Unruhestand:Es reicht noch nicht

Rentner

So geruhsam erleben viele Senioren ihren Ruhestand längst nicht mehr. Viele müssen - oder wollen - auch als Rentner noch arbeiten.

(Foto: dpa)

Viele Senioren müssen ihre Rente mit einem Minijob aufbessern, um in München über die Runden zu kommen

Von Sven Loerzer

Es klingt nach Traumurlaub für den gern umworbenen Personenkreis der "Silver Ager", auch wenn sich manch Grauhaariger am Duzen stören mag. "Du hast den Berufsstress endlich hinter dir gelassen und genießt das Rentnerleben in vollen Zügen." Genießen geht gut, wenn das Geld dazu da ist, aber das hat der Personenkreis, den der Text ansprechen will, nicht: "Zum alten Eisen gehörst Du noch lange nicht - aber schöner wäre das Rentnerdasein natürlich mit etwas mehr Geld in den Taschen. Darum suchst Du jetzt einen Minijob für Rentner, der Deine Finanzen aufbessert." Wie er aussieht, der "perfekte Minijob für Rentner und Senioren"? Die Antwort: "Werde Prospektverteiler in Deinem Wohngebiet!"

Nach den 2013 veröffentlichten Ergebnissen einer Umfrage des Statistischen Bundesamtes brauchen 36 Prozent der geringfügig beschäftigten Rentner das Geld unbedingt, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Natürlich gibt es auch diejenigen, die eine Aufgabe suchen für ein paar Stunden in der Woche, denen es Spaß macht weiterzuarbeiten. Das will die Münchner DGB-Vorsitzende Simone Burger gar nicht in Abrede stellen. "Doch nicht alle Senioren suchen die Abwechslung in der Rente, viele können nur so ihren Lebensunterhalt finanzieren", sagt sie. "Für immer mehr Rentner wird der Ruhestand zum Unruhestand." Ende vergangenen Jahres hatten 16 203 Rentner in München einen Minijob, ihr Anteil an den Minijobbern liegt damit bei elf Prozent. Im Jahr 2003 waren es erst rund 10 000, im Jahr 2008 bereits 13 469 Rentner. "München wird immer teurer, vor allem die Mieten steigen und steigen. Da können viele Senioren nicht mehr mithalten", betont Burger.

Die Münchner Sozialreferentin Dorothee Schiwy bestätigt das. "Schon alleine aufgrund der hohen Mieten gehen wir davon aus, dass mehr als ein Drittel der Rentnerinnen und Rentner arbeitet, um den Lebensunterhalt zu sichern." Wie viele Rentner einen Job annehmen, um Geld für einen Urlaub oder die Geschenke für die Enkelkinder zu haben, dazu liegen dem Sozialreferat keine Zahlen vor. Nach den Ergebnissen der letzten Bürgerbefragung aus dem Jahr 2010 galten 18 Prozent der Münchner über 65 Jahre als armutsgefährdet. Weitere 70 Prozent waren der unteren Einkommens-Mitte zuzurechnen, hatten also zwischen 1000 und 2000 Euro monatlich zur Verfügung. Nur 11,3 Prozent kamen auf ein höheres Einkommen. Neue Zahlen soll die Befragung zur sozialen Lage liefern, die derzeit noch ausgewertet wird und Eingang findet in den Armutsbericht, der in einem Jahr vorliegen soll.

Nicht nur die Zahl der Rentner mit Minijob ist gestiegen. Immer mehr alte Menschen in München sind auch auf Grundsicherung angewiesen, weil ihre Rente nicht zum Leben reicht. Vor dieser Entwicklung warnt das Sozialreferat bereits seit Jahren. Bezogen 2008 noch 9800 Senioren Grundsicherung im Alter, liegt ihre Zahl nun schon bei 14 500. Im nächsten Jahr werden es mehr als 15 000 Rentner sein, der Zuwachs beträgt vier Prozent im Jahr.

"Der Weg in die Grundsicherung ist in der Regel eine Einbahnstraße", erklärt Dorothee Schiwy. Wer Grundsicherung im Alter bezieht, bleibt sein Leben lang auf staatliche Unterstützung angewiesen. Obwohl die Regelsätze verfassungsgemäß seien, "sind sie in der Realität nach unserer Einschätzung immer noch zu niedrig", betont Schiwy. "Gerade in einer teuren Stadt wie München ist es schlicht unmöglich, mit diesen Beträgen auszukommen." Aus diesem Grund stockt München die Regelsätze im Rahmen des rechtlich Möglichen auf - als einzige Großstadt bundesweit. So erhält ein Alleinstehender 425 statt sonst nur 404 Euro, außerdem werden die Mietkosten in angemessener Höhe übernommen.

Für problematisch hält Schiwy, dass mit den knapp bemessenen Regelsätzen alle Anschaffungen mit abgegolten sind. "Es wird den Menschen zugemutet, für halbwegs vorhersehbare Anschaffungen Rücklagen zu bilden." Für den Fall, dass der Kühlschrank oder die Waschmaschine kaputt gehen, müsste Monat für Monat Geld angespart werden. Theoretisch sind dafür rund 25 Euro im monatlichen Regelsatz vorgesehen. Aber 300 Euro für eine günstige Waschmaschine anzusparen, ist angesichts anderer knapp bemessener Ausgaben kaum zu schaffen. Ein Ratenkauf würde die Anschaffung verteuern - sofern die Bank Rentner mit geringem Einkommen überhaupt als kreditwürdig erachtet.

Dass bei immer mehr Menschen die Rente nicht mehr zum Leben reichen wird, hat die Stadt zuletzt im Armutsbericht 2011 mit einer Modellrechnung veranschaulicht. Danach muss ein Arbeitnehmer im Schnitt 45 Jahre Vollzeit mit einem Bruttoverdienst von 2025 Euro arbeiten, um dann auf eine Rente von 950 Euro zu kommen, knapp unter der damaligen Armutsgrenze. Für den Armutsbericht 2017 will das Sozialreferat die Rechnung aktualisieren. Die Altersarmut wird weiter steigen.

Die Bundesregierung senke das Rentenniveau weiter ab, klagt die Münchner DGB-Vorsitzende. "Diese Reform trifft alle Beschäftigten. Wenn das Rentenniveau wie geplant weiter um 3,5 Prozent bis 2030 sinkt, dann verliert eine Krankenschwester nach 40 Jahren Arbeit durchschnittlich 78 Euro Rente pro Monat." Wie der DGB fordert auch der Sozialverband VdK, dass der "Rentensinkflug" gestoppt werden muss. "Die Rente muss zum Leben reichen und darf nicht den Charakter eines Almosens bekommen", erklärte die VdK-Landesverbandsvorsitzende Ulrike Mascher bei der Vorstellung der rentenpolitischen Forderungen zur Bundestagswahl. Auch der DGB will das gesetzliche Rentenniveau zum Thema für die Wahl machen. Langfristig müsse das Rentenniveau deutlich steigen, verlangt Simone Burger.

Zwar gibt die Mehrheit der Rentner an, Spaß an ihrem Minijob zu haben. Nicht jedem, der Geld braucht, bleibt aber die Wahl. Im Internetportal "Rent a Rentner" sucht eine Firma "Winterdienst-Mitarbeiter auf 450 Euro Basis" als "Handarbeiter oder Fahrer". Führerschein und eigenes Auto sind wegen der "tätigkeitsbedingten Arbeitszeiten" in den Morgenstunden erforderlich. Immerhin wird die Arbeit nicht zum "Traumjob im Neuschnee" verklärt.

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