Universität:Visionen im Untergrund

Wissenschaftler nutzen den Tunnel zur Grundlagenforschung

Von Marco Völklein

Ein Labor soll das hier sein? Geflieste Wände, ein großes Waschbecken, Reagenzgläser und weiße Kittel sucht man im "Leonhard Obermeyer Center" (LOC) der Technischen Universität (TUM) an der Arcisstraße vergebens. Hier sieht es nicht nach einem klassischen Labor aus, eher nach dem Probenraum eines Hinterhoftheaters. Dicke, schwarze Stoffbahnen hängen von der Decke an den Wänden herab, alles ist in sanftes Licht getaucht. Das einzige, was hier an Wissenschaft erinnert, sind die Monitore an der Wand. Und die Tastaturen, die vermuten lassen, dass irgendwo hinter den schwarzen Stoffbahnen einiges an Rechnerleistung steckt.

"Wir machen Grundlagenforschung", sagt Ernst Rank, Professor am Lehrstuhl für Computation in Engineering der TUM. Rank und seine Mitstreiter, die Professoren Frank Petzold und André Borrmann sowie LOC-Leiter Stefan Kaufmann, versuchen Modelle zu entwickeln, mit denen Ingenieure und Architekten Großprojekte künftig besser und einfacher planen können - mit einem 3D-Computer-Modell.

Als praktisches Beispiel haben sich die TUM-Forscher dazu den geplanten zweiten S-Bahn-Tunnel ausgesucht. "Der liegt quasi vor der Haustür", sagt Rank. Von der Deutschen Bahn und den beteiligten Planungsbüros haben sich die Professoren die detaillierten Pläne liefern lassen. Daraus haben sie ein 3D-Modell entwickelt. Wird im LOC-Labor das Licht gedimmt und der Computer angeschmissen, kann der Besucher zusammen mit den Forschern eintauchen in den Münchner Untergrund. Zu sehen sind dann die beiden geplanten S-Bahn-Röhren, die sich von Westen kommend parallel durch den Untergrund schieben. Die unter dem Hauptbahnhof und dem U-Bahn-Halt unter dem Bahnhofsvorplatz und weiter gen Osten leicht versetzt neben der Frauenkirche in knapp 40 Metern Tiefe verlaufen. Man kann sehen, wie unter dem Marienhof ein riesiger Betonkubus als Zugang zur S-Bahn thront. Und wie sich östlich der Isar die beiden Röhren im Untergrund aufspreizen, damit ein Anschluss gebaut werden kann, der später eine zusätzliche Tunnelabzweigung in Richtung Giesing ermöglichen könnte.

Selbst Fachleute stoßen so auf Details der Planung, von denen sie bisher kaum etwas wussten. Doch die Forscher wollen mehr. In einigen Jahren, hofft Rank, könnten Planungsbüros mit den Modellen regulär arbeiten. Das Ziel: Wird bislang bei Großprojekten ein Detail geändert, also zum Beispiel die Lage des Tunnels im Untergrund, weil ein Kanal im Weg ist, dann hat das Auswirkungen auf viele andere Details. Die Ingenieure müssen in mühevoller Kleinarbeit jeden ihrer zahllosen 2D-Pläne überarbeiten - beispielsweise Signale nachjustieren, Rettungswege umplanen, die Entwässerung neu konzipieren.

Das verschlingt nicht nur Zeit, sondern auch viel Geld. Künftig, so hoffen zumindest die TUM-Forscher, lassen sich solche Änderungen leichter vornehmen - per Mausklick, in einem "hochdynamischen" Modell, wie Rank sagt. Damit hätten die Planungen zur zweiten Stammstrecke in jedem Fall einen Nutzen - selbst wenn am Ende der zweite S-Bahntunnel gar nicht gebaut werden sollte.

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