Ultra-Fans des FC Bayern:Im Zweifel rot

FC Bayern München - Hannover 96.

Ultra-Fans sind von ihrem Verständnis her engagierter als normale Zuschauer.

(Foto: dpa)

Sie singen lauter und länger und haben einen strengen Werte-Kodex. Doch die Münchner Ultra-Fan-Gruppe Schickeria ist umstritten - weil sie auch mit Gewalt in Verbindung gebracht wird. Nun wird sie für ihr Engagement gegen Antisemitismus und Diskriminierung mit einem Preis ausgezeichnet. Passt das zusammen?

Von Martin Schneider

Ein junger Mann mit schwarzem Pullover, schwarzer Kapuze und schwarzer Kappe läuft auf die Kamera zu. Sein Gesicht sieht man nur kurz und halb im Schein einer dunklen Lagerhalle. Im Hintergrund schieben Menschen ein Gerüst herum. Sieben Monate später wird Wolfgang Niersbach, der Präsident des Deutschen Fußballbunds (DFB), über diese Menschen sagen, sie hätten sich "kreativ und vorbildlich gegen jede Form von Diskriminierung" engagiert. Gerade tun sie das, indem sie malen.

Die Kamera schwenkt, man sieht in dem Youtube-Video einen Mann mit einem Pinsel, Schnitt, es wird hell, man sieht viele Pinsel, schwarz-graue Schattierungen, Gesichter sind zu erkennen, Schnitt, das Stadion des FC Bayern vor dem Bundesligaspiel gegen Frankfurt im Februar. "Der FC Bayern und ich gehören nun einmal zusammen und sind untrennbar voneinander", steht über der Südkurve, dann wird die Folie entrollt. Man sieht alte Wappen des Vereins und das Konterfei des ehemaligen Bayern-Präsidenten Kurt Landauers fein herausgearbeitet. Ein Kunstwerk auf Folie.

Wie kamen Landauer und die Schickeria zusammen?

Unter anderem für diese Choreografie bekommt die Ultra-Gruppierung Schickeria des FC Bayern den Julius-Hirsch-Preis des DFB. Hirsch war deutscher Nationalspieler und starb wegen seiner jüdischen Herkunft 1943 in Auschwitz. Der Preis soll Aktionen auszeichnen, die sich besonders für Freiheit, Toleranz und Menschlichkeit einsetzen. Und diesen Preis hat nun eine Ultra-Gruppierung bekommen, die in der Vergangenheit ziemlich umstritten war. Weil sie eben nicht nur mit Engagement für Toleranz in Verbindung gebracht wurde, sondern auch mit Randalen und Prügeleien unter Fußballfans. Wie kam es dazu?

Im Prinzip muss man dazu drei Fragen beantworten: Wer ist die Schickeria? Wer ist Kurt Landauer? Und wie kamen die beiden zusammen? Und gleich die erste Frage ist die schwierigste. Von der Schickeria selbst heißt es nur, man sei "nicht daran interessiert, sich zu den aktuellen Ereignissen zu äußern".

Jemand, der die Schickeria gut kennt, ist Thomas Emmes. Genau genommen war er schon in der Fan-Kurve der Bayern aktiv, da gab es die Schickeria noch gar nicht. Seit 19 Jahren arbeitet er beim Fanprojekt München, die Schickeria gibt es erst seit zwölf Jahren. Sie zählt etwa 700 Mitglieder, davon sind 300 aktiv. "Es sind junge, sehr engagierte Szene-Fans", sagt er, im Alter zwischen 16 bis "gut über 30", zum Teil Akademiker, eine Gruppe, die "sozial stabil" sei. Frauenanteil: fünf Prozent. Ultra-Fans sind von ihrem Verständnis her engagierter als normale Zuschauer.

Landauer posthum zum Ehrenpräsidenten ernannt

Sie singen lauter und länger, basteln Choreografien und haben einen strengen Werte-Kodex, der es ihnen unter anderem verbietet, einen Manuel Neuer willkommen zu heißen, weil er ein bekennender Schalke-Ultra war. Der Name Schickeria kommt aus dem Lied der Spider Murphy Gang und ist ironisch gemeint. "Der Großteil der Stadtjugend gibt sein Geld lieber für teure Klamotten und in Nobeldiskotheken aus, anstatt eine eigene Identität zu entwickeln", heißt es auf der Homepage.

"Es ist schon so, dass wir als eine linke Gruppe gesehen werden", sagt Simon Müller. Er ist Mitglied der Schickeria, trägt Bart, die Haare ein bisschen zu lang. "Eine Positionierung gegen Rassismus erfolgt schon rein aus einem gesunden Menschenverstand", sagt er in einem Dokumentationsfilm über Kurt Landauer, den der Bayerische Rundfunk im Oktober zeigt. Dass der BR diese Dokumentation gedreht hat, liegt zu einem großen Teil an der Schickeria. Die entdeckte den fast vergessenen Präsidenten als Symbolfigur.

"Queerpass FC Bayern"

Landauer war Präsident des FC Bayern, als dieser 1932 die erste Meisterschaft gewann. Nur ein Jahr später musste er sein Amt abgeben - Landauer war Jude und die Nazis hatten die Macht ergriffen. Er wurde 1938 nach Dachau gebracht und konnte später in die Schweiz flüchten. 1947 kam er wieder nach München und blieb Vereinspräsident bis 1951. Erst durch das Engagement der Schickeria beschäftigte sich der FC Bayern mit diesem Teil seiner Geschichte, 2013 wurde Landauer posthum zum Ehrenpräsidenten ernannt.

Die Fan-Gruppe veranstaltet einmal im Jahr auf dem Sportgelände von Maccabi München das Turnier um den Kurt-Landauer-Pokal. "Die Geschichte von Kurt Landauer ist für uns zusätzlich Motivation, uns gegen Rassismus, Faschismus und Nazis zu engagieren", sagt Müller. Die Choreografie vor dem Spiel gegen Frankfurt war nur eine von vielen, in denen der Präsident auftauchte. Seit Langem weht in der Südkurve auch eine Regenbogen-Fahne, der schwul-lesbische Fanklub "Queerpass FC Bayern" berichtete schon 2006 von den guten Kontakten zur Schickeria. Die Gruppe hielt beim Kurt-Landauer-Turnier einen Vortrag über Homophobie.

Auseinandersetzungen mit der Polizei

Warum ist die Gruppe dann umstritten? Ultra-Gruppierungen sind in den seltensten Fällen homogen, innerhalb der Schickeria gibt es viele Sektionen. "Die Schickeria ist weitgehend nicht gewaltbereit", sagt Emmes. Doch es gibt auch andere Mitglieder. 2007 etwa überfielen sie einen Bus mit Nürnberg-Fans, dabei erblindete eine Frau auf einem Auge. 2009 prügelten sich Mitglieder mit Polizisten auf dem Würzburger Bahnhof. Im April 2013 kam es vor dem Spiel gegen Nürnberg zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Daraus resultierten viele Stadionverbote, die der FC Bayern, wie am Mittwoch bekannt wurde, nun wieder ausgesetzt hat.

Ob diese Mitglieder die gleichen sind, die in stundenlanger Arbeit ein überlebensgroßes Kurt-Landauer-Gemälde zeichnen? Unklar. Müller sagt jedenfalls: "Für uns ist Fußball ein Spiegelbild der Gesellschaft mit all seinen Erscheinungen."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: