Waldmeisterstraße:Vom Container in die Jugendherberge

"Es war eine Hauruckaktion": Am Freitagabend sind 170 Flüchtlinge umquartiert worden. Dabei wusste das Sozialministerium längst über die schlechte Unterbringung Bescheid.

Bernd Kastner

Der Tag geht zu Ende, als es auf dem Hof neben den Containern immer hektischer wird. Ein Umzugslaster parkt da, Großraum-Taxis fahren ein und aus, Menschen stehen zwischen den Containern und warten. Sie wirken ratlos. Zwischen ihnen stehen große, blaue Müllsäcke, manche schleppen Kisten, wie man sie aus dem Discounter kennt, sie sind bis oben gefüllt mit Plastiktüten.

Waldmeisterstraße: "Das darf alles nicht wahr sein": Nach dem hektischen Auszug aus den Containern an der Waldmeisterstraße versorgte die FDP-Landtagsabgeordnete Julika Sandt die Flüchtlinge mit dem Nötigsten - mit Windeln und Seife.

"Das darf alles nicht wahr sein": Nach dem hektischen Auszug aus den Containern an der Waldmeisterstraße versorgte die FDP-Landtagsabgeordnete Julika Sandt die Flüchtlinge mit dem Nötigsten - mit Windeln und Seife.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Darin Lebensmittel. Nach und nach werden die Habseligkeiten in die Fahrzeuge gestopft, eines nach dem anderen verlässt den Hof der Waldmeisterstraße 98 im Norden der Stadt. Die Adresse steht seit ein paar Tagen wieder als Synonym für die Unterbringung von Flüchtlingen in baufälligen Containern.

Gerade einmal sechs Stunden ist es her, dass die bayerische Sozialministerin Christine Haderthauer in energischem Ton verkündet hat: Diese Container sind "unverzüglich" wieder zu schließen. Die Regierung von Oberbayern hatte sich über einen einstimmigen Beschluss des Landtags hinweggesetzt, der 2008 das Ende der Container erzwang. Haderthauer, politisch verantwortlich, sieht sich von einer Behörde der eigenen Staatsregierung brüskiert. Ihr Machtwort war ihr einziger Fluchtweg, um nicht in einen politischen Strudel zu geraten, denn selbst Koalitions-Abgeordnete von CSU und FDP sind empört.

Die CSU-Ministerin schob am Freitag alle Verantwortung auf die Regierung von Oberbayern, abgemildert nur mit dem Hinweis, dass in den letzten Tagen so überraschend viele Flüchtlinge in München angelandet seien. 170 von ihnen wurden in den Containern einquartiert. Auf aktuellen Fotos ist zu erkennen, warum Kritiker die Container menschenunwürdig nennen: Matratzenlager auf dem Boden, herumliegender Müll, verdreckte sanitäre Einrichtungen und eine Kochstelle, die nur als eklig zu bezeichnen ist.

Haderthauer ordnete also die "unverzügliche" Schließung am Donnerstag an. Aber hat ihr eigenes Ministerium unverzüglich gehandelt? Nach SZ-Informationen war ihr Haus bereits seit dem 27. September im Bilde. Fragt man nach, bekommt man aber nur halbe Antworten. Die ersten Flüchtlinge wurden am Wochenende 25./26. September einquartiert, und nicht, wie es zunächst hieß, Anfang Oktober. Wann erfuhr das Ministerium davon? Ein Sprecher der Ministerin antwortet zunächst ausweichend: "Im Zuge der Belegung" habe die Fachabteilung davon erfahren. Wann genau? Zu diesen internen Vorgängen gebe man keine Auskunft, so die Auskunft. Nur das wird betont: Die Ministerin sei von ihrer Fachabteilung am 7. Oktober informiert worden. An jenem Donnerstag machten der Bayerische und Münchner Flüchtlingsrat die Reaktivierung der Container bereits publik.

Offenbar störten sich auch die Ministerialbeamten lange nicht an der Missachtung des Landtags.

Haderthauer trägt seit Herbst 2008 die politische Verantwortung für diese Art der Abschreckung von Flüchtlingen, die seit Jahren kritisiert wird. 2007 besuchte der Menschenrechtskommissar des Europarats eine der mittlerweile geschlossenen Containeranlagen und sah sich genötigt, die Staatsregierung an die Einhaltung der Menschenrechte zu erinnern.

Mit ihrer harschen Reaktion machte sich Haderthauer, davon darf man ausgehen, nicht nur Freunde unter den Mitarbeitern der Regierung, die seit Jahren an der Front die Folgen der Asylpolitik ausbaden müssen. Die unter Personalmangel und einem zu geringen Budget leiden und nun von der Ministerin abgewatscht werden. So wundert es nicht, wenn am Freitagabend die Nerven blank liegen bei allen Beteiligten, als innerhalb weniger Stunden die Container geräumt werden. Das Sozialministerium habe kurzfristig Geld für die kostspieligere Anmietung von Zimmern auf dem Immobilienmarkt frei gemacht, heißt es.

"Das darf alles nicht wahr sein"

Viele Bewohner wissen lange nicht, wohin es geht. Irgendwann macht eine Adresse in der Elisabethstraße die Runde. Die Kommunikation auf dem Hof ist dürftig, die Sprachprobleme machen es nicht besser, aber auch die Pressestelle der Regierung weiß kaum etwas. Nur, dass man auf Anweisung der Ministerin eben unverzüglich handle.

Es ist inzwischen finster, als die Taxis dort stoppen, wo Schwabing, Neuhausen und die Maxvorstadt aufeinandertreffen. Die Asylsuchenden laden ihre Habseligkeiten aus den Autos, schleppen die schweren Müllsäcke über den Fußweg und die Treppen hinauf in die Jugendherberge des Internationalen Bundes. Etwa 60 von ihnen werden in Sechs-Bett-Zimmern einquartiert. Jugendliche sitzen im Foyer und bereiten sich auf den Ausflug in die Münchner Nacht vor. Derweil warten die Menschen aus dem Container an der Rezeption. Wer kommt mit wem in welches Zimmer? Für wie lange? Wohin dann? Viele Fragen, kaum Antworten. Die übrigen rund 100 Flüchtlinge kommen woanders unter. Wo genau? Die Regierung bleibt eine Antwort schuldig.

Der Geschäftsführer des Hauses in der Elisabethstraße erzählt, dass er am Nachmittag von der Regierung angerufen worden sei. Ob man Flüchtlinge unterbringen könne. Man habe ihm nicht gesagt, wer wann komme, aus welchem Land sie stammten, kurzum: "keinerlei Information". Irgendwann seien sie eben vor der Tür gestanden, für vier Wochen habe man die Zimmer an die Regierung vermietet. "Es war eine Hauruckaktion", sagt der Jugendherbergs-Chef.

Eine Familie hat Dutzende Aufbackbrötchen mitgebracht, sie liegen oben auf ihrer Lebensmittelkiste. Darunter weiße Plastiktüten mit allerlei Haltbarem, von der H-Milch bis zur Mandarinen-Dose. Die Zwangsversorgung mit Essenspakten gibt es immer noch, die Staatsregierung sieht darin keinen Widerspruch zum Anspruch der menschenwürdigen Behandlung. Von Montag an würden die Flüchtlinge mit frischem Brot versorgt, hieß es.

Der Umgang mit Asylsuchenden empört auch die FDP. "Fassungslos" sei sie angesichts des Chaos, sagt die Münchner Landtagsabgeordnete Julika Sandt. "Der Skandal ist, dass es soweit kommen musste", schon längst hätte man sich um mehr und bessere Unterkünfte kümmern müssen. Sie berichtet, dass Kinder im Container rohe Aufbacksemmeln gegessen und Magenschmerzen bekommen hätten.

Und wie sie dafür sorgte, dass die Menschen in der Jugendherberge zumindest vom Pizzadienst versorgt wurden. Sie selbst habe am Samstagabend in einer Drogerie Windeln, Seife und Shampoo besorgt, weil die Menschen nichts dergleichen bekommen hätten. Vielleicht illustriert diese Aktion einer Abgeordneten aus der Regierungskoalition am besten, wie es um die Asylpolitik der Staatsregierung bestellt ist. "Das darf alles nicht wahr sein", sagt Sandt.

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