Unterbringung jugendlicher Flüchtlinge:Stadt bleibt auf 3,6 Millionen Euro sitzen

Dorothee Schiwy, 2017

Die Münchner Sozialreferentin Dorothee Schiwy zieht Bilanz über die finanziellen Probleme, die ihre Vorgängerin das Amt kosteten.

(Foto: Stephan Rumpf)
  • Zwischen 2012 und 2015 hat die Stadt München mehr als 8500 unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht und betreut - ohne sich ausreichend um die Erstattung der Kosten zu kümmern.
  • Weil die Forderungen nicht rechtzeitig abgerechnetwurden, konnte die Stadt den größten Teil nicht mehr eintreiben.

Von Sven Loerzer

Knapp zwei Jahre nach dem Ende der kommunalpolitischen Karriere von Brigitte Meier als Sozialreferentin steht nun fest: Die Stadt bleibt auf Kosten von etwa 3,6 Millionen Euro sitzen - für die Unterbringung und Betreuung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge während Meiers Amtszeit. Die Gründe dafür sind vielfältig.

Der größte Teil, nämlich 2,6 Millionen Euro, konnte nicht mehr eingetrieben werden. Zwar hätte die Stadt Anspruch gehabt, diese Kosten erstattet zu bekommen, die Forderungen wurden aber nicht rechtzeitig geltend gemacht. Der drohende finanzielle Schaden hatte letztlich dazu geführt, dass die einstige SPD-Hoffnungsträgerin 2016 nicht mehr zur Wiederwahl angetreten war.

Für die nichtöffentliche Sitzung des Kinder- und Jugendhilfeausschusses kommende Woche zieht ihre Nachfolgerin Dorothee Schiwy nun Bilanz. Nach dem Zahlenwerk, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt, hatte die Stadt aus den Jahren 2012 bis 2015 Erstattungsforderungen für insgesamt 8076 junge Flüchtlinge in Höhe von mehr als 242 Millionen Euro. Das Geld musste sie bei anderen Jugendämtern eintreiben.

Neben den bereits verlorenen 3,6 Millionen Euro sind weitere 2,5 Millionen Euro wegen anhängiger Klagen noch offen. Schiwy betont, nur 1,49 Prozent der Gesamtsumme von 242 Millionen Euro seien endgültig nicht erstattet worden. Betrachte man nur die sogenannten Verfristungen, seien es sogar nur 1,09 Prozent.

Es sei eine "riesige Herausforderung" gewesen, mehr als 8500 unbegleitete Minderjährige in Obhut zu nehmen und zu betreuen, sagt Schiwy; in normalen Jahren seien es nur etwa 280 bis 350 Kinder und Jugendliche. "Da ging es erst einmal darum, die Kinder gut unterzubringen", da "musste das Formale erst einmal zur Seite stehen". Auch die Abrechnung der Kosten mit 23 anderen Jugendämtern, wie sie bis Oktober 2015 galt, sei neu für München gewesen.

Als danach dann die bundesweite Verteilung auch für jugendliche Flüchtlinge eingeführt wurde, sei durch die Gesetzesänderung nur noch wenig Zeit für die Abrechnung der Altfälle verblieben. Der Aufwand dafür war riesig: Bis zu 50 Mitarbeiter wurden daran gesetzt, als 2016 nach und nach das ganze Ausmaß des möglichen Schadens öffentlich wurde. Damals drohten die Forderungen zu verjähren, daher schrieb das Sozialreferat im Herbst 2016 alle 23 Kostenträger für 6174 Fälle an, dass sie sich bereit erklärten, die Verjährung nicht geltend zu machen. Zum Jahresende 2016 bereitete das Jugendamt für mehr als 1500 Fälle, bei denen dies nicht erfolgte, vorsorglich Klagen vor, um so die Verjährung zu unterbrechen.

Wurde Sozialreferentin Brigitte Meier also nur Opfer der Folgen einer Gesetzesänderung? Schiwy spricht von einer "unglücklichen Konstellation der Umstände", wegen der Verkürzung der Fristen "hätte man einen Schlachtplan machen müssen". Den gab es aber erst in letzter Minute, Öffentlichkeit und Stadtrat erfuhren aus der Zeitung von den drohenden Verlusten.

Gänzlich bewältigt ist der Nachlass der Ära Meier noch nicht. Für die Zeit ab November 2015 ist nun der Bezirk Oberbayern der Kostenträger für die unbegleiteten Minderjährigen. Pro Kind und Tag dürfte ihm das Münchner Jugendamt für das Jahr 2016 Tagessätze von 500 bis 600 Euro in Rechnung stellen, berichtet Schiwy an den Ausschuss. Das ist mehr als doppelt so viel wie sonst üblich.

Die hohen Kosten resultieren aus den umstrittenen, noch in Meiers Amtszeit abgeschlossenen Verträgen mit dem Jugendhilfeverbund, die der Stadtrat nachträglich abgesegnet hat. Der Verbund hatte zwar schnell das notwendige Personal zur Betreuung aufgebaut, sich dann aber, als die Flüchtlingszahlen durch die bundesweite Verteilung rasch sanken, schwer getan beim Abbau. Der Personaleinsatz ging daher zeitweise offenbar weit über das hinaus, was die Heimaufsicht für die Betreuung von Jugendlichen fordert. Der Bezirk will deshalb die Beträge nicht übernehmen, die Stadt setzt nun auf eine Musterklage, um die Situation zu klären.

Um solche Probleme künftig zu vermeiden, hat Schiwy nach eigenem Bekunden Notfallpläne erarbeiten lassen, auch die Fachabteilung sei nun besser aufgestellt. "Im Großen und Ganzen" habe sie von Meier aber ein "geordnetes Referat" übernommen.

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