Urlaubsexperte:Erfolgsdruck statt Erholung

Urlaubsexperte: Jürgen Kagelmann ist Experte für Tourismus- und Freizeitsoziologie und -psychologie. Er hält jede Art von positiven Erlebnissen für erholsam.

Jürgen Kagelmann ist Experte für Tourismus- und Freizeitsoziologie und -psychologie. Er hält jede Art von positiven Erlebnissen für erholsam.

(Foto: privat)

Verreisen könnte so schön sein, wenn da nicht der Anspruch wäre, dass am Ende alles perfekt sein muss. Ein Urlaubsexperte rät, die Erwartungen herunterzuschrauben

Interview von Tanja Schwarzenbach

Warum können wir in einem Zeitalter, in dem wir uns im Internet über alles informieren können, überhaupt noch vom Urlaub enttäuscht werden? Gerade deswegen, meint Jürgen Kagelmann, Experte für Tourismus- und Freizeitsoziologie und -psychologie an der LMU und an der Dualen Hochschule Ravensburg.

SZ: Herr Kagelmann, lassen Sie uns doch mal über Urlaubsenttäuschungen sprechen.

Jürgen Kagelmann: Über Enttäuschungen gibt es wenig Studien. Besonders in Deutschland beschäftigt man sich lieber mit den Sonnenseiten, also den positiven Aspekten des Urlaubs. Und das nicht nur in den Wissenschaften. Fragt man jemanden, wie der Urlaub war, bekommt man doch meist die Antwort: wunderschön!

Ist das eine typisch deutsche Antwort?

Ja, durchaus. Man will nicht zugeben, dass der Urlaub vielleicht doch nicht so war wie gedacht. Schließlich hat man sich vorher reingehängt, recherchiert. Da möchte man sich am Ende auf das Positive konzentrieren. Negativ sprechen die Leute nur über das Wetter. Man muss schon differenziert nachfragen, um zu erfahren, dass es zum Beispiel furchtbar eng im Flugzeug war.

Auf Hotelportalen wie Tripadvisor meckern die Menschen aber ganz schön.

Es ist schon interessant, wie hämisch und böse die Kritiken zum Teil sind, und auch unangemessen. Da werden aus einer einzelnen Biene schon mal 30 Bienenstöcke in der Nähe des Hotels.

Haben Urlauber vielleicht immer höhere Erwartungen?

Ja, weil sie vorher so viel Arbeit hineinstecken. Sie sitzen zum Beispiel nächtelang vor dem PC und versuchen, unter 320 Hotels das eine zu finden, das zu ihnen passt.

Das kommt mir nicht ganz unbekannt vor, muss ich gestehen . . .

Ich kenne das bei mir von Flügen. Umso mehr Infos ich bekomme, desto mehr Fragen tun sich auf. Es ist aber eigentlich absurd. Die Urlaubsplanung wird dadurch zum Stress. Es baut sich eine Art Erfolgsdruck auf. Das hat zur Folge, dass die Menschen grantig werden, wenn die Reise dann doch nicht perfekt ist.

Das Vergleichen geht im Urlaub ja unter Umständen weiter.

Genau: Habe ich das beste Zimmer und die beste Aussicht, hat der andere nur die Hälfte für die Reise bezahlt?

Vergleichen ist eine sehr menschliche Eigenschaft. Aber das Ergebnis kann dann zu innerem Ärger und Aggressionen führen. Urlaub ist ein hochemotional aufgeladenes Produkt.

Manchmal kommt alles zusammen und auch zwischenmenschlich läuft es schief.

Klar, ein Urlaub hat Konfliktpotenzial, zwischen den Reisepartnern oder auch den Eltern und Kindern. Plötzlich ist man auf engem Raum lange Zeit zusammen. Und hat unterschiedliche Vorstellungen davon, wie man die Freizeit füllen will. Obwohl Cluburlaub nicht mehr so gefragt ist, finde ich ihn eigentlich ideal, weil er ähnliche Strukturen bietet wie der Alltag daheim: Man trifft sich zum Frühstücken, dann kann jeder seinen Interessen nachgehen und am späten Nachmittag trifft man sich wieder und erzählt von seinen Erlebnissen.

Wenn aber doch mal alles nicht so war wie erträumt - wie geht man am besten damit um?

Zuerst einmal sollte man vorher schon die Erwartungen herunterschrauben und sich möglichst wenig vornehmen. Dann ist man auch nicht enttäuscht, nicht alles geschafft zu haben. Wenn etwas daneben ging, locker bleiben - das nächste Mal wird es besser. Es gibt zwei Gründe, warum wir wieder in den Urlaub fahren: Weil alles geklappt hat. Oder weil nicht alles geklappt hat - zum Beispiel Wasser und Gegend schön waren, aber das Hotel nicht. Dann ist klar, was man beim nächsten Mal zu tun hat.

Brauchen wir überhaupt Urlaub?

Wir brauchen Erholung, aber keinen Urlaub im Sinne von Verreisen. Das Reisen ist aber mittlerweile zu einer gesellschaftlichen Norm geworden. Dabei kann man sich auch daheim erholen: essen gehen, Freunde treffen, Sport machen.

Das klingt entspannender, denn es kann fast nicht schief gehen.

Das Gute ist ja, dass wir negative Erlebnisse langfristig vergessen und die guten in Erinnerung behalten. Wir färben uns die Erinnerungen also schön - so oder so.

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