Übertritt auf das Gymnasium:"Dann braucht der Direktor einen Schulpsychologen"

Absagen und weinende Mütter: Der 8. Mai ist ein echtes Krisendatum. An diesem Tag schreiben Münchner Eltern ihre Kinder am Gymnasium ihrer Wahl ein. Weil nicht jedes Kind den gewünschten Platz ergattert, kommt es oft zu dramatischen Szenen.

Von Katja Riedel

Der 8. Mai gehört nicht gerade zu jenen Tagen, denen Helmut Seidl mit besonderer Freude entgegenfiebert. Denn es ist eines jener Daten im Kalender eines Münchner Gymnasiums-Direktors, an deren Ende viele unangenehme Gespräche stehen können. Echte Krisengipfel.

Am 8. Mai schreiben Münchner Eltern ihre Kinder an den Gymnasien ihrer Wahl ein. Sie tragen das einzige, heiß ersehnte und mit großen Mühen erarbeitete Übertrittszeugnis in ihre Wunschschule. Und zugleich die große Hoffnung, dass ihr Kind genau dort von September an tatsächlich eine fünfte Klasse besuchen möge. Das Problem: Nicht alle Schulen können jeden Wunsch erfüllen. Helmut Seidl, Direktor des Städtischen Elsa-Brändström-Gymnasiums, bringt es auf den Punkt: "Wenn Sie 25 Eltern absagen, wie ich es schon musste, dann braucht nachher der Direktor einen Schulpsychologen."

Einschreibung für das Gymnasium

Harter Kampf schon bei der Einschreibung für das Gymnasium: Der 8. Mai ist ein echtes Krisendatum.

(Foto: dpa)

Seine Schule ist eine von nur zwei städtischen Ganztagsgymnasien, hinzu kommt ein weiteres staatliches. Wer sich für eine solche entscheidet, tut dies ganz bewusst, viele Alleinerziehende gehören zu den Bewerbern. Menschen also, die die Ganztagsschule brauchen, um ihr Kind trotz Job gut betreut zu wissen. "Diese Mütter weinen am Telefon", sagt Seidl. Und er ist froh, dass er in den vergangenen zwei Jahren keine einzige Mutter trösten, keinem Kind absagen musste, das schon mit großen Augen am Tag der offenen Tür durchs Schulhaus gelaufen war und sich auf die neue Schule gefreut hatte.

14 städtische und 23 staatliche Gymnasien gibt es in München. Hinzu kommen eine städtische Gesamt- und einige kirchliche und private Schulen. Und bisher gab es ein großes Problem: Die Stadt hatte vor gut zehn Jahren aus finanziellen Gründen die Zahl der gymnasialen Eingangsklassen gedeckelt: auf insgesamt 50, mehr gab es nicht. Wer nicht unterkam, der wurde "umberaten": an eine andere, eine staatliche Schule. Die dürfen keine Schüler ablehnen - in der Praxis achten die Ministerialbeauftragten und die Schulleiter selbst jedoch auch dort darauf, dass nicht eine Schule kleine Klassen bietet, während die Nachbarschule aus allen Nähten platzt.

Doch die staatlichen waren gemeinhin voller als die städtischen Gymnasien, die im vergangenen Jahr 145 Schüler von 1549 Fünftklässlern abweisen mussten - trotz Klassengrößen bis zu 32 Schülern. Doch jetzt hat die Stadt völlig überraschend entschieden, in diesem Jahr flexibler sein zu wollen und möglicherweise, so das Raumangebot es zulässt, mehr Klassen zu erlauben. Dort, wo die Anmeldezahlen eine weitere Klasse hergeben, könnte so eine zusätzliche geschaffen werden. Als Begründung nennt die rot-grüne Stadtratsmehrheit in einem eilig gestellten Antrag die hohen Übertrittszahlen.

Zahlen schwanken stark

Im Bedarfsfalle wolle die Stadt zusätzliche Personalausgaben schultern. Hinter vorgehaltener Hand ist zu hören, dass Eltern und Schüler in diesem Jahr, vielleicht einmalig, vom wahlkampfbedingten Gerangel um die Bildungspolitik profitieren könnten. Noch hält sich die Stadt bedeckt, wie flexibel genau man sein will. Doch Insider gehen davon aus, dass in dem ein oder anderen dichter besiedelten Viertel zusätzliche Klassen eingerichtet werden könnten - aber am Ende, trotz allen Bemühens, doch nicht jeder Schüler seinen Erstwunsch bekommt.

Im Osten Münchens könnte dies nötiger sein als im Westen, vermutet Karin Oechslein. Letzteren betreut sie als Ministerialbeauftragte. Mit ihrem Ost-Kollegen gehört sie zu der großen Runde aus staatlichen und städtischen Vertretern, die sich bereits am Abend des 8. Mai im Referat für Bildung und Sport über die frischen Anmeldezahlen beugt: Kein unbedingt schöner, aber ein sehr spannender Moment sei das, voller Überraschungen.

Denn anders, als dies in Elternkreisen kursiert, gebe es weder Trendschulen noch besonders begehrte Ausrichtungen. Die Zahlen schwankten von Jahr zu Jahr stark. Auch das städtische Referat für Bildung und Sport spricht daher von einem "Schweinezyklus". Wer in einem Jahr besonders viele Kinder ablehnen musste, hat im Folgejahr oft weniger Einschreibungen. Schon in jener ersten Runde wird entschieden, an welcher Schule wie viele fünfte Klassen eingerichtet werden, wo es zu viele Kinder gibt und welche Schulen noch andere Kinder aufnehmen könnten. Einziges Kriterium, das über Zuschlag oder Ablehnung entscheidet, sei die Entfernung zum Wohnort, sagt Karin Oechslein.

Schulleiter reden mit Kollegen, auch im Umland, und sie reden mit Eltern. Auf eine Absage reagierten diese sehr unterschiedlich, sagt Oechslein. "Manche sind sehr kooperativ, mit anderen muss man lange diskutieren. Mancher drohe auch mit dem Rechtsweg. Gegen den Willen der Eltern werde kein Kind an eine Schule geschickt, auf die es keinesfalls gehen soll. Das sagt auch Schulleiter Seidl: "Wir zwingen niemanden, der Latein als erste Fremdsprache will, Englisch zu nehmen. Und wir jagen auch kein Kind quer durch die ganze Stadt". Dass sie sich in diesem Jahr, ohne die ganz rigide Deckelung, Hoffnungen machen, sich einige Problemfälle zu ersparen, daraus machen weder Schulleiter noch Ministerialbeauftragte einen Hehl. "Es wird einfacher sein, jetzt zwischen den sehr vollen staatlichen und den städtischen Schulen hin und her zu verteilen", vermutet Oechslein.

Kinder verstehen es oft nicht

Hoffnungen machen sich nun auch Eltern. Für Petra Schäfer (Name geändert) waren der 8. Mai und seine möglichen Folgen seit Monaten das beherrschende Thema. Staatlich? Städtisch? Oder doch privat? Darüber hatte sie sich früher nicht den Kopf zerbrochen. Und plötzlich, zu Jahresanfang, gab es in Elternkreisen kaum mehr anderen Gesprächsstoff. "Dass Pia aufs Gymnasium geht, war von ihren Noten, aber auch von ihrem Typ her klar. Aber wohin?", sagt Schäfer. Die erste Wahl fiel auf das am nächsten gelegene städtische Louise -Schroeder-Gymnasium.

Von ihrer Wohnung in Untermenzing sind es etwas mehr als zwei Kilometer Luftlinie, der Bus fährt dort hin, und Pia könnte auch mit dem Rad fahren, zusammen mit der Freundin. Nah wäre auch das katholische Maria-Ward-Gymnasium. "Aber Pia hat immer gesagt, sie würde lieber nicht auf ein Mädchengymnasium gehen." Der Entschluss stand - bis zum Informationsabend, aus dem die Mutter enttäuscht, die Tochter weinend heraus ging. Denn dort machte man ihr wenig Hoffnung: 50 bis 80 Kinder müsse man ablehnen. Wer weiter als zwei Kilometer Umkreis um die Schule herum wohne, solle sich lieber gleich bei der nächsten staatlichen Schule anmelden. In Moosach.

Deutlich weiter entfernt, keine der Freundinnen geht dort zur Schule. "Das können die Kinder nicht verstehen. Sie reiben sich auf für den Übertritt, haben sich so angestrengt", sagt Schäfer. Sie bekam Angst, die Zügel nicht mehr selbst in der Hand zu halten. Was, wenn Pia an der Traumschule abgelehnt wird? Was, wenn man sie dann verschickt, wie eines der Nachbarkinder, das jeden Tag acht Kilometer nach Pasing pendelt? Sie waren so weit, Pia doch lieber am Maria-Ward-Gymnasium, dem Zweitwunsch, anzumelden, wo man ihr einen Platz reservierte - auf den sie sich aber vor dem magischen 8. Mai festlegen müsste. Etwas hoffnungsfroher sind sie nun, da die Stadt angekündigt hat, vielleicht doch einige Klassen mehr zu bilden. Aber noch ist sich Familie Schäfer nicht ganz sicher, wie sie entscheidet.

Der Pasinger Schulleiter Seidl ist um so eindeutiger darin, was er Eltern rät: "Ich sage immer: Melden Sie ihr Kind dort an, wo Sie sich einen Platz wünschen. Weil es sonst auf keinen Fall dort hin kommt."

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