Urteil gegen U-Bahn-Schubser:Doch kein Mordversuch

Der Rentner, der ein Mädchen vor eine U-Bahn geschubst hat, ist wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt worden. Er weinte bei der Urteilsverkündung.

Lisa Sonnabend

Es war nur eine Sekunde, aber sie reichte, um das 70 Jahre alte Leben von Ludwig D. zu verändern: An einem Montagvormittag im Juni schubste Ludwig D. ein 13-jähriges Mädchen am Münchner U-Bahnhof Petuelring vor den einfahrenden Zug. Hätte der Rentner die Schülerin nur eine Zehntelsekunde später geschubst, wäre sie wohl nicht wie durch ein Wunder aus dem Spalt zwischen den beiden U-Bahnwaggons herausgeschleudert worden, sondern wäre in den Freiraum gefallen - und hätte den Vorfall wahrscheinlich nicht überlebt.

Urteil: Prozess um U-Bahnschubser

Der 70-jährige Rentner während des Prozesses.

(Foto: Foto: dpa)

Vor dem Landgericht München war vergangene Woche an drei Verhandlungstagen diskutiert worden, welche Strafe angemessen ist für einen 70 Jahre alten Mann, der sich immer gesetzestreu verhalten hat und plötzlich von einer Sekunde zur anderen fast zum Mörder wird. Handelt es sich um versuchten Mord oder gefährliche Körperverletzung? Soll die Tat mit einer langen Haftstrafe oder mit einer Bewährungsstrafe geahndet werden? Nun ist das Urteil gefallen. Ludwig D. wurde zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt.

Seine Hände zitterten

Der Rentner verdeckte mit einer Zeitung sein Gesicht, als er den Sitzungsaal A101 im Landgericht München betrat. Seine Hände zitterten. Während der Urteilsverkündung saß er regungslos da, den Kopf ein wenig nach unten gebeugt. Immer wieder schluckte er und wischte sich Tränen aus dem Gesicht.

In der Urteilsbegründung hieß es, Ludwig D. habe sich zu der Tat spontan entschlossen, deswegen habe man einen Tötungsvorsatz ausgeschlossen. Die U-Bahn sei nicht an allen Stellen gleich gefährlich. Ludwig D. habe das Mädchen in dem Moment gestoßen, als kein Zwischenraum zwischen zwei Wagons zu sehen war. Das sei ihm mildernd anzurechnen.

Zugunsten des Angeklagten habe man berücksichtigt, dass ein Geständnis vorliege, das allerdings "zu wünschen übrig gelassen" habe, wie Richter Manfred Götzl sagte. Auch die Tatsache, dass Ludwig D. nicht vorbestraft sei, wirke strafmildernd. Zudem hat sich der Rentner beim Opfer früh entschuldigt und dem Mädchen im Rahmen des Täter-Opfer-Ausgleiches bereits 10.000 Euro gezahlt. Das Mädchen hatte im Prozess angegeben, inzwischen "Mitleid mit dem Angeklagten" zu haben und keine Rache zu empfinden.

Aktiver und rüstiger Mann

Zu Ludwig D.s Lasten müsse man jedoch in Betracht ziehen, dass das Opfer arg- und wehrlos war. Das Mädchen hat nicht mit einem Angriff gerechnet. "Sie waren nicht in Bedrängnis, Sie gingen auf die Geschädigte zu", sagte Götzl zu dem Verurteilten. Die Kinder hätten sich ganz normal verhalten. Die Wucht des Stoßes sei erheblich gewesen, er habe das Mädchen nicht nur geschubst. "Es war ein enormer Glücksfall", sagte der Richter über den Ausgang des Vorfalls.

Der Richter beschrieb den Rentner als "gesunden, rüstigen und aktiven Mann", der mehrmals pro Woche zum Bergwandern gehe. Er lebe sehr normorientiert und diese Normorientierung erwarte er auch von den anderen.

Am 2. Juni vorigen Jahres tollten gegen 14 Uhr am U-Bahnhof Petuelring Kinder herum, die hitzefrei hatten. Der Rentner ärgerte sich über den Lärm und darüber, dass einige Kinder den Sicherheitsstreifen nicht beachteten - auch das Opfer nicht. Ludwig D. hatte vor Gericht gesagt, das Mädchen aus einer Art Reflexbewegung geschubst zu haben. Das Opfer habe ihn keinerlei Anlass dazu gegeben, betonte Richter Götzl heute in der Urteilsverkündung.

"Selber schuld", hatte Ludwig D. noch zu dem Mädchen gesagt und ist dann in die U-Bahn gestiegen und davongefahren. "Sie haben sich nicht um das Mädchen gekümmert", warf der Richter dem Rentner vor. Das Opfer kam durch glückliche Umstände nur mit Schürfwunden und Prellungen davon. Ein Leser von sueddeutsche.de hatte Ludwig D. auf einem Fahndungsfoto erkannt und der Polizei den entscheidenden Hinweis gegeben. Der U-Bahn-Schubser konnte so überführt werden.

Ludwig D. hat nun zwei Jahre und neun Monate lang Zeit, über diese eine Sekunde, die sein Leben verändert hat, nachzudenken. Doch auch danach wird er diesen Moment wohl nie vergessen.

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