Ungünstige Lage:Alarmstufe Rot

Ungünstige Lage: Erst gab es Pläne für ein Boardinghouse, nun sollen neben der Bahn wahrscheinlich Büros in das Gebäude kommen.

Erst gab es Pläne für ein Boardinghouse, nun sollen neben der Bahn wahrscheinlich Büros in das Gebäude kommen.

(Foto: Florian Peljak)

Investor will im Gewerbegebiet Perlach Süd ein Boardinghaus für 1100 Arbeiter direkt neben vorhandene Bordelle stellen. Stadtviertelpolitiker sprechen von einem aufziehenden Skandal und multiplem Planungsversagen

Von Hubert Grundner, Perlach

Wer sich über die vielen großen Baustellen in München wundert, könnte schnell auch über eine andere Frage ins Grübeln kommen: Wohin verschwindet eigentlich das Heer der Maurer, Installateure, Fliesenleger und sonstiger Handwerker, die tagsüber die Stadt umkrempeln, nachts? In einem Boardinghaus, könnte in naher Zukunft die Antwort lauten. Und zwar in einem ziemlich großen Boardinghaus im Gewerbegebiet Perlach Süd mit circa 230 Zimmern, die rund 1100 Arbeitern Platz bieten sollen. Darauf zielen die Pläne des Investors ab, der das ehemalige Bürogebäude Hofer Straße 21-25 zu diesem Zweck umbauen will. Ein Vorhaben, das, man kann es kaum anders sagen, der Bezirksausschuss (BA) Ramersdorf-Perlach mit Entsetzen registriert hat. Die Lokalpolitiker wollen jetzt alles in ihrer Macht Stehende unternehmen, das Projekt doch noch zu verhindern.

Schon als der Vorsitzende Thomas Kauer (CSU) den Tagesordnungspunkt in der BA-Sitzung am Donnerstagabend aufrief, war ihm die Aufmerksamkeit der Zuhörer sicher. Sprach er doch vom "Aufreger des Monats, einem echten Skandal, der sich da entwickelt". Und auch der Vorsitzende des Unterausschusses Bauvorhaben, Wolfgang Thalmeir (CSU), in dessen Gremium der Bauherr und sein Architekt die Pläne für das frühere AOK-Verwaltungsgebäude präsentiert hatten, ließ keinen Zweifel aufkommen, was er davon hält: "Wir waren natürlich geschockt. Das Projekt ist eine Katastrophe für das Gewerbegebiet."

Neben der schieren Größe des Boardinghauses und den fragwürdigen Wohnbedingungen für die Arbeiter, die in Zimmern mit vier bis sechs Betten untergebracht werden sollen, verleiht auch die Lage dem Vorhaben eine pikante Note: In direkter Nachbarschaft werden bekanntlich bereits mehrere Bordelle und Saunaclubs betrieben. "Ein echtes Konjunkturprogramm für das Rotlichtviertel", wie Thalmeir mit vor Sarkasmus triefender Stimme spottete. Was aus seiner und der Sicht seiner Kolleginnen und Kollegen nur zu verständlich ist. Kämpft der BA doch seit Jahren dagegen, dass sich dort die Prostitution immer mehr ausbreitet. Und es bedarf sicher keiner besonders schmutzigen Fantasie, um sich vorzustellen, was passiert, wenn mehr als 1000 Männer, die oft wochen- und monatelang von ihrem Zuhause weg sind, direkt neben den Bordellen untergebracht werden. Mit dem Boardinghaus, so Thalmeirs Befürchtung, werde das Gewerbegebiet langfristig für eine vernünftige Entwicklung verloren sein.

Abgesehen davon rechnen die Lokalpolitiker mit massiven Beeinträchtigungen für die Nachbarn: 1100 Arbeiter, die in der Frühe mit Kleintransportern abgeholt, zu den Baustellen gefahren und am Abend wieder zurückgebracht werden, bedeuten circa 550 Fahrbewegungen pro Tag. Die einzige wirkliche Verkehrsverbindung in die Hofer Straße führt über die Weidener Straße, die dieses zusätzliche Verkehrsaufkommen zu verkraften hätte. Das aber könne man den Anwohnern nicht mehr zumuten. Der BA sieht die Erschließung in der jetzigen Form jedenfalls als nicht gesichert an. Allein deshalb sei das Baugesuch, neben den anderen genannten Gründen, abzulehnen.

Allerdings, das wurde in der Sitzung auch erklärt, besteht für das Projekt bereits ein rechtskräftiger Vorbescheid. Dieser stuft die beabsichtigte Nutzung als Boardinghaus grundsätzlich in dem Gewerbegebiet als zulässig ein. Um aber genau solche Situationen zu vermeiden, wie sie jetzt eingetreten ist, habe der BA seit Jahren für eine planungsrechtliche Neuordnung des Gebietes gekämpft, erinnerte Thalmeir. Heute aber müsse man feststellen: "Niemand im Planungsreferat und niemand im Referat für Arbeit und Wirtschaft hat auf die dringenden Anfragen nach Vor-Ort-Terminen und Gesprächen bisher reagiert." Dieses "multiple Planungsversagen" werde bei Realisierung des Boardinghauses zu einem "multiplen Organversagen" führen. Sprich, das Gewerbegebiet geht langfristig sowohl für eine hochwertige Büronutzung als auch für den dringend benötigten Wohnungsbau verloren.

Die Mitglieder des BA 16 fordern nun, dass alle politischen und rechtlichen Möglichkeiten zum sofortigen Stopp des Vorhabens ausgenutzt werden.

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