Umzug der SZ:Tausche Frauentürme gegen Alpenblick

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Wir ziehen um: Von der Sendlinger in die Hultschiner Straße - die Süddeutsche Zeitung wechselt an einem Wochenende ihr Domizil.

Bernd Kastner

Was zuerst kam, lässt sich nicht mehr genau sagen. Ob zuerst die Seife im Klo ausgegangen oder die Uhr im Hof stehen geblieben ist. Um halb sieben. Als ob es keine symbolhafteren Uhrzeiten gäbe für dieses Geschehen, dieses einschneidende Ereignis, für München und für die Süddeutsche Zeitung. Wer wollte, konnte seit Monaten ahnen, was da kommt, aber nun, am vorigen Montag, gibt es kein Verdrängen mehr. Wie ein Schock ist es, das Schwarze Haus so zu sehen.

Die Leser wissen nicht, dass ihre Zeitung gerade in 3000 Kisten steckt und auf dem Weg gen Osten ist. (Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Zwar verbindet die SZ-Redaktion mit diesem Gebäude ein ambivalentes Verhältnis, weil dort der Verlag saß, dort das Geld ausgegeben und gespart wurde, und es auch jener Ort ist, an dem entschieden wurde, die Sendlinger Straße zu verlassen. Aber als am Montag plötzlich eine Fensterscheibe dieses Hauses zerborsten im Innenhof liegt, und tags darauf die ersten Möbel hinunterstürzen, starren Journalisten nach oben wie Zeugen einer Naturkatastrophe. Schrank um Schrank, Pflanze um Pflanze, als müsse sich das Haus übergeben. Dieses Ende hätte man ihm dann doch nicht gewünscht.

"Mir ist zum Heulen zumute"

So hat sie begonnen, die letzte Woche der SZ in der Sendlinger Straße, auf einem Areal, das Zeitungsgeschichte geschrieben hat. Christian Ude hat als junger Mann hier den Beruf des Journalisten erlernt, und nun, längst König dieser Stadt, kritisiert er den Wegzug als Kulturbruch. "Mir ist", hat er neulich auf der Abschiedsfeier der Redaktion gesagt, "mir ist zum Heulen zumute." Es wird, auf dem Weg von der alten in die neue Zeit, noch ein paar Tage dauern, ehe man jemanden trifft, der strahlt und sagt: "Ich bin in freudiger Erwartung."

Schon vor Wochen haben sie farbige Aufkleber ausgeteilt, rot und gelb und blau, auf denen Worte wie "Quellort" stehen und so kryptische Kombinationen wie H.17.182-AP2. Das ist der "Zielort", und der liegt im Hochhaus, 17. Etage, Zimmer 182, Arbeitsplatz 2. Man sollte das auf die Umzugskisten und Computer kleben, damit die Männer von der Spedition wissen, wohin damit. Jetzt, in der Redaktionskonferenz, weist ein Kollege darauf hin, dass diese Aufkleber nicht recht kleben wollen. Sie lösen sich, weshalb die Abendzeitung sie später "intelligente Plaketten" nennen wird.

Es ploppen in diesen Tagen immer wieder Rundschreiben auf dem Monitor auf, E-Mails von den beiden Chefs vom Dienst, Christian Krügel und Stefan Simon, die für die Redaktion den Umzug managen. Einem dieser Schreiben wohnt gewisse Besorgnis inne, weil die Kollegen von der einst benachbarten AZ, die schon im September raus mussten, eine etwas überschäumende Abschiedsparty gefeiert haben, die manchen eher an eine Abrissparty erinnerte.

"Dieses Haus gehört uns nicht mehr."

Und weil auch bei einer der ersten beiden Umzugswellen ins Hochhaus bunte Räume zurückgeblieben sind. Also bitten die SZ-Organisatoren, "trotz allem Verständnis für Wehmut und Traurigkeit", keine Schilder abzuschrauben und keine Mauerstücke als Souvenir herauszubrechen. "Dieses Haus gehört uns nicht mehr." Man könnte anfügen, dass auch das Hochhaus nicht mehr dem SV gehört. Die früheren Gesellschafter haben es, als Baustelle, weiterverkauft, sodass Verlag und Zeitung nun als Mieter einziehen.

Im zweiten Stock stehen schon viele Bücher aus dem Feuilleton zum Abtransport, "Der Barbar als Kulturheld" heißt eines. Am Mittwoch trifft man Hermann Unterstöger in seinem Büro, die Regale leer, die Kisten voll, und auf dem Bildschirm leuchtet der Anfang eines Streiflichts für den Freitag. Gedanken zum Weggang. Unterstöger gehört zu jenen, die vom Umzug überrascht wurden. Das liegt allein an seinem Alter. Weil er 65 geworden ist im Sommer, war für ihn klar, dass er nicht mehr mitgeht. Aber dann stand eines Tages der Chefredakteur in der Tür, wir müssen mal Mittagessen gehen, hat er gesagt. Und als der Bauch gut gefüllt war, war Unterstöger kein angehender Rentner mehr, sondern Redakteur im 25. Stock.

Das Klavier wird nicht entsorgt

Und nun spricht dieser Mann, der vor 30 Jahren gekommen ist, der einst dort saß, wo heute der Tresen vom Caffé Streiflicht ist, der dann mit seinem Schreibtisch ins alte Druckereigebäude gezogen ist, beim Einpacken vom "Segen". Dabei lacht er sein feines Streiflichtlächeln, weil er das Ausmisten meint. Dass man dazu nun gezwungen sei, das sei vielleicht der "einzige Segen" dieser Aktion. Gottlob, das Klavier, das schon immer in der Innenpolitik steht, wird nicht entsorgt. Sie haben einen Umzugsaufkleber drauf gemacht, und Unterstöger wird, wie immer, bald wieder Weihnachtslieder darauf begleiten, nur halt ein bisschen höher oben als früher.

Man darf das Schwarze Haus, das die Denkmalschützer zu spät unter Schutz gestellt haben, nicht mehr betreten, aber es muss sein, ein letztes Mal. Von der Kantine im fünften Stock sieht man noch immer die Frauentürme. Es riecht ungut, abgestanden, aber daran sind nun wirklich nicht die Köche schuld. Auf den grünen Tafeln über der Theke steht, handgeschrieben, noch das letzte Gericht: Frischer Gemüseteller mit Spiegelei für einsfünfundachtzig. Im neuen Haus heißt die Kantine nicht Kantine, sondern "Leonardi", hat einen "Free-Flow-Bereich" und bietet Frontcooking. Das ist, wenn man beim Kochen zuschauen darf.

Am Donnerstag wird die letzte SZ in der Stadt geschrieben, und dass das noch funktioniert, gleicht einem Wunder. (Foto: Foto: Stefan Rumpf)

"Unsere tägliche Fahrt gib uns heute"

Am Donnerstag wird die letzte SZ in der Stadt geschrieben, und dass das noch funktioniert, gleicht einem Wunder. Gegen Mittag wieder eine Rund-Mail, eine Gebrauchsanweisung der Zukunft: Wo man was findet im neuen Haus, dass im Erdgeschoss eine Bankfiliale ist und der Adventskalender im achten Stock. Dass man fürs Fernsehen keinen Fernseher mehr braucht, nur den Monitor, und Telefon-Interviews nicht mehr auf eine 60er-Kassette aufnimmt, sondern Telefon und PC gemeinsam ein MP3-File erstellen.

An diesem Tag erreicht ein spezieller Trümmer-Tourismus seinen Höhepunkt. Nachdem schon unzählige Journalistenkinder ein letztes und ein allerletztes Mal Paternoster fahren wollten, will nun die halbe Redaktion rauf- und runterrumpeln. Ein Spaß ist das, ein bitterer, denn auch dieses Stück Geschichte wird verschwinden, und dann werden es nur noch sechs Paternoster in München sein.

Zu Ehren des Lifts hat ein Anonymus das Vaterunser umgeschrieben: "Unsere tägliche Fahrt gib uns heute und vergib uns unseren Auszug. Wie auch wir vergeben Deine Ausfälle." Redakteure geben dem hauseigenen Internet-Fernsehen Interviews und berichten von Rekorden: Zwölf Leute in einer Kabine! Sechzehn! Einer stellt ein Buch in Kabine 5, "Der Abschied" heißt es, ein Roman. Tagelang fährt er durch das echte Leben, auf und ab.

"Können Sie einen Rechtsanwalt gebrauchen?"

Es ist Freitagmorgen geworden. Man hört jetzt im alten Haus viele Worte aus fremden Sprachen. Männer in roten Jacken bevölkern das Gebäude, sie sind gekommen, um die Zeitung auf kleinen Wägelchen wegzurollen. Die Telefone läuten noch, wie immer halt, aber jetzt klingt es wie Wehklagen. Die Leser wissen nicht, dass ihre Zeitung gerade in 3000 Kisten steckt und auf dem Weg gen Osten ist. Ein Mieteranwalt. Er berichtet von einem Haus in der Isarvorstadt, entkernt, entmietet, Spekulantenart, Sauerei, und ob sich die SZ dieser Geschichte nicht annehmen wolle. Äh, tja, gerne, nächste Woche aber erst. Vielleicht wisse er ja, dass auch die Zeitung gerade ...Da lacht der Anrufer: "Können Sie einen Rechtsanwalt gebrauchen?"

Alles passiert jetzt zum letzten Mal, auch dieser Spaziergang. Durch den Keller, vorbei an Möbeln einer früheren Verlegerfamilie, die, in Folie verpackt, seit acht Jahren auf die Abholung warten, vorbei an der Online-Redaktion, die, als wirklich allerletzte, bis Freitagnacht um elf von hier aus berichtet, und weiter ins Feuilleton.

Man hat Gruseliges gehört, Geschichten von Büchern, die sie unter Bodenplatten gefunden haben, verweste Lexika, skelettierte Romane. Nein, nein, sagt Manuela Schröder, Sekretärin und die letzte Zurückgebliebene. Unterm Boden war nichts mehr, aber hinter einer Tür, eine vergessene Kammer, Bücher darin, Bücher, Bücher, hundert laufende Meter. Schröder kennt sich aus mit laufenden Metern, sie hat den Bestand der Ressort-Kollegen gezählt und ist auf einskommaeins Kilometer gekommen.

Elf Uhr. Ein EDV-Trupp kommt in den vierten Stock. Er zieht alle Kabel raus. Es ist jetzt Zeit zu gehen.

30000 Kisten und 27000 Meter Bücher

Mit dem Fahrrad sind es an die 20 Minuten bis zum Turm. Am Deutschen Museum überholt man einen Umzugslaster, zehn sind im Einsatz an diesem Wochenende, um in gut 200 Fuhren 567 Arbeitsplätze zu verfrachten. Insgesamt werden sie, wenn nächste Woche auch die vierte Umzugswelle geschafft ist, 30.000 Kisten und 27.000 Meter Bücher ins Hochhaus gekarrt haben.

Nun ist es an der Zeit, die volle Wahrheit über den neuen Standort zu enthüllen. Denn dass das Hochhaus in Steinhausen oder auch Zamdorf steht, ist nur die halbe. Es steht in Bogenhausen, jawoll, Bo-gen-hau-sen, Stadtbezirk dreizehn. Das klingt schon ganz anders als Autobahn und Straßenstrich. Bogenhausen ist Thomas Mann und Herzogpark, ist große Literatur und feine Adresse. Von wegen "städtebauliches Wildschweingehege", Herr Oberbürgermeister!

Hultschiner Straße 8. Was ist Sendling gegen Hultschin, jene Stadt in Nordmähren, 14.000 Einwohner, Mittelpunkt des Hultschiner Ländchens. Groß und mächtig steht er da, der Turm mit Anbau und Atrium, die Fassade schwarz und spiegelnd. 145 Meter sollte er hoch werden, dann aber haben die Münchner per Volksabstimmung das obere Drittel gekappt, geblieben sind 99,9 Meter, aber auch das ist recht hoch. Es sind die Ohren, die als erstes reagieren im neuen Haus. Sie fallen zu, um die 13.Etage herum.

Es ist der Föhn, der zum ersten Mal ganz neue Gedanken herbeiweht

17. Stock. Hierhin, liebe Leser aus München, kommen Sie bitte künftig, wenn sie eine Geschichte loswerden wollen, sei sie kurios oder skandalös. Natürlich, Sie dürfen auch anrufen, die Nummern bleiben gleich, und man trifft sich auf einen Kaffee am, sagen wir, Marienplatz.

H.17.182-AP2. Man steht am Fenster, und es ist der Föhn, der zum ersten Mal ganz neue Gedanken herbeiweht. Dass es auch seinen Reiz hat, statt der Frauentürme die Alpen zu betrachten. Auf dem Schreibtisch liegt ein Papier, das verrät, wie man das Telefon in Gang setzt. Kreuz und 3 und 5 und Haken. "Mit freundlichen Grüßen, Ihr Rollout Team." Für den Sonntag sind ,"Floor Walker" angekündigt, das sind Menschen, die Retter in der technischen Not sein sollen.

Die Männer in den roten Jacken sind auch schon da, und IT-Leute in Zivil. Einer installiert einen PC auf dem großen Konferenztisch im fünfundzwanzigsten, einer saugt den Teppichboden im Flur der Chefredaktion. Die Chefzimmer sind noch jungfräulich, in einem immerhin ist ein Stuhlkreis aufgebaut.

"Ich bin sehr zufrieden."

Rauf, runter, hier erledigen das sechs Aufzüge, die so gescheit sind, dass man nur außen seine Wunschetage drücken kann, nicht innen. Unten, am Empfang, schaut Reinhard Lorch nach dem Rechten. Es zieht, weil alle Türe offenstehen, also bittet er in sein Büro, wieder hoch. Vor seiner Tür lehnen alte Fotografien am Boden, eines zeigt ein Haus mit auffälligen Erkern, ein Teil der Fassade fehlt. Sendlinger Straße Nummer acht, kurz nach dem Krieg. Lorch ist im normalen Leben Chef der SV-Drucktechnik, seit Jahren aber macht er fast nur eins: den Neubau planen. Und jetzt liegen ihm tatsächlich die Alpen zu Füßen. "Ich bin sehr zufrieden."

Umzug gut, Haus gut, Stimmung gut, von wenigen Nörglern abgesehen. Und auch die Obernörgler aus der Redaktion werden sich bald anfreunden, da ist er sich sicher. "Fundierte Argumente gegen den Umzug gibt es nicht." Dann muss er noch "eine gewisse Ordnung" im neuen Haus anmahnen. Weil manche Mitarbeiter ihr Radl trotz Tiefgarage einfach auf den Vorplatz schmeißen, und weil andere tatsächlich auf die Idee gekommen seien, ihre Büroglastüren mit allerlei zuzukleben.

Überhaupt geschehen Dinge hier draußen, mit denen auch der oberste Hochhausbauer des Verlags nie gerechnet hätte. Die Geschichte mit der Nase zum Beispiel. Da ist doch, gleich am ersten Tag, einer gegen den gläsernen Windfang am Haupteingang gelaufen. Und zwar so, dass sein Nasenbein gebrochen war. Reinhard Lorch klingt so, als ob er sich nicht recht entscheiden könne zwischen Mitleid und großer Verwunderung. Sofort haben sie ein Band aus Milchfolie angebracht, auf Nasenhöhe, es soll nicht aufs Neue wehtun, wenn man das Hochhaus verlässt.

"Wir sind in freudiger Erwartung."

Der Rückweg in die Stadt führt vorbei am Hasenstall. Und auch hier trifft man jemanden, der sich freut. Das Wirtshaus "Zum Hasenstall" ist nicht irgendein Lokal, es ist das nächstgelegene zum Hochhaus. Den Schlachtteller gibt es hier für sechsfünzig, und der Wirt wird gleich erzählen, dass er beim "Spöckmeier" am Marienplatz gelernt hat, damals, als der Süßmeier noch war. "Hasenstall" haben die Wirtsleute den Flachbau getauft, weil er, neben der Bahntrasse, in einer winzigen Kleingartenkolonie liegt, die sich der Kaninchenzucht verschrieben hat.

Georg Schmeller, der Wirt, 48 Jahre alt und offensichtlich ein Freund seiner Gerichte, bittet an den Stammtisch. Einer zieht an einer Zigarre, an der Wand blinkt ein Spielautomat, eine Kegelbahn gibt's, und am Nachbartisch spielen sie Schafkopf. Die vier Männer, erzählt Schmeller, gehören zum ältesten Schafkopfverein der Stadt, "Mit der Blauen" heißt der. Für die Kartler ist der "Hasenstall" das Vereinslokal wie für die Trachtler und die Bienenzüchter.

Und jetzt kommen die Verlagsleute, die Reporter und Feuilletonisten, das könnte gut sein fürs Geschäft. "Ich bin schon ein bisschen gespannt, was für Leute da auf einen zukommen", sagt der Wirt. "Mit der Klientel haben wir bisher relativ wenig zu tun gehabt." Um ja keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, wirft Sylvia Dosch-Schmeller, die Wirtsfrau, ein: "Ein jeder Gast wird bei uns gleich behandelt." Der Mann brummt zustimmend. Neulich waren schon welche da ausm Hochhaus, "fünf Stück", sehr nett seien sie gewesen. "Wir sind in freudiger Erwartung."

© SZ vom 03.11.2008/reb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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