Ultras in den Stadien:Wie die "Schickeria" bis heute polarisiert

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Die Fans der "Schickeria" geben in der Allianz Arena den Ton an.

(Foto: imago)

Die Bayern-Ultras engagieren sich gegen Rassismus und Homophobie, bewahren das Erbe von Kurt Landauer. Doch eine klare Distanzierung von Gewalt gibt es nicht.

Von Christoph Ruf

Ein Telefonat, am Tag vor der Abfahrt nach Darmstadt, im Hintergrund herrscht Betriebsamkeit. Schließlich bereiten sich Ultras auf ein Auswärtsspiel genauso gewissenhaft vor wie die Profis. Choreografien, Spruchbänder oder neue Wechselgesänge fallen ebenso wenig vom Himmel wie neue Freistoßvarianten.

"Im Grunde fing alles mit den Munichmaniacs an", sagt Simon Müller, der seit gut 20 Jahren bei den Bayern in der Kurve steht. Was beachtlich ist, wenn man erst Mitte 30 ist. Schon damals, Ende der Neunzigerjahre, habe es Diskussionen gegeben, die in der Kurve bis heute nicht verstummt sind. "Es waren halt die ersten Doppelhalter im Olympiastadion. Prompt gab es Konflikte, weil sich einige beschwerten, ihnen sei durch die Fahnen die Sicht verbaut." Der Kulturschock für die angestammten Fangruppen mit ihren Jeans-Kutten sollte damit erst beginnen.

Schickeria polarisiert auch innerhalb der Ultraszene

Fast ein Jahr vor der eigentlichen Gründung der "Schickeria", schlossen sich im Herbst 2001 einige Fans, im Zuge des "Projekts T-Block" zusammen und sammelten sich im unteren Bereich des gleichnamigen Blocks im Olympiastadion, um von dort aus den FCB zu unterstützen. Beim Auswärtsspiel in Stuttgart, im März 2002, trat dann erstmals eine größere Gruppe unter dem Label "Gruppo Ultra" in Erscheinung. Kurz darauf gründete sich die "Schickeria München".

Die polarisiert seither, ob sie das nun immer will oder nicht. Während sich die Beliebtheit bei der Polizei und Teilen der Vereinsführung in Grenzen halten dürfte, ist die Gruppe, die früher rund 700, heute aber nur noch 200 Mitglieder hat, vor allem unter jungen Fußballfans bekannter als mancher Spieler. Zwölfjährige Bayernfans schauen heute ähnlich ergriffen, wenn ein 15-Jähriger berichtet, er sei "bei der Schickeria", wie wenn sie ein Selfie mit Thomas Müller in der Klasse herumzeigen können.

Die Schickeria polarisiert aber auch innerhalb der deutschen Ultraszene. Während sie für die einen diejenigen sind, die "zu viel Politik ins Stadion tragen", weil sie sich gegen Homophobie oder Rassismus positionieren, schätzen andere sie gerade deshalb. Wer bei Fußballübertragungen auch beim Kameraschwenk in die Fankurven genau hinschaut, sieht das "Schickeria"-Transparent auch in den Kurven in Bordeaux, Bochum oder San Benedetto - und fast immer in Jena und St. Pauli, wo mit der "Horda" und "USP" zwei dezidiert linke Ultragruppen aktiv sind.

Trotz einiger kritischer Stimmen in der Jury verlieh die DFB-Kulturstiftung den Münchner Ultras 2014 den Julius-Hirsch-Preis. Für ihr Engagement gegen rechts. Und weil sie es waren, die die Erinnerung an den von den Nazis verfolgten ehemaligen Vereinspräsidenten Kurt Landauer (1884-1961) wieder aufleben ließen. Im vergangenen Sommer richtete die "Schickeria" zum elften Mal das Turnier um den Kurt-Landauer-Pokal aus - Pionierarbeiten, ohne die weder der Landauer-Film denkbar gewesen wäre, noch die Erinnerungsarbeit, die längst auch der FC Bayern in seiner "Erlebniswelt" leistet. "Dass sich der Verein heute so geschichtsbewusst zeigt, hängt mit dem Engagement der Schickeria zusammen", sagt Eberhard Schulz von der Evangelischen Versöhnungskirche in Dachau. "Das Engagement gegen Rassismus und Antisemitismus ist absolut glaubwürdig", so Schulz, dem aber auch nicht entgangen ist, dass viele der Ultragruppen, mit denen er seit Jahren auf hohem intellektuellen Niveau über Diskriminierung diskutiert, Gewalt nicht per se verurteilen.

"Das ist die eine Seite einer emotionalen Fanszene", sagt Müller, wenn er auf das Thema Gewalt angesprochen wird. "Wichtig ist, dass es im Rahmen bleibt und kein Selbstzweck wird." Darüber, was das genau heißt, sind Spekulationen erlaubt. Nürnberger Ultras leben in München wohl gefährlicher als Wolfsburger oder Mainzer. Und was das Verprügeln von Menschen angeht, die selbst keinen Spaß daran haben, sind sich dann wohl auch Schulz und Müller einig. So etwas verbietet sich auch für eine Szene, die Verbote nicht immer kümmern.

Schickeria will sich weiterhin in Vereinspolitik einmischen

Dass vor zehn Jahren bei einem Scharmützel zwischen den verfeindeten Ultragruppen aus Nürnberg und München eine Fahrerin des Nürnberger Busses ein Auge einbüßte, gehört allerdings ebenfalls zur Geschichte der "Schickeria", auch wenn die Gruppe den Vorfall bedauert hat. "Es gab keinerlei Solidarisierung, im Gegenteil", sagte damals ein Schickeria-Mitglied im Interview mit "Spiegel Online". "Die Flaschenwürfe waren feige und gefährliche Taten, die allerdings nicht von der Gruppe ausgingen, sondern von wenigen Einzelnen, die damit die eigenen Ideale mit Füßen getreten haben." Aber das Augenlicht bekam die Frau deshalb eben auch nicht zurück. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass es Gewalt beim Fußball gibt, seit es den Fußball gibt. Heute berichten die Medien darüber, das ist wohl der größte Unterschied.

In die Vereinspolitik des FC Bayern wollen sich die Leute von der Schickeria auch weiterhin einmischen. Und mit den Begleiterscheinungen des modernen Fußballs, den immer teurer werdenden Tickets, den immer absurderen Anstoßzeiten, werden sie sich auch nicht abfinden. Und doch fällt auf, wie milde sich Müller auch nach mehrmaligem Nachfragen über die Offiziellen des Vereins äußert. Und wie sehr er darauf bedacht ist, die "Schickeria" als Teil der ganzen Bayern-Fanschar zu beschreiben. Es herrsche zwar nicht immer eitel Sonnenschein zwischen den traditionellen Fans und den eher subkulturellen aus seiner Gruppe. "Aber im Vergleich zu früher und auch zu anderen Fanszenen, in denen die Konflikte existenzbedrohend sind, ist das hier harmonisch. Respekt ist immer vorhanden."

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