Urteil im Krailling-Prozess:Lebenslang für alle

Thomas S. ist im Krailling-Prozess wegen zweifachen Mordes schuldig gesprochen und zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Die Verhandlung war für alle Beteiligten am Ende kaum noch zu ertragen - und die Antwort auf die Frage nach dem "Warum" bleibt Thomas S. schuldig. Der Schrecken wird für die Eltern der getöteten Mädchen wohl nie ein Ende nehmen.

Annette Ramelsberger.

Am Ende hatten alle, die diesen Prozess beobachteten, nur noch das Gefühl: Hauptsache, es ist vorbei. Endlich nicht mehr den Angeklagten betrachten müssen, wie er sich in seiner Bank fläzt im immer gleichen Jeanshemd. Endlich keine seiner Erklärungen mehr hören müssen, die jeder Logik widersprechen. Endlich diesen Auftritten ein Ende machen, die nur der Selbstdarstellung eines Angeklagten dienen, der keine Schuld erkennt, der keine Verantwortung tragen mag.

Prozess um Kraillinger Doppelmord geht dem Ende zu

Das immer gleiche Jeanshemd und die schier unerträgliche Selbstdarstellung eines Angeklagten, der keine Schuld erkennt: Thomas S. am Montag im Gerichtssaal.

(Foto: dpa)

Der, so scheint es, das, was in der Nacht zum 24. März vor einem Jahr stattgefunden hat, so gründlich verdrängt hat, dass ihm vermutlich auch das Urteil des Münchner Schwurgerichts als völlig absurd erscheint.

Dieses hat den 51 Jahre alten Postboten Thomas S. aus Peißenberg am Montag zu lebenslanger Haft verurteilt und auch die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Es ist der schwerste Schuldspruch, den ein deutsches Gericht verhängen kann. Die Richter befanden Thomas S. schuldig, seine Nichten Sharon, elf, und Chiara, acht, vor einem Jahr aus Habgier heimtückisch getötet zu haben. Es gebe keine strafmildernden Gründe.

"Für ihn spricht nur, dass er noch nie straffällig geworden ist und dass er seiner Frau und seinen Kindern ein schönes Heim einrichten wollte - aber auch das auf Kosten anderer", sagte Richter Ralph Alt. Er erklärte, die Strafdauer könne sich nicht am Regelfall orientieren. Das heißt: Thomas S. wird sehr lange in Haft bleiben.

Zuvor hatte sich die Anwältin von Anette S., der Mutter der getöteten Kinder, noch einmal sehr persönlich an das Gericht gewandt. "Wie geht es Ihrer Mandantin?" Das werde sie am häufigsten gefragt. "Wie soll es einer Frau gehen, die ihre beiden Töchter blutüberströmt gefunden hat? Wie soll es einer Frau gehen, die über und über besudelt war mit dem Blut ihrer sterbenden Kinder? Wie soll es einer Frau gehen, die weiß, dass ihre Töchter sich verzweifelt gewehrt haben? Die weiß, dass Chiara den Todeskampf ihrer Schwester Sharon miterlebt hat?" Anwältin Annette von Stetten hält kurz inne, dann sagt sie: "Die Antwort auf die Frage: 'Wie geht es Ihrer Mandantin?' wird nie wieder heißen: 'Gut.'"

Annette von Stetten wendet sich auch direkt an den Angeklagten: "Sie demonstrieren hier vor Gericht eine gefühllose und mitleidlose Gesinnung. Sie bedienen uns hier mit Quatsch. Sie posen im Gerichtssaal, als gingen Sie zur Autogrammstunde. Sie führen sich auf, als verfolgten Sie ein Fußballspiel, das schlecht gepfiffen wird. Und Sie bleiben uns die Antwort auf die Frage nach dem Warum schuldig." Der Angeklagte zuckt nur mit den Schultern.

"Diese Geschichte ist für Sie heute nicht zu Ende"

Auch Andreas von Mariassy, der Vertreter des Vaters der Kinder, appelliert noch einmal an Thomas S., Verantwortung für die Tat zu übernehmen. "Diese Geschichte ist für Sie heute nicht zu Ende. Die Frage nach Verantwortung wird sich stellen für Sie: Irgendwann fragt Sie ein Gutachter in Straubing, wie Sie dazu stehen. Und wenn Sie sich nicht damit auseinandersetzen, bleiben die Türen der JVA für Sie zu."

Doch Thomas S. hat sich am letzten Verhandlungstag entschieden, dem Gericht eine Variante zu unterbreiten, wie seine DNA an den Tatort und die Leichen der Kinder gelangte, die der Staatsanwalt "fabelhaft" nennt - im Wortsinne. Thomas S. erklärt, die Blutspuren stammten nicht von ihm. Sondern die habe vermutlich die Staatsanwaltschaft selbst verteilt. Sie habe dazu wohl Blut aus einer Probe verwendet, die ihm während der Haft in Stadelheim abgenommen worden sei. Die Anwälte von Thomas S., Adam Ahmed und Eva Gareis, legen Wert darauf, dass das "nicht die Behauptung der Verteidigung" ist. Noch deutlicher kann man sich nicht distanzieren.

Zu hanebüchen ist der Vortrag, der schon zeitlich nicht stimmen kann. Die Blutspuren wurden am 24. März 2011 gefunden und in den Tagen darauf analysiert. Damals war S. noch gar nicht verdächtig. Er wurde am 1. April festgenommen und erst danach wurde eine Blutprobe von ihm genommen. Also konnte sie gar nicht vorher verteilt werden, wie Staatsanwalt Florian Gliwitzky erläutert. Er nennt die Behauptung von Thomas S. "ungeheuerlich".

Er bewege sich damit im Bereich einer Straftat, nämlich der einer falschen Verdächtigung und übler Nachrede. Auch Richter Alt spricht von einer "abwegigen" Behauptung. Für die DNA-Spuren seien nicht Blutproben von Thomas S., sondern der Abstrich aus seiner Mundhöhle benutzt worden.

Niemand außer Thomas S. kann Fehler finden

Ich bin ziemlich sicher, dass ich meine Nichten nicht getötet habe", sagt Thomas S. am letzten Verhandlungstag. In der Sitzung vor Ostern hatte von Mariassy ihn aufgefordert, er solle sich seiner Verantwortung stellen. Thomas S. tut das - auf seine Weise. "Sie wollten vermutlich damit an mein moralisches Gewissen appellieren", sagt S.. Er wolle jetzt über "die Moral bei Gerichtsverhandlungen" etwas sagen. Die Zeugen hätten gelogen, die Rechtsmedizinerin, so habe er gehört, sei mit einem Mann von der Mordkommission verheiratet, das müsse ja zu Interessenkonflikten führen. Und in den DNA-Gutachten finde er "als Laie" schon viele Fehler.

S. blättert wild durch die Aktenordner, wirft das Mikro um, auf der Suche nach den Fehlern. Niemand außer ihm kann welche finden.

Seine Anwälte sitzen zu diesem Zeitpunkt nur noch vor ihm und versuchen, ihre Gesichtszüge nicht entgleisen zu lassen. Ihr Mandant hat sich selbständig gemacht und redet sich mit jedem Satz tiefer ins Verderben. Alle hier im Saal sind jetzt an ihrer psychischen Belastungsgrenze angelangt: Der Angeklagte redet und redet, über Fehler der Polizei, der Rechtsmedizin, über die Dummheit der anderen. Aber nicht über sich selbst.

Als der Staatsanwalt zum Plädoyer ansetzt, fläzt sich Thomas S. in seinen Stuhl. Er verschränkt die Hände hinterm Kopf, liegt halb in der Bank. Er grinst Gliwitzky mit schräg gelegtem Kopf an, als der erzählt, wie die Kinder getötet wurden. Wie zum Spaß macht S. mit beiden Händen eine Geste, als drehe er jemandem den Hals um. Und er lacht, als Gliwitzky über die 15 Stichwunden von Sharon spricht, die er dem Kind seiner Überzeugung nach zugefügt hat.

Erdrückende Beweislast

Der Staatsanwalt spricht von einer "erdrückenden Beweislast" gegen S. und skizziert: Um 22.21 Uhr wurde nachweislich sein Computer in Peißenberg ausgeschaltet, um 21.30 Uhr verließ die Mutter von Sharon und Chiara das Haus in Krailling. Spätestens um 2.30 Uhr waren die Kinder nach den Erkenntnissen der Rechtsmedizin tot.

Thomas S. wusste, dass die Kinder jeden Mittwochabend alleine waren. Er wusste, dass die Mutter nebenan in der Kneipe bei einem Musikwettbewerb war. Und er wusste, dass die Tür unversperrt war. Seine Fingerabdrücke wurden auf dem Seil gefunden, mit dem Chiara erdrosselt wurde, und auf der Taschenlampe am Tatort. Seine DNA konnten die Experten auf dem Steakmesser in der Spülmaschine, am Seil und an Chiaras Leiche sicherstellen - insgesamt 23-mal auf den Tatwerkzeugen und 20-mal an den Leichen der Kinder.

So dicht sei die Beweislage, dass auch S.' frühere Angabe, er habe die Wohnung besucht und Nasenbluten gehabt, "abwegig" sei. "Man sitzt hier und hört dem Angeklagten über Stunden zu, alle hören andächtig zu. Aber eigentlich müsste man laut zu lachen anfangen, wenn es nicht so traurig wäre", sagt der Staatsanwalt.

Am Ende hat Thomas S. sogar seine bis zuletzt engagierten Anwälte resignieren lassen. Sie belassen es bei einem kurzen Pflichtvortrag. Man verkenne die "tiefgreifende Indizienkette" nicht. Auf der anderen Seite habe man gehört, wie sich Herr S. damit auseinandergesetzt habe. Anwalt Adam Ahmed erklärt, man werde keinen konkreten Strafantrag stellen. "Wir haben großes Vertrauen in das Gericht, dass es ein richtiges Urteil fällen wird." Am Rande hört man, dass Anwältin Eva Gareis ihren Mandanten erzürnt beschworen haben soll, endlich mit seinen selbstgerechten Vorträgen aufzuhören. Doch das half nichts.

"Mir wird ständig DNA untergejubelt, die nicht von mir war", sagt Thomas S. in seinem Schlusswort. "Ich bin gern bereit, mit Ihnen das DNA-Gutachten durchzugehen", bietet er der Anwältin der Mutter der Opfer an. "Aber ich lass es jetzt. Glaubt mir eh keiner."

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