Unternehmer:Elvis in der Dunkelkammer

Unternehmer: 30 der 220 Mitarbeiter von Stephan Reinhold (hier mit der gehörlosen Angestellten Eva Nyeste) haben eine schwere Behinderung.

30 der 220 Mitarbeiter von Stephan Reinhold (hier mit der gehörlosen Angestellten Eva Nyeste) haben eine schwere Behinderung.

(Foto: Carmen Voxbrunner)

Stephan Reinhold stellt oft Menschen mit Behinderung ein

Von Gerhard Eisenkolb, Germering

Mit der Anstellung des blinden "Elvis" vor annähernd zwei Jahrzehnten fing für Stephan Reinhold alles an. Seither schätzt der Geschäftsführer des Fotogroßlabors von Cewe Color in Germering Schwerbehinderte als besonders wertvolle Mitarbeiter. Der Betriebswirt war damals Manager in Bremen und suchte verzweifelt jemanden, der in der Dunkelkammer in die Entwicklungsmaschinen neue Rollen mit Fotopapier einhängte, wenn das Papier verbraucht war. Doch diese Aufgabe war unbeliebt. Reinhold ist Pragmatiker, sein Ansatz damals: "Versuch es doch mal mit einem Blinden, die finden sich im Dunkeln gut zurecht", sagt er rückblickend.

Elvis entpuppte sich als idealer Mitarbeiter für diese Aufgabe. Der Blinde erledigte seine Arbeit nicht nur zuverlässig und gewissenhaft. Er war auch beliebt. Obwohl sich der Fan von Elvis Presley selbst nicht sehen konnte, erschien er zur Arbeit immer durchgestylt und frisiert wie sein Vorbild. Das war sein Markenzeichen. Daher der Spitzname "Elvis". Dass ein Blinder sich am Arbeitsplatz besonders engagierte, sich dazu auch noch extravagant kleidete und seinen eigenen Stil entwickelte, überzeugte Reinhold, und er lernte umzudenken. Seither sieht der 65-Jährige eine Behinderung eines Mitarbeiters nicht mehr als Handicap, sondern als Vorteil. 220 Mitarbeiter gehören derzeit zur Stammbelegschaft in Germering, an die 30 haben eine schwere Behinderung - das beginnt mit der Frau am Empfang und endet bei der von der Belegschaft gewählten, ebenfalls schwerbehinderten Betriebsratsvorsitzenden. Reinhold weiß, dass sich immer etwas machen lässt, um eine Behinderung im Arbeitsablauf wettzumachen. Ist beispielsweise jemand taub oder schwerhörig, wird die Maschine, die er bedient, eben umgebaut, damit deren Steuerung nicht mehr über Ton-, sondern über Lichtsignale erfolgt.

"Der liebe Gott hat uns Menschen unterschiedliche Talente und Lebensschicksale gegeben", sagt Reinhold. Dass er in diesem Zusammenhang das Wort Gott wählt, ist kein Zufall - Reinhold war Ministrant. Der Manager stammt aus einer alten Försterfamilie. Das sind konservative, bodenständige Menschen, fest im Leben verwurzelt. Dieser Herkunft entspricht die grüne Jacke des 65-Jährigen aus einem etwas gröberen Zwirn, die irgendwie an das Arbeitsgewand eines Jägers erinnert. Das Kleidungsstück passt zu Reinhold. Auf die Rolle des biederen "Gutmenschen" oder des Naturliebhabers will sich der Mann aus Germering nicht reduzieren lassen. In der Wirtschaft zählen am Ende nun mal die Zahlen. Weshalb der Manager in seinen Bilanzen nur eine weitere Bestätigung dafür sieht, mit der Anstellung schwerbehinderter Mitarbeiter richtig zu liegen. Schließlich sei das von ihm geführte Fotolabor nicht nur das mit dem höchsten Anteil an Schwerbehinderten bei Cewe Color, sondern auch das mit dem besten Ergebnis. Reinholds Strategie ist einfach. "Wir sind der erfolgreichste Betrieb, weil wir uns um die Probleme kümmern", sagt er.

Diesen Erfolg führt der Geschäftsführer auch auf seine Mitarbeiter mit einem Handicap zurück. Menschen mit einer Behinderung seien oft sehr gut ausgebildet, dazu hoch motiviert und daher seltener krank als ihre Kollegen. "Weil sie zufrieden sind, geht es ihnen gut", begründet Reinhold. Fällt ein Mitarbeiter krankheitsbedingt seltener aus, spiele es keine Rolle mehr, dass einem Schwerbehinderten fünf Urlaubstage mehr zustehen als seinen Kollegen. Der Unternehmenserfolg hat auch damit zu tun, dass jeder nach seinem Talent das Beste geben muss. "Wir nehmen zwar Rücksicht auf die Behinderung, aber wenn jemand faul ist, wird das gesagt." Bestehen Zweifel am Leistungswillen, gibt es technische Hilfsmittel, die notfalls die Kommunikation erleichtern. Falls es erforderlich sein sollte, führt der Personalchef dann eben das Mitarbeitergespräch mit einem Gehörlosen mit Unterstützung eines über den Computer zugeschalteten Gebärdensprachdolmetschers.

2014 bekam Reinhold wegen der überdurchschnittlich hohen Zahl von Schwerbehinderten in seinem Betrieb den Inklusionspreis des bayerischen Sozialministeriums. Feiern lassen will er sich deswegen nicht, er meint lediglich: "Wir tun nur, was getan werden muss." Deshalb empfindet er es als geradezu lächerlich, wenn sich die meisten seiner Managerkollegen durch das Bezahlen einer Schwerbehindertenabgabe von ihrer Verpflichtung freikaufen, Menschen mit einem Handicap einzustellen. In diesem Zusammenhang spricht er von geldgetriebenen "Nieten in Nadelstreifen". Reinhold hadert aber auch mit dem Gesetzgeber. Solange es dieser erlaube, das Umgehen einer Behindertenquote wie Falschparken mit einer Geldstrafe zu regeln, lasse sich das Problem nicht lösen. Zudem sei die Abgabe viel zu niedrig.

Reinhold beteuert, aus positiven Taten Zufriedenheit zu schöpfen. Die Mitverantwortung für das Gemeinwesen zieht sich wie eine Leitlinie durch das Leben des Geschäftsführers. Deshalb ist er ehrenamtlicher Vorsitzender der Germeringer Sozialstiftung, deshalb gehört er dem IHK- Gremium für den Landkreis Fürstenfeldbruck an, deshalb sitzt er auch im Industrieausschuss der IHK-Kammer für München und Oberbayern und deshalb macht er bei den Rotariern mit. Gelingt es ihm - wie kürzlich in Mexiko - dazu beizutragen, ein Kammerorchester mit jugendlichen Musikern mit Instrumenten auszustatten, weiß er, dass sein Leben einen Sinn hat.

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