Und jetzt?:"Oldies sind der Krampf"

Lesezeit: 2 min

Die Klaviatur der Seiten - Produzent Ralph Siegel und seine neue Autobiografie. (Foto: Stephan Rumpf)

Eine Abrechnung: Ralph Siegel stellt seine Autobiografie vor

Interview von Philipp Crone, München

Wenn Ralph Siegel beginnt, beim Sprechen auf dem Tisch Klavier zu spielen, wird es ernst. Der 69-Jährige sitzt am Dienstagvormittag in den Räumen des Langenmüller-Verlags aber zunächst noch ganz ruhig da und spricht über sein Leben, das auf 480 Seiten von seinen Grand-Prix-Siegen, seinen Goldenen Platten, seiner Arbeit mit Gerhard Polt, Udo Jürgens oder Peter Alexander erzählt. Darüber, wie er 2000 Songs in 50 Jahren veröffentlicht hat, wie ihm Ärzte 2008 sagten, dass er wegen einer Krebserkrankung nur noch sechs Monate zu leben habe und dass er nur vier Stunden pro Nacht schlafe - und auch das nur mithilfe von Schlaftabletten, sonst wären es bloß zwei. Doch als es um die Frage geht, warum in Deutschland so wenig deutschsprachige Musik zu hören ist, wird er auf einmal laut und fängt an zu erklären, was in diesem Land alles schiefläuft.

SZ: Herr Siegel, was ist los mit dem deutschen Schlager?

Ralph Siegel: Zunächst einmal ist das ein vollkommen falscher Begriff. Ich wehre mich dagegen. Wenn einer sagt, er ist in der Schlagerbranche, ist er gleich unseriös und gehört zu denen, die nur auf den Mitklatscheffekt setzen. Mitklatschen tun sie aber doch überall. Es gibt nur gute und schlechte Songs. Aber wenn man deutsch singt, hat man ein Problem.

Warum?

Hören Sie sich doch mal um. Gerade war ich in Italien, da höre ich fast nur italienisch gesungene Songs, in Frankreich oder in Japan ist es das Gleiche. Auf der ganzen Welt hören sie ihre Muttersprache, nur nicht bei uns. Natürlich sollen die erfolgreichen englischen Songs gespielt werden, aber heute hört man ja überhaupt nichts anderes mehr.

Häufig heißt es, englischer Gesang klingt in der Musik besser als Deutsch.

Das ist irgendwann einmal so verbreitet worden, vor allem auch von den internationalen Musikfirmen.

Wie sehen Sie die Münchner Musikszene?

Die ist relativ groß und hat schon immer gute Persönlichkeiten hervorgebracht. Aber 90 Prozent singen heute natürlich englisch. Eine Sprache, die sie eigentlich nicht beherrschen.

Nicht beherrschen?

Es gibt keinen Deutschen, der das kann. Das klingt immer so, als ob ein Hamburger bairisch singt. Englisch zu singen ist ein Habitus, der bei Popgruppen vielleicht noch verständlich ist. Aber auf der ganzen Welt gibt es von 10 000 Künstlern einen oder zwei, vielleicht Celine Dion, die auch in einer anderen Sprache als ihrer Muttersprache singen können.

Sie schimpfen über das Radioprogramm. Warum?

Weil es keine Programme gibt für die neuen deutschsprachig singenden Künstler, und damit meine ich nicht die paar Ausnahmen wie Tim Bendzko oder Andreas Bourani, aber im Bayerischen Rundfunk läuft bei fünf Programmen eine Stunde deutsche Musik, und zwar am Sonntag.

Was wird der Wiesnhit in diesem Jahr?

( Lacht) Der, den wir vor sechs Wochen produziert haben. "Die perfekte Nacht" von Luisa, der Kirmeskönigin. Ein Wiesnhit muss einfach immer animieren, Spaß zu haben, so wie "Die schöne Maid" oder "Atemlos".

Sie schreiben in Ihrem Buch von Zielen im Leben. Welches haben Sie gerade?

Julia Kollert gut rauszubringen. Das ist die beste Sängerin, die ich in den letzten 20 Jahren kennengelernt habe. Es gibt so viele deutschsprachige Talente, nur spielen das die Radios nicht. Die spielen lieber Oldies. Die sind der Krampf, die will kein Mensch hören. Auf der ganzen Welt wird anders agiert als hier und Musik in der Landessprache gespielt. Das muss sich ändern. Wir brauchen ein Bekenntnis der Sender, dass deutsche Unterhaltung ihren Anteil hat.

© SZ vom 09.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: