Und jetzt?:"Keine falschen Hoffnungen wecken"

An diesem Mittwoch kommt es am Münchner Flughafen zur nächsten Sammelabschiebung nach Afghanistan. Gaston Descy arbeitet beim katholischen Sozialdienst und betreut die Menschen vor den sogenannten Rückführungen

Interview von Elisa Britzelmeier

Afghanistan sei keineswegs sicher, sagen Organisationen wie Pro Asyl und der Bayerische Flüchtlingsrat. Trotzdem sind seit Ende vergangenen Jahres 107 abgelehnte Asylbewerber zurückgeflogen worden. Allein seit Dezember waren es fünf Sammelabschiebungen. An diesem Mittwoch, 31. Mai, findet vom Münchner Flughafen aus die nächste Sammelabschiebung nach Afghanistan statt. Auch dieses Mal wird es am Flughafen Demonstrationen geben, draußen, vor den Sicherheitskontrollen. Doch was passiert drinnen? Der Pädagoge Gaston Descy arbeitet beim katholischen Sozialdienst und betreut die sogenannten Rückführungen. Er ist einer der letzten, den die Menschen sehen, bevor sie in ein Flugzeug steigen, mit dem sie eigentlich gar nicht fliegen wollen.

SZ: Wie muss man sich so eine Sammelabschiebung vorstellen?

Gaston Descy: Die Betroffenen werden unangekündigt abgeholt, aus ihrer Gemeinschaftsunterkunft, ihrer Wohnung oder vom Arbeitsplatz. Wenn sie am Flughafen ankommen, ist das erst einmal ein eher technischer Vorgang: Gepäck, Check-in, begleitet von Polizisten und Dolmetschern. Für die Sammelrückführungen gibt es einen speziellen Bereich am Flughafen. Anders ist es bei Einzelabschiebungen. Da fliegen die Abgeschobenen auf Linienflügen mit.

Also zusammen mit ganz normalen Reisenden?

Genau. Einzelabschiebungen laufen das ganze Jahr, jeden Tag. Ich schreibe gerade eine Liste für den nächsten Tag, 30 Maßnahmen stehen darauf. Äthiopier, Senegalesen, Iraker, Rumänen, Eritreer. Menschen, die von hier nach Hause fliegen oder ins europäische Ausland, von überall nach überall. Gemäß der Dublin-Verordnung werden viele zurückgeschickt in den Staat, in dem sie zum ersten Mal die EU betreten haben. Das bedeutet ein großes Hin und Her, verbunden auch mit den entsprechenden Kosten.

Abschiebeflug München Afghanistan

Im vergangenen Jahr kam es am Münchner Flughafen zu mehreren Abschiebungen.

(Foto: dpa)

Sammelabschiebungen wie nach Afghanistan dagegen laufen mit Charterflügen. Wie sieht Ihre Arbeit dabei aus?

Wir stehen in einem Bereich nach dem Check-In, in dem alle durchkommen. Um erkennbar zu sein, tragen wir Westen. Jeder kann uns ansprechen. Meist ist es aber so, dass wir schon wissen, wen wir ansprechen, auf wen wir besonders achten sollten, wen wir vielleicht noch zum Arzt schicken.

Woher?

Von Organisationen wie dem Bayerischen Flüchtlingsrat, Pro Asyl oder der Caritas. Oft auch von Privatpersonen. Wir bieten einfach Hilfe an: Mögen Sie noch etwas essen? Können wir etwas tun? Einer wollte einem Freund eine Zugfahrkarte weitergeben, die wir dann per Post zugeschickt haben. Manchmal ist noch ein Schlüssel abzugeben. Zuletzt hatten wir einen, der keine Kleidung hatte außer der, die er am Leib trug. Da hat er aus unserem Bestand eine feste Jacke bekommen.

Also eher die praktischen Dinge.

Ja. Manche wollen auch reden, noch etwas loswerden. Bei den Afghanen ist es seltener, aber bei den Abschiebungen von Menschen vom Westbalkan hatten wir das hin und wieder. Da erzählen manche ihr ganzes Leid: Wann und wie sie nach Deutschland gekommen sind, was sie sich erhofften. Einmal hat sich ein Mann bei mir richtig ausgeheult, ein Riesenkerl, gefühlt ein Meter neunzig mal ein Meter neunzig. Er war verzweifelt, weil er seine Frau und sein Kind wohl nicht mehr wiedersehen wird. Dabei soll er gegenüber seiner Partnerin gewalttätig gewesen sein, soweit ich das mitgekriegt habe.

Es werden nicht nur Straftäter abgeschoben, sondern auch gut integrierte, schon lange hier lebende Geflüchtete. Das kritisieren Hilfsorganisationen und etwa auch die Grünen im bayerischen Landtag.

Ja, wir haben allerdings keinen Akteneinblick. Ich weiß nicht, wer straffällig geworden ist und wer nicht. Vor ein paar Jahren waren es zumindest gefühlt vor allem Straftäter, das hat sich geändert.

Dahinter steht eine politische Entscheidung. Wie sehen Sie andere Bundesländer im Vergleich? Schleswig-Holstein hat als einziges Bundesland einen Abschiebestopp beschlossen.

Und jetzt?: Der Pädagoge Gaston Descy arbeitet am Münchner Flughafen beim katholischen Sozialdienst. Er betreut auch die Rückführungen von Flüchtlingen.

Der Pädagoge Gaston Descy arbeitet am Münchner Flughafen beim katholischen Sozialdienst. Er betreut auch die Rückführungen von Flüchtlingen.

(Foto: Marco Einfeldt)

Nun, wenn Schleswig-Holstein nicht abschieben will, muss es andere Regelungen finden. Die Frage ist ja, was stattdessen passiert. Wie kann man die Integration verbessern? Vielleicht finden andere Bundesländer darauf Antworten, und Bayern kann davon lernen. Solange die Regelung hier so ist, versuche ich jedenfalls, durchzukommen und humanitäre Hilfe zu leisten. Es kam auch schon vor, dass Kritiker von uns forderten: "Stoppen Sie das sofort!" Dass wir mit dem Auto bis ans Flugzeug fahren sollten.

Und? Haben Sie das dann getan?

Nein. So etwas macht man einmal und nie wieder. Wir müssen uns ja auch an die Sicherheitsregeln halten. Dass wir überhaupt da drin sind, ist schon ein Entgegenkommen. Wenn ich Unsinn für einen machen würde, ginge die Hilfe für die anderen nicht mehr.

Wie reagieren die Menschen in dieser angespannten Situation auf Sie?

Manche schauen einfach weg, manche fluchen auch. Sie sind sauer, enttäuscht, fertig. Ich kriege manchmal den Ärger ab, aber darüber rege ich mich nicht auf. Oft kommt man übers Essen mit den Leuten ins Gespräch. Und sei es nur die Frage, ob Schweinefleisch in der Wurst ist.

Hängt an Ihnen die letzte Hoffnung der Flüchtlinge? Dass Sie eine Ausreise doch noch verhindern können?

Das passiert manchmal, eher bei Einzelmaßnahmen. Ich versuche aber, in diesen ein, zwei Stunden vor dem Abflug keine falschen Hoffnungen zu wecken. Es soll eher um Fragen gehen wie: Wie geht es nach der Landung weiter? An wen wendest du dich, wenn du in Kabul bist? Dazu geben wir auch Infozettel von Helferverbänden mit, zum Beispiel über NGOs, die in Afghanistan bei der Integration helfen. Aber es gibt immer wieder auch Eilentscheidungen.

Protest gegen Abschiebungen nach Afghanistan am Flughafen München, 2017

"Keine Abschiebungen - nicht nach Afghanistan, nirgendwo hin!" Mit dieser Forderung werden am Mittwoch Menschen am Flughafen demonstrieren.

(Foto: Marco Einfeldt)

Dass jemand in letzter Minute doch nicht ausreisen muss.

Zuletzt hatten wir so einen Fall: Ein Afghane wurde von weit weg mit dem Bus bis nach München gebracht. Und dann hat man ihn im Terminal doch noch rausgelassen, weil die Richter seinen Fall noch einmal prüfen wollen.

Kommt es bei den Einzelabschiebungen auf Linienflügen vor, dass andere Passagiere sich einschalten?

Selten. Auch dass die Betroffenen selbst sich wehren, passiert trotz Verzweiflung nicht so oft. Das geschieht eher früher, wenn die Polizei die Betroffenen abholt. Am Flughafen ist es dann eher so, dass sie passiv Widerstand leisten und sich zum Beispiel nicht durchsuchen lassen wollen. Aber klar, manche schreien und fuchteln mit den Händen und weigern sich einzusteigen. Dann kann ein Flugkapitän auch beschließen, dass er die betreffende Person nicht mitnimmt. Dann entscheidet die Ausländerbehörde, ob der- oder diejenige in Abschiebehaft muss oder etwa bei einem anderen Flug begleitet fliegt.

Sie sind als kirchlicher Sozialdienst am Flughafen auch für andere Reisende zuständig.

Ja, wir kümmern uns auch um jeden, der hängen bleibt. Vielleicht weil jemand kein Geld hat, um weiterzukommen, keine Übernachtung, oder einfach reden will. Es gibt einen evangelischen und einen katholischen Seelsorger hier, außerdem eine Kapelle und Gebetsräume. Anders als an anderen Flughäfen haben wir in München kein getrenntes Asyl-Beobachtungssystem. Wir kümmern uns um alle zusammen. Weil wir alle als Passagiere sehen. Die freiwillig Reisenden und die, die fliegen müssen.

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