Ungenutzter Hohlraum:Unter Giesing

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Das Sommerloch liegt am U-Bahnhof Wettersteinplatz: ein riesiger unterirdischer Hohlraum. Lokalpolitiker wollen ihn als Tiefgarage nutzen - doch eine Realisierung ist aufwendig und teuer.

Von Stefan Mühleisen, Untergiesing

An der Tür zur großen Leere klebt nur ein kleines Schild. "Betriebsraum 70/1" steht darauf. Gerhard Neumair, Mitarbeiter der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), überlegt, wann das letzte Mal hier jemand aufgesperrt hat. "Alle fünf Jahre werden an allen Bahnhöfen Bauwerksprüfungen gemacht. Dann schauen wir hier auch rein", sagt er, dreht den Schlüssel um und drückt den Lichtschalter. Blinkend springen die Neonröhren an. Schummriges Licht kriecht die Bohrpfahlwände hoch und gibt den Blick frei auf die riesigen Ausmaße der unterirdische Halle. An deren Wänden ragen Bewehrungseisen wie Schilfrohre aus dem Betonboden. Sonst ist hier: nichts. Gähnende Leere. 120 Meter lang, 18 Meter breit, neun Meter hoch. Ein kolossaler Hohlraum zwischen dem U-Bahnhof Wettersteinplatz und der Oberfläche, der seit 1986 stockdunkel und still auf eine Nutzung wartet.

Doch nun unternehmen Lokalpolitiker einen erneuten Anlauf, die unterirdische Brache zu beleben. Die CSU-Stadträte Reinhold Babor und Manuel Pretzl fordern in einem Antrag, aus dem Hohlraum eine Tiefgarage zu machen. Als "Millionengrab" bezeichnet Babor in einer Pressemitteilung die unterirdische Halle. "Unter dem Wettersteinplatz liegt seit über 25 Jahren eine Tiefgarage, statisch für 125 Stellplätze ausgelegt, die aber nicht geöffnet wurde", schreibt Babor.

Der CSU-Politiker stellt sich vor, dass der Hohlraum zur Anwohnergarage sowie zum Stellplatz für Fußballfans bei Spielen im Grünwalder Stadion umfunktioniert werden könnte. Seine Parteifreunde im Bezirksausschuss 18 Untergiesing-Harlaching haben einen Antrag vorbereitet, in dem sie das Gleiche fordern. "Die Tiefgarage eignet sich auch als Park-and-Ride-Garage, da Tram und U-Bahn dort halten", heißt es in dem Papier.

Erschließung ist kompliziert und teuer

Seit Jahren zerren Babor und der BA die unberührte Höhle immer wieder ans Licht der Öffentlichkeit, bisher fruchteten die Initiativen nicht. Denn: Die Erschließung der wuchtigen Kaverne über dem U-Bahnhof ist kompliziert - und teuer. Entstanden ist der Hohlraum dereinst wegen der besonderen Lage des Bahnhofes. Der Bahnsteig am Wettersteinplatz musste sehr tief angelegt werden, da vom Kolumbusplatz her die U-Bahn das Isarhochufer hinauf eine enorme Steigung überwinden muss. Es entstand ein "bauweisenbedingter Hohlraum", wie es in einem Papier des Planungsreferats steht. Schnell war die Idee geboren, in den Leerraum einen dreigeschossigen Park-and-Ride-Platz zu installieren. Doch es blieb bei der Idee - aus mehreren Gründen.

Rauer Beton und Eisenträger: Nur selten erhellt eine Lampe die Katakomben unter dem Wettersteinplatz. (Foto: Florian Peljak)

Zum einen wäre der Bau aufwendig und teuer. Die Decke über dem Bahnsteiggeschoss - also der Boden des Hohlraums - ist laut Planungsreferat nur für Belastungen durch Pkw ausgelegt, nicht aber für nachträglich aufgesetzte Zwischendecken. Weitere Parkgeschosse müssten demnach in einem aufwendigen Verfahren nachgerüstet werden. "Große Schwierigkeiten" sieht die Behörde zudem im Platzbedarf für die Zufahrtsrampen. Für eine müsste wohl der Jugendspielplatz eines Freizeitheims geopfert werden. Sicherheits- und Fluchtwegeeinrichtungen würden die Kosten weiter in die Höhe schrauben.

Nach Ansicht der Stadtverwaltung kommt nur ein automatisches Garagensystem in Form einer Hängekonstruktion infrage. Davon gibt es bisher nur eine in München: unter der Donnersbergerstraße in Neuhausen. Dort werden die Autos computergesteuert in Hochregalen eingeparkt. Der Besitzer bleibt derweil an der Oberfläche. Das Bauwerk hat 11,35 Millionen Euro gekostet, es bietet Platz für 284 Autos.

Der Hohlraum wird wohl hohl bleiben

Unterm Wettersteinplatz würde sich ein solches Garagensystem laut Behördenvorlage erst ab 300 Stellplätzen rentieren. Es zeige sich allerdings ein "sehr geringer theoretischer Bedarf" im Umkreis des Wettersteinplatzes, schrieb das Planungsreferat 2011 im Generalbeschluss für die Münchner Anwohnergaragen. Der Standort Wettersteinplatz wurde in die Priorität zwei herabgestuft. Und das gilt noch immer. "Nach den Erfahrungen des Parkraum-Managements ist noch immer von keiner großen Nachfrage auszugehen", sagt aktuell ein Sprecher des Planungsreferats. Das Fazit: zu teuer, zu aufwendig, zu wenig ausgelastet. Ohnehin wäre die High-Tech-Garage wohl für die Besucher des Sechzger Stadions versperrt. Zuletzt hieß es, dass nur Nutzern mit Dauermietverträgen Zugang gewährt werden könne, da aus Gründen der Versicherung und der Sicherheit eine Einweisung nötig sei. Nach einer Einschätzung des Baureferats von 2006 werden die Kosten pro Stellplatz weit über 30 000 Euro liegen. Für einen Parkplatz würden dann mehr als 60 Euro monatlich fällig.

Somit wird der Hohlraum wohl weiter hohl bleiben, zum Unmut auch von Kulturschaffenden. Denn es gab schon einige Vorstöße, den unterirdischen Großraum für Ausstellungen, Installationen, Konzerte, Sessions zu nutzen - vergeblich. Nur einmal, 1999, durfte der Künstler Markus Heinsdorff eine Rauminstallation in der unterirdischen Weite zeigen. Es blieb bei dieser einen Ausnahme.

"Veranstaltungen können wir hier wegen des fehlenden Brandschutzes und aus sicherheitstechnischen Gründen nicht stattfinden lassen", sagt Matthias Korte. Der Sprecher der Hausherrin aller U-Bahnhöfe, der MVG, begleitet Bauabteilungsmitarbeiter Neumair bei der Besichtigung des imposanten, aber völlig leeren Hohlraums. Er macht das alle paar Jahre, wenn Politiker die Idee mit dem Parkhaus wieder hervorkramen. Die Unterhaltskosten gehen nach Kortes Worten praktisch gegen Null. "Der Raum ist gut in Schuss." Sagt's und drückt den Lichtschalter. Dunkelheit senkt sich über diese riesige Kammer der ungenutzten Möglichkeiten, die bei der MVG als "Betriebsraum ohne besondere Nutzung" geführt wird.

© SZ vom 29.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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