Unterstützung:"Flüchtlingsfrauen werden vergessen"

Unterstützung: "Alleinreisende haben keinen Schutz", sagt Gabi Höbenreich-Hajek, Leiterin der Hilfsorganisation Solwodi.

"Alleinreisende haben keinen Schutz", sagt Gabi Höbenreich-Hajek, Leiterin der Hilfsorganisation Solwodi.

(Foto: Hess)

Asylbewerberinnen leiden in Gemeinschaftsunterkünften oftmals unter ihren männlichen Nachbarn und ihrer Vergangenheit - Schutz bekommen sie kaum

Interview von Inga Rahmsdorf

Gabi Höbenreich-Hajek ist Leiterin der Hilfsorganisation Solwodi in München. Sie und ihre Kolleginnen helfen und beraten Frauen, die Opfer von Menschenhandel, Gewalt, Zwangsprostitution oder Zwangsheirat geworden sind.

SZ: Erhalten nach Deutschland geflohene Frauen hier ausreichend Schutz?

Höbenreich-Hajek: Flüchtlingsfrauen werden vergessen. Sie gehen in der Masse unter und es wird nicht auf ihre Bedürfnisse geachtet. Unsere Klientinnen sind alleinreisende Frauen. Wir hatten schon früher immer das Problem, dass Flüchtlingsfrauen nicht separat untergebracht werden, wenn sie das wollen. Und jetzt ist es unmöglich geworden, den Platz für Frauen vorzuhalten. Es heißt außerdem, dass Frauen eine deeskalierende Wirkung haben und hygienischer sind. Wenn Häuser mit Frauen besetzt sind, dann gebe es weniger Konflikte zwischen den Männern.

Aber es bringt dann Konflikte für die Frauen mit sich?

Wir haben gerade einen Fall. Da hat ein Wachmann in einer Gemeinschaftsunterkunft eine Frau angezeigt wegen Beleidigungen. Die Frau sagt, ja, sie hätte ihn beleidigt, weil sie keine Lust mehr hatte, seine sexuellen Avancen zu ertragen und ständig auf Sex angesprochen zu werden. Wie gehen Sie mit solch einem Fall um?

Es macht Sinn, gemeinsam mit ihr zur Polizei zu gehen, weil dadurch dokumentiert wird, warum es zu solchen Situationen kommt. Wenn eine Flüchtlingsfrau zu Sex aufgefordert wird, dann sagt die Polizei, das sei keine Attacke. Aber wenn eine Frau in Deutschland am Arbeitsplatz sexuell belästigt wird, dann ist es das wohl.

Ist das ein Einzelfall?

Auch wenn es nicht zu offener sexueller Gewalt kommt, müssen diese Frauen sich permanent in den Unterkünften Anbiederungen widersetzen. Das passiert überall. Zudem hält sich das Gerücht, dass sie Hilfe bekommen, wenn sie sexuelle Dienste leisten, mit Versprechen wie: Schlaf mit mir, dann mache ich dir ein Baby und du kannst bleiben. Zudem sind viele Frauen auf der Flucht vergewaltigt worden.

Sind Flüchtlingsfrauen leichte Opfer für Menschenhändler und Gewalttäter?

Alleinreisende haben keinen Schutz. Wir haben eine Klientin aus Eritrea, sie ist sehr gebildet und selbständig. Als sie mit Anfang 30 wieder zum Militärdienst eingezogen werden sollte, ist sie geflohen. Auf der Flucht ist sie mehrfach vergewaltigt worden. Das war eine Katastrophe für sie, die Welt ist für sie zusammengebrochen. Mittlerweile hat sie sich wieder stabilisiert. Aber die Belastung ist noch da, das ist nichts, was verschwindet. Und sie ist kein Einzelfall. Viele kommen und wissen nicht, ob sie schwanger sind von den Vergewaltigungen. Es gibt viele Abtreibungen, weil die Frauen es nicht aushalten.

Wie finden Ihre Klientinnen zu Ihnen?

Wir gehen in die Bayernkaserne, und auch die Sozialdienste wenden sich an uns. Wenn der Betreuungsschlüssel in den Unterkünften gut ist, liegt er bei 1 zu 100. Unsere Klientinnen haben Menschenhandel, Zwangsprostitution, Gewalt oder Zwangsheirat erlebt. Solche Themen sind nicht einfach zu formulieren, und wir nehmen uns die Zeit. Wenn wir die Frauen treffen, sagen sie ja nicht: Hallo, ich bin ein Opfer von Menschenhandel. Sondern sie sagen: Ich habe nicht genug Windeln für mein Kind. Sie schämen sich in Grund und Boden für das, was sie erlebt haben. Wir müssen dann einen Zugang finden. Nur wenn wir ihre Geschichte hören, können wir herausfinden, ob sie frauenspezifische Gründe für die Flucht haben.

Wenn Sie eine Frau als Opfer von Zwangsprostitution oder Menschenhandel identifizieren, was machen Sie dann?

Wir probieren die Wahrheit abzuklopfen und dann schreiben wir eine Stellungnahme mit unserer Einschätzung für das Bamf (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Anm. d. Red.) und bitten um eine Anhörung mit einem Sonderbeauftragten, der für solche Themen geschult ist. Außerdem bitten wir darum, dass unsere Klientin eine weibliche Übersetzerin bekommt.

Geschlechtsspezifische Gründe können im Asylverfahren anerkannt werden. Wie ist Ihre Erfahrung in der Praxis damit?

Meine persönlichen Erfahrungen sind sehr gering, weil die Asylverfahren stocken. Unsere Klientinnen warten zwischen einem und vier Jahren. Allgemein reicht es von Anerkennung bis Abschiebung. Wünschenswert wäre eine Anerkennung für Frauen mit frauenspezifischen Fluchtgründen.

Aus welchen Kontexten fliehen sie?

Afrikanerinnen sind im Regelfall mit Versprechungen hergelockt worden, in Europa als Babysitter oder Zimmermädchen zu arbeiten. Dann entpuppt sich die Arbeit als Prostitution. Aus arabischen Ländern kommen die Frauen selten alleine. Wenn, dann fliehen sie oft vor einer Zwangsheirat. Und es gibt keine sicheren Drittstaaten für Frauen. Auf dem Westbalkan sind die Frauen oft der männlichen Willkür schutzlos ausgesetzt. Sie fliehen aus einem jahrelangen Gewaltmartyrium und werden hier noch bedroht. Sie haben Nachrichten auf ihrem Handy wie: Wenn du zurückkommst, überschütte ich dich mit Benzin und zünde dich an. Eine Frau hat erzählt, dass sie ihren Ex-Mann so oft angezeigt hatte, und trotzdem hat er sie noch krankenhausreif geschlagen. Sichere Herkunftsländer mag es vielleicht für Männer geben, aber nicht für Frauen.

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