Und jetzt?:"Dekadenz!"

Und jetzt?: Dieser Blick - Udo Kier am Dienstagabend in München, seiner früheren Heimat.

Dieser Blick - Udo Kier am Dienstagabend in München, seiner früheren Heimat.

(Foto: Robert Haas)

Udo Kier über München, Fassbinder, den FC Bayern - und über die Gründe, warum er aus L. A. nicht zurück an die Isar zieht

Interview von Philipp Crone

Udo Kier spricht, wie sich eine Zigarettenwolke ausbreitet: Niemand weiß, wohin es ihn trägt, nicht einmal er selbst. Am Dienstagnachmittag sitzt der 71-jährige Schauspieler ("Armageddon", "Lili Marleen", "Melancholia") im Bayerischen Hof und spricht über München. Am Abend stellt er die bei Sky gezeigte RTL-Crime-Serie "Altes Geld" vor (läuft vom 10. Februar an). In München hat er gewohnt, mit dem Regisseur Rainer Werner Fassbinder, hier wurde er zuletzt ausgezeichnet. Von München bis zu Lars von Trier kommt er in einem Satz. Aber kein Wunder bei jemandem, der auf schrille Schurken spezialisiert ist und in der Serie als hinterfotziger Patriarch Sätze sagt wie: "Ich esse Licht" oder "Huch, was hätte der Führer dazu gesagt?" Geradlinige Dialoge liegen dem Kölner nicht. Dann läuft auch noch Galerist Julian Schnabel durch die Lobby, im violetten Pyjama, da muss der kunstbegeisterte Kier sofort hin. Sie kennen sich natürlich. Zurück. Setzen. Ein Blick dieser Kier-Augen, und schon sind seine Erzählungen spannend wie ein Krimi.

SZ: Herr Kier, München schätzt Sie, das Filmfest hat Sie ausgezeichnet. Was schätzen Sie an München?

Udo Kier: Na, auf jeden Fall diese Ehrung. Neben mir hat als einziger Deutscher Mario Adorf den Preis für das Lebenswerk bekommen. Festivals wollen doch sonst internationale Stargäste wie Hopkins oder Malkovich, da bleibt kaum Platz für Einheimische.

München ist für Sie Fassbinder?

Sehr eng verbunden, gestern war ich wie früher in der Deutschen Eiche. Da hängt der Fassbinder an der Tür. Das hat mich gewundert. Wenn man reingeht ins Restaurant, muss man Fassbinder wegdrücken.

Früher hat eher er die Leute er- und weggedrückt . . .

Wir haben dort damals auch gewohnt, über der Deutschen Eiche, später bin ich mit ihm in eine Wohnung gegenüber in der Reichenbachstraße gezogen, 1980 dann in ein Penthouse in Schwabing. Ich habe damals morgens immer alle Zeitungen gekauft, und er las dann täglich sämtliche Feuilletons. Das war, als er seinen teuren Film "Lili Marleen" drehte.

Wie haben Sie München damals erlebt?

Die Stadt hatte eine ungeheure Kraft. Abends in den Clubs wie im "Take five", wo Hildegard Knef mit tiefer Stimme ihre Drinks bestellte. Aristokratisches, dekadentes, höfisches München! Es ist eine ungeheuer saubere Stadt, und ich liebe die Universität. Da bin ich gestern extra vom Flughafen vorbeigefahren, diese Energie, was da alles entstanden ist. Abends gehe ich alleine durch die Straßen mit den Erinnerungen an die Fassbinderzeit.

Woran dachten Sie?

Die Zeit war ja nicht einfach mit ihm. Man musste immer konzentriert sein. Er war wie Kubrick: immer schwarz gekleidet, sich kratzend und schlecht gelaunt. Wir hatten einmal einen Streit bei "Lili Marleen". Danach kam ich das nächste Mal zum Set für eine Szene, und er meinte zum Kameramann: Ich geh' jetzt Fußball gucken, mach du das mit dem Udo.

FC Bayern? Oder FC Köln?

Bayern! Wir waren beide Bayern-Fans, mit Schal und allem sind wir ins Stadion.

Sie haben in London, Rom und Paris gelebt, dann L. A.. Wie kam es zu dem Weg?

In London habe ich einen Englischkurs gemacht und wurde auf der Straße entdeckt, deshalb ging es für eine Rolle nach Rom, das war noch dolce vita! Als ich Frankenstein drehte, saßen die großen, breiten Menschen aus den Fellini-Filmen in der Kantine neben mir. Rom war "Cinema!", die Stadt des Kinos. Die Premiere von Frankenstein war in Paris, wo ich mit Polanski in einem Nachtclub für die "Geschichte der O." angesprochen wurde. Ich sagte, dass ich keine Pornos drehe, aber unter dem Tisch hat mich Polanski getreten. Er sagte: Das berühmteste Buch! Die Titelrolle! Musst du machen. Von Paris ging es dann in die USA, wo ich nun schon lange lebe.

Die Serie "Altes Geld" über die Dekadenz der Reichen hätte man statt in Wien auch in München drehen können.

Das gab es doch schon mit Dietls "Kir Royal". Da hatte ich eine kleine Rolle als Boutique-Verkäufer Holger. "Kir Royal" war auch - wie meine Rolle des Franzl in der Serie jetzt - über das Böse, oder besser: eine Geschichte ohne Tabus. Und Sunnyi Melles spielt mit, wir kennen uns von einer meiner Geburtstagsfeiern in München. Im Palace-Hotel habe ich gefeiert und ließ sie mit einem Bentley abholen. Der Abend endete wie bei "Altes Geld" mit einer riesigen Feier. Wir lagen am Ende in der Badewanne, angezogen . . .

Dekadentes München. Werden Sie hier eigentlich noch immer auf der Straße angeschaut, weil Sie so gut aussehen, wie Sie es von früher erzählen?

Heute werde ich angeschaut, weil ich erkannt werde. Das ist in den USA zum Teil anders. Kennen Sie den Unterschied zwischen San Francisco und L. A.?

Geografisch.

In L. A. schaut dich niemand an, weil jeder Angst hat, dass dann gleich etwas passiert. In San Francisco fuhr einmal die Feuerwehr vorbei, als ich über die Straße ging, und einige riefen: "Ey, ,Ace Ventura: Pet Detective' was great!"

Ist München als Kunst- und Filmstadt nicht wie geschaffen für Sie?

Ja, im Prinzip schon, aber das wäre doch schlecht für die Geschichtsbücher! Dann stünde da: Geboren in Köln, gestorben in München. Viel besser ist doch: Geboren in Köln, fuhr mit seinem 190 SL Baujahr 1962 Havanna-braun Cabriolet über die Klippen von Santa Monica. Da kann man sich doch viel mehr vorstellen.

Warum sind Sie aus München weg?

Nicht weil ich mich mit Fassbinder zerstritten habe, sondern weil es mir zu viel wurde. 1981, nach "Lili Marleen". Man merkte schon den Verbrauch seiner eigenen Person. Ich verließ München und bekam den Anruf aus Paris, dass Rainer tot ist.

Und dann übernahm Lars von Trier.

Er hat mich gleich als Wikingerkönig besetzt. Seine erste Anweisung war: Wasch und rasier dich einen Monat nicht. Ich bekam die Rolle und wurde gleich noch Patenonkel seines Kindes. Seitdem bin ich in jedem seiner Filme dabei und darf mir eine Rolle aussuchen.

Ihre Figur des fiesen Vaters und die "Alte Geld"-Story stehen für Wien, was für eine Film-Figur könnte für München stehen?

Ein boshafter Typ, der in Nachtklubs verkehrt und dessen Whiskyflasche mit einem Namensschild versehen ist, so wie früher im Take five, da stand dann auf der Flasche für Graf Leopold: Prinz. Ich würde mir den Prinz Johannes von Thurn und Taxis aussuchen, der war sehr ironisch und böse. Den kannte ich als 20-Jährigen, mit weißem Lincoln Continental Cabrio fuhr er so gerne durch Südfrankreich. Der hat den Leuten zur Begrüßung den Finger ins Jackett gesteckt und ein paar Sekunden später standen sie mit zerrissenem Sakko da. Dafür müsste ich allerdings ein wenig zunehmen, und Sunnyi könnte Gloria spielen, mit Teddybärchen und Fernsehshows. Thurn und Taxis mit eigener Bank, eigener Brauerei, perfekt. Dekadenz!

München ist Dekadenz?

In München merkt man, dass man unter sich ist. Wenn man hierherkam früher, dann war klar, wer wo ist: die mit Geld da, die anderen da. Das ist, denke ich, heute noch immer so. Da würde so eine Dekadenz-Serie wunderbar passen.

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