Urban Gardening:Blüten am Straßenrand

Mit Pflanzaktionen holen sich Anwohner ein Stück vom öffentlichen Raum zurück - legal und mit städtischer Hilfe

Von Thomas Anlauf

Die ganze Geschichte beginnt mit Bomben. Braunen Kügelchen aus getrocknetem Ton, gefüllt mit Blumensamen, die meist nachts von verkleideten Gestalten über Hecken geworfen, in Baumgräben fallengelassen oder in allzu brav gestutzten Rasenflächen abgelegt wurden: Seedbombs, Samenbomben. Die Pflanzaktionen waren Protest gegen die "Monokulturen des Spießbürgertums". Auch in München verbreitete sich Anfang der Nullerjahre das "Guerilla Gardening" als politisches Statement. "Wir haben uns gefragt: Wie öffentlich ist der öffentliche Raum?", sagt Silvia Gonzalez. Die Umweltwissenschaftlerin steht auf dem Gehweg der Daiserstraße in Sendling, neben ihr blühen Blumen, wachsen Gräser so hoch, dass es einem winzigen Dschungel am Straßenrand gleicht. Wirte, Geschäftsleute und Anwohner haben sich mit Pflanzaktionen ein Stück vom öffentlichen Raum zurückerobert - ganz legal und mit Unterstützung der Stadt.

Die Daiserstraße mit grünen Beeten zu verschönern war ein Pilotprojekt. Und es ist so erfolgreich, dass jedes Jahr ein neues Beet entsteht. Dort, wo Bäume am Straßenrand stehen und früher das sogenannte Straßenbegleitgrün höchstens ein Hundeklo oder ein wilder Fahrradabstellplatz waren. Im Herbst 2010 sprachen Silvia Gonzalez und ihre Mitstreiter der Münchner Umweltorganisation Green City Geschäftsleute an, ob sie nicht Lust hätten, vor ihrem Laden oder ihrer Haustür Gräser, Blumen und Büsche zu pflanzen und zu pflegen. Schnell fanden sich einige, die an der kleinen Kreuzung von Daiser- und Alramstraße mitmachten. Nicht an jeder der vier Ecken hat das perfekt funktioniert, mal wuchert es etwas wild, mal machen Radfahrer die Bemühungen der ehrenamtlichen Stadtgärtner zunichte, indem sie ihre Radl ins frische Grün schieben. Beim Wirtshaus Pschorr-Krug hängt ein handgeschriebenes Schild am Baum über dem Beet mit kleinen Rosensträuchern: "Bitte! Bitte! Hier kein Hundeklo. Danke! Pschorr-Krug."

Die Münchner, die sich dafür entschieden haben, eine Patenschaft für eine kleine Grünfläche zu übernehmen, nehmen ihre Sache sehr ernst. Green City koordiniert diese Patenschaften, von denen es mittlerweile fast 60 im ganzen Stadtgebiet gibt (www.greencity.de/projekt/gruenpaten). Es werden Verträge zwischen Stadt, Green City und den Paten aufgesetzt, die immer aus einer kleinen Gemeinschaft bestehen müssen. Falls jemand wegzieht oder längere Zeit im Urlaub ist, kann so jeder der anderen einspringen und das Beet gießen, nachpflanzen oder die Rosen stutzen, damit sie schöner nachwachsen. "Es war ein zwei Jahre langer Lernprozess", sagt Silvia Gonzalez, die bei Green City für das Thema Stadtgestaltung zuständig ist. Das Ziel war ja eigentlich nur, Münchens Häuserschluchten grüner zu gestalten. Deshalb zogen die Umweltaktivisten vor vielen Jahren durch die Straßen und warfen mal hier und mal dort eine Samenbombe. Doch schnell stellten die Naturschützer fest, dass es nicht immer viel bringt, ein paar Samen zu verstreuen oder nachts einen Busch zu pflanzen und darauf zu hoffen, dass das Ganze von alleine wächst. Krokusse, die plötzlich auf akribisch gepflegtem Rasen sprossen, wurden von Stadtgärtnern schon mal niedergemäht. Und als die Politgärtner direkt vor dem Gasteig ein paar Buchsbäume pflanzten, die dann niemand mehr goss, meldete sich das Gartenbauamt und meinte: So gehe das nicht, mit den abgestorbenen Bäumchen vor dem Kulturhaus sehe das Areal nun noch trister aus als vorher.

Was tun also, wenn jeder was pflanzen, aber keiner gießen will? In einem abendlichen Gespräch mit der Leitung des städtischen Gartenbauamts kam die Idee mit den Grünpaten auf: Wer das Beet gießt, darf auch bestimmen, was angepflanzt wird. "Dann ist es auch seines", sagt Silvia Gonzalez. Tatsächlich funktioniert das Paten-Prinzip seit mittlerweile acht Jahren, besonders in dicht bebauten Innenstadtvierteln wie Sendling, Haidhausen, Schwabing. Wer keinen eigenen Garten oder Balkon hat, freut sich über ein Stückchen Grün vor der Haustür.

2009 startete Green City das Grünpatenprojekt. Damals gab es auch noch die Guerilla Gärtner München, die die Pflanzaktionen als "ein gemeinschaftliches Abenteuer direkt vor der Haustür" empfanden. "Durch unsere Aktionen fördern wir das Zusammenleben in den Vierteln. Vor der Bepflanzung laden wir Anwohner sowie Geschäftsleute ein, die Beete mitzugestalten und zu bepflanzen." Die Homepage gibt es noch, doch seit 2011 ist die Seite verwaist. Die Stadt verweist heute aktiv auf die Patenschaften von Green City, wenn Anwohner sich etwas Grün am Straßenrand wünschen.

Der Ablauf ist zwar dadurch etwas bürokratischer, als wenn Münchner einfach etwas pflanzen, ohne bei der Stadt zu fragen. Doch dafür gibt es vom Baureferat nach Abschluss des Patenvertrags einmalig Humus und Pflanzen aus den Beständen der Stadtgärtnerei. Wer etwas Ausgefallenes anpflanzen will, muss sich die Bäumchen oder Blumen allerdings selbst besorgen. So wie Pham Vu Ninh, der an der Alramstraße ein kleines vietnamesisches Restaurant betreibt. Vor seinem Lokal sprießt unter anderem ein kleiner Feigenbaum. "Ich habe hier schon viel investiert", sagt er und zupft ein bisschen im Beet herum. Er meint nicht nur Geld für die Pflanzen, sondern auch Zeit. Aber den Gästen und ihm selbst gefällt das viele Grün vor dem Restaurant. Leider aber auch den Hunden, klagt Ninh.

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