkehr zu wunderzarten Momenten führt, tags darauf indes ist vom Aufbruch wieder weniger zu spüren, zieht er sich wieder stärker aufs reine Können zurück. Doch da Mariss Jansons nie aufgibt, trotzt er ihm ein unglaubliches Ende des zweiten Satzes ab, ein berückendes sphärisches Erlebnis.

Mahlers Fünfte war in der ruppigen Akustik Washingtons ein erschütterndes Erlebnis, hart, krass - so beklemmend habe ich den Trauermarsch noch nie gehört. In Chapel Hill war es in musikantischer Pracht verbindlicher, aber dazu muss mehr viel mehr noch sagen, als jetzt Platz wäre. Morgen mehr.

© SZ vom 15.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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