Umfrage am Münchner Hauptbahnhof:Das fünfte Rad im Wagen

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Eigene Abteile für Räder - wie hier in einem Intercity - sind noch längst nicht Standard bei der Bahn. (Foto: Rüdiger Wölk/Imago)

Nicht alle Bahnreisende sind mit den einschlägigen Angeboten zufrieden, über das geringe Platzangebot ärgern sich vor allem die Pendler

Von Florian Haenes, München

Der Hauptbahnhof München an einem Dienstagmorgen. Polizisten patrouillieren, die Hände locker an der Schutzweste hängend. Eine Trauben aus Schulkindern drängelt lärmend durch die Schalterhalle, und an den Theken der Bäcker warten jene, die für ein Frühstück bislang keine Zeit fanden. Am Info-Schalter der Bahn hat sich Radu Simeon Bumbu eingereiht und lehnt sich, unbeeindruckt von dieser Hektik ringsum, an sein Rennrad. Sein Zug hatte Verspätung, und nun braucht er eine Bescheinigung für seinen Ausbildungsbetrieb, in dem er eine Elektrikerlehre macht. Jeden Morgen radelt Bumbu von Inning am Ammersee nach Schondorf, wo er mit seinem Rad in die Regionalbahn steigt. Über Geltendorf und München fährt er so zu seinem Ausbildungsplatz in Pfaffenhofen.

"Ich muss schon dreist sein, wenn ich im Pendlerverkehr bestehen will", sagt Bumbu und grinst. In den Regionalbahnen sucht er immer das Radabteil, ganz am Anfang oder am Ende des Zuges. Dort kann er die Sitze hochklappen und mit einem Gurt sein Rad befestigen. "Eigentlich sind die Abteile doch für Radfahrer reserviert", sagt Bumbu, "daran halten sich aber die allerwenigsten." Wenn es im Zug morgens voll wird, dann muss er sich behaupten, gegen Fahrgäste ohne Rad, die mangels anderer Sitzgelegenheiten auf die Radabteile ausweichen. Immer wieder gerät er dabei in Konflikte, wie er berichtet: Einmal habe sich ein Fahrgast geweigert, ihm im Radabteil Platz zu machen. Dabei hätte er doch nur zwei Sitze zur Seite rücken müssen. Bumbu sagt, ihm sei in seiner Wut eine böse Beleidigung herausgerutscht. Erst als ein Zugbegleiter den Streit geschlichtet habe, habe der Mann schließlich kleinbeigegeben und missmutig den Platz freigegeben.

Entspannter reist offenbar, wer wie Hermann Stockinger dem Pendlerverkehr aus dem Weg gehen kann. Der 75-Jährige steht gegen zehn Uhr inmitten der Schalterhalle und lauscht der Lautsprecheransage. Die erzählt etwas von Zugwechsel und Gleis 16, woraufhin Stockinger wendet und sein Mountainbike durch den Parcours aus wartenden Fahrgästen schiebt. Er sucht den Zug, der ihn von München nach Höchstädt an der Donau bringt. Dort will er seinen Bruder und dessen Frau besuchen. Anschließend will er mit seinem Mountainbike zurück nach Miesbach fahren. 200 Kilometer mit dem Rad - an nur einem Tag. Stockinger ist schon oft per Bahn mit dem Rad an den Ausgangsort seiner Touren gefahren. Schwierigkeiten gab es nie. Im Gegenteil: Hervorragend sei das Angebot der Bahn, sagt Stockinger und entschwindet - inzwischen auf Gleis 16 angekommen - in das Radabteil seiner Regionalbahn.

Christopher Klein navigiert sich derweil durch das Buchungssystem am Fahrkartenautomaten. Gekonnt huscht sein Zeigefinger auf dem Touchscreen umher. In Nürnberg hat er sich mit seinem Cousin für eine Radtour durch Franken verabredet. Ein bisschen stressig sei es schon, wenn er mit dem Rad in der Bahn unterwegs sei, sagt Klein. Seine eigenen Erlebnisse in überfüllten Abteilen , so meint er, verblassten aber angesichts einer Geschichte, die einem Bekannten widerfahren sei: Der war mit der Bahn unterwegs in den Urlaub und hatte für sich und sein Rad einen Platz im Radabteil gefunden. Mit jedem Halt stiegen mehr Fahrgäste ein, doch aus stieg keiner. Schulter an Schulter drückten sich die Passagiere schließlich aneinander, woraufhin sich der Zugbegleiter laut Klein dem Bekanntem zuwandte und ihm bedeutete: Raus aus dem Zug. "Kein schöner Start in den Urlaub", sagt Klein. Unten links am Automaten leuchtet inzwischen ein Licht auf. Klein greift in das Fach, zieht sein Ticket und eilt zu seinem Zug.

Joseph Lachner deckt sich an der Theke eines Bäckers gerade mit Proviant ein. Das Radtrikot liegt eng um seine schmale Brust, die Beine sind schlank, aber sehnig - die ideale Physis, um mit dem Rad alpine Bergpässe zu fahren. Genau das haben Lachner und sein Sohn Fabian auch vor. Gleich soll die Regionalbahn die beiden an den Rand der Alpen bringen. Von dort geht es auf den Rennrädern nach Mailand. In vier Tagen. 420 Kilometer. Als Bahnreisender mit Fahrrad hat Lachner eine Ungerechtigkeit ausgemacht: "Dieses Rad wiegt weniger als ein Koffer", sagt er und zeigt auf seine filigrane Rennmaschine. "Warum zahle ich denn fünf Euro extra, um mein Rad in der Bahn mitzunehmen, wenn ich doch für einen Koffer nie ein Ticket brauche?"

Christian Bachmann schlendert mit dem Rollkoffer in der Linken, dem Mountainbike in der Rechten und Musik in beiden Ohren über den Bahnsteig. Das Fünf-Euro-Tagesticket fürs Rad hat er schon oft gekauft. Ungerecht behandelt fühlt er sich dabei nicht: "Die Tageskarte ist klasse, damit komme ich durch ganz Bayern", sagt er. Heute ist Bachmann auf dem Weg nach Wien. Er wirkt so ausgeruht, als hätte er seinen Urlaub bereits hinter sich. "Ach, da ist ja ein freier Platz", ruft er unvermittelt, verabschiedet sich und wuchtet Rad und Koffer in den Zug.

© SZ vom 23.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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