Unterwasser-Fotografie:"Es bleiben nur Sekundenbruchteile"

Unterwasser-Fotografie: Viel Zeit hat der Fotograf nicht, um sein Modell abzulichten.

Viel Zeit hat der Fotograf nicht, um sein Modell abzulichten.

(Foto: Sven Gruse)

Sven Gruse fotografiert Hunde, Brautpaare und Babys unter Wasser - und dabei muss er ziemlich schnell auf den Auslöser drücken. Denn in Szene setzen lässt sich hier nichts.

Von Thomas Anlauf

Ein Hund ist kein Buckelwal, kein Mantarochen und auch kein Walhai. Diese riesigen Meerestiere hat Sven Gruse alle schon vor der Kamera gehabt, in Mosambik, vor der Küste Thailands, im Roten Meer. Sven Gruse ist schließlich Unterwasserfotograf, Tauchlehrer und Weltreisender. Und dann soll er einen Hund unter Wasser fotografieren?

Gruse grinst. Er steht in einem kleinen Pool, Lutz quietscht vor Aufregung. Lutz jault, bellt, springt ins Wasser. Es spritzt. Und Gruse drückt ab.

Was auf den Fotos zu sehen ist, die Sven Gruse mit seiner Unterwasserkamera gemacht hat, sieht aus wie ein gewaltiges Raubtier. Weit aufgerissenes Maul, weiße scharfe Zähne, aus der schwarzen Schnauze blubbern Blasen. Lutz ist eigentlich ein kleiner Deutscher Jagdterrier in der Größe einer Laptoptasche mit Hang zum Bälleschnappen. Wenn er dafür auch noch ins Wasser springt, wird er zum wilden Tier, unter Wasser gar ein Monster.

Sven Gruse ist fasziniert von den Unterwasserwahrheiten, die ein Hund beim Tauchgang preisgibt. Manche Tiere fletschen die Zähne, andere blasen schielend Luft aus den Nasenlöchern. Es sind Bilder von grotesker Schönheit, die dem Fotografen gelingen, indem er Hunde in einen Pool lockt, dann die Kamera knapp unter die Wasseroberfläche hält und abdrückt. "Im Idealfall springen sie gleich vom Beckenrand rein", sagt Sven Gruse, der mitten im Pool steht.

Aber einen gewissen Grundgehorsam bräuchten die Hunde trotzdem, damit das mit dem Fotoshooting klappt. Seit einem Jahr bietet der 40-Jährige diese außergewöhnlichen Fotosessions für Hundebesitzer an. Bislang vor allem in Potsdam, wo er geboren ist, aber nun auch in seiner Wahlheimat München, wo der studierte Betriebswirt zehn Jahre lang in einer Vermögensverwaltungsfirma arbeitete, zuletzt als Investmentfondmanager. Und dann Hunde unter Wasser ablichten?

Die Entscheidung für etwas Neues

"Es war keine Entscheidung gegen meinen Job", sagt Sven Gruse. Es war einfach die Sehnsucht nach dem Unbekannten, dem Fremden. Die Geschichte beginnt mit einer Weltreise.

Vor einigen Jahren überlegte er mit seiner Partnerin, mit einem alten Steyr-Lastwagen in Richtung Russland und die Mongolei aufzubrechen und München eine Zeit lang hinter sich zu lassen. "Wir haben uns gesagt, entweder jetzt oder nie", sagt Sven Gruse. Aus der Russlandfahrt wurde eine mehrjährige Reise rund um die Welt, im Sommer 2016 kehrten die beiden wieder nach München zurück. Gruse hatte seine Unterwasserkamera im Gepäck, die er sich gekauft hatte, nachdem er mit 30 Jahren zunächst den Tauchschein und dann auch noch die Ausbildung zum Tauchlehrer gemacht hatte.

Aus dem Hobby wurde ein Geschäft

Unterwegs wurde er bei Tauchgängen immer wieder gefragt, ob er Fotos machen könnte, so entstand die Idee, Unterwasserfotografie nicht nur als Hobby zu betreiben, sondern hauptberuflich. Schon auf der Weltreise begannen er und seine Partnerin, Kalender mit den Reisefotos zu machen und zu verkaufen. Das Geschäft lief offenbar ganz gut, sogar aus der Ferne.

Zurück in Deutschland wollte er versuchen, auch hier von der Unterwasserfotografie hauptberuflich zu leben. Da stieß er auch auf die Hundebilder des US-amerikanischen Fotografen Seth Casteel, der 2011 das neue Foto-Genre erfunden hatte. Das faszinierte Sven Gruse. Man wisse vorher nie, was später auf dem Foto zu sehen ist, "es bleiben nur Sekundenbruchteile". Manchmal wirke der Hund, der nach einem Ball taucht, eben wie ein wildes Raubtier, andere sehen einfach nur niedlich oder erschrocken aus im Wasser.

Natürlich könne er auch in einem der Seen rund um München oder Potsdam tauchen und Fische fotografieren. "Aber irgendwann kennt der Hecht mich, und ich kenne den Hecht, das ist auf Dauer langweilig." Zumal es offenbar zahlreiche Hundebesitzer gibt, die ein möglichst ungewöhnliches Foto von ihrem Haustier besitzen wollen. Knapp 100 Euro kostet eine halbe Stunde Hundeplanschen samt Foto.

Sven Gruse hat an diesem Morgen zum Fotoshooting in Trudering gleich drei Hunde als Unterwassermodels. Da ist außer Lutz der fünfjährige Armani, ein brauner Weimeraner. Er kauert neugierig am Beckenrand und beobachtet den gelben Ball, der von einer für ihn unsichtbaren Leine immer wieder unter Wasser gezogen wird. Schließlich plumpst auch er ins Becken und paddelt dem Ball hinterher. Unter Wasser sieht es aus, als würde Armani lächeln.

Nur der kleine weiße Poncho ist nicht sonderlich begeistert davon, nach einem Ball zu tauchen. Schwimmen im Pool, okay, den kennt er von seinem Frauchen Elke Pfeiffer, die im Münchner Osten mit ihrem Team eine Praxis für Hundetherapie betreibt. In einem Nebenraum hat sie den Pool aufgebaut, dort wird therapeutisches Hundeschwimmen angeboten. Sie habe das einzige beheizte Hundeschwimmbad im Großraum München, sagt Elke Pfeiffer. Darin könnten die Muskeln der Tiere gekräftigt und aufgebaut werden, etwa nach Operationen. Der Ansturm auf die Truderinger Praxis ist groß, etwa 70 Hunde behandeln sie und ihr Team in der Woche, daneben aber auch noch Pferde mit Gesundheitsproblemen.

Babys und Hochzeitspaare

Für Sven Gruse ist der Hundepool ideal. Im Frühjahr starten er und Elke Pfeiffer eine Kooperation, Hundebesitzer können dann nicht nur ihre Tiere behandeln, sondern auch gleich fotografieren lassen. Für andere Bereiche der Unterwasserfotografie, die der 40-jährige Taucher auch noch anbietet, muss er sich allerdings andere Schwimmbecken in München suchen. Er fotografiert zum Beispiel frisch verheiratete Paare in ihren Hochzeitskleidern im Wasser, auch Modefotografie im Swimmingpool bietet er an.

Und im Frühling will er auch wieder mit Babys arbeiten, die er bei Babyschwimmkursen fotografiert. "Es ist erstaunlich, wie sie reagieren, wenn sie ins Wasser eintauchen", sagt Sven Gruse. Sie öffnen dann vorsichtig die Augen und tasten sich langsam vor in der Wasserwelt. Die Motive der seltsam entrückten Kinder, die dabei entstehen, kommen dem Betrachter vertraut vor: 1991 zierte ein tauchendes Baby das Cover von Nirvanas Erfolgsalbum "Nevermind" mit dem Song "Come as you are", komm wie du bist. Das könnte auch Sven Gruse zu seinen tauchenden Models sagen.

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