München:Wenn Kinderkriegen zum Risiko wird

Babyboom in München

Die Geburtenrate entwickelt sich in München gut, für viele Eltern beginnt mit der Schwangerschaft aber ein Kampf um Platz - zum Beispiel in der Geburtsklinik.

(Foto: dpa)
  • Engpässe in Münchner Krankenhäusern: Werdende Mütter werden vereinzelt abgewiesen, weil die Kreißsäle voll sind.
  • Grund für die angespannte Situation ist das fehlende Fachpersonal.
  • Die Stadt hat einen neuen Facharbeitskreis eingerichtet, um die Situation zu verbessern.

Von Inga Rahmsdorf

In Münchens Geburtskliniken kommt es weiterhin zu Engpässen, weil die Kreißsäle überfüllt und die Hebammen überlastet sind. Auch im ersten Halbjahr dieses Jahres wurden schwangere Frauen in Wehen vereinzelt abgewiesen - selbst wenn sie sich angemeldet hatten. Das bestätigt das städtische Referat für Gesundheit und Umwelt (RGU). Grund dafür sei vor allem das fehlende Fachpersonal.

Verunsichert durch die Situation melden sich nun immer häufiger Frauen bei mehreren Kliniken gleichzeitig an, was wiederum die Planungen für die Geburtsabteilungen erschwert. Die Stadt hat reagiert und einen neuen Facharbeitskreis eingerichtet, um die Situation zu verbessern. Doch es fehlen nicht nur Entbindungsplätze. Bei der gesamten Versorgung rund um Schwangerschaft und Geburt gebe es in München besorgniserregende Engpässe, warnen Schwangerschaftsberatungen.

Mit der Schwangerschaft beginnt der Stress

"Sobald eine Frau schwanger ist, sollte sie sich um einen Platz in einer Klinik, eine Nachsorgehebamme und einen Krippenplatz bemühen", sagt Sabine Simon, Leiterin der Schwangerschaftsberatungsstelle des Evangelischen Beratungszentrums (EBZ). "Wir erleben täglich, dass es zu wenig Angebote und sehr viel Überbelegung in vielen Bereichen gibt." Ihre Kollegin Eva Zattler von der Beratungsstelle bei Pro Familia hat beobachtet, dass Schwangere zunehmend unter Stress stehen, weil sie in eine "Mühle aus Mangel und Engpässen" geraten. "Das vermittelt einem das Gefühl, dass man etwas Unpassendes macht, wenn man ein Kind bekommt," sagt Zattler. "Viele Frauen haben den Eindruck, dass sie im Einzelkampf versuchen müssen, die Situation zu regeln."

Hinzu komme der Entscheidungsdruck durch zunehmende Angebote pränataler Diagnostik, die frühe berufliche Planung der Elternzeit, die komplizierten Anträge für das neue Elterngeld Plus oder andere finanzielle Hilfen sowie lange Bearbeitungszeiten bei den Ämtern, sagt Simon. Die Mitarbeiter bei Behörden und bei anderen Einrichtungen würden sich zwar auch sehr bemühen und es gebe gute Kooperationen, doch oft seien sie schlichtweg überlastet.

Stress kann sich negativ auf Mutter und Kind auswirken

Noch schwieriger sei es für Migranten und Flüchtlinge. Und auch für Schwangere, die sich sowieso schon in konfliktreichen Lebenssituationen befinden, weil sie sehr jung, psychisch krank oder obdachlos sind oder unter Gewalt leiden. Manchmal müssten diese Frauen Wochen oder Monate ausharren, bevor sie in eine Mutter-Kind-Einrichtung oder ein Frauenhaus ziehen können, sagt Simon. "Das führt dazu, dass sie von einer Couch zur anderen wechseln oder sogar am Bahnhof übernachten."

Die Engpässe in München sind nicht nur für werdende Eltern, Hebammen, Mitarbeiter in Kliniken und Beratungsstellen belastend, sie können auch weitreichende Folgen haben. Wenn es keine Komplikationen gibt, mag es medizinisch unproblematisch sein, eine Frau in Wehen weiterzuschicken. Hebammen betonen aber, dass sich Stress negativ auf den Geburtsverlauf auswirken kann. "Die Frauen brauchen Sicherheit, um in Ruhe entbinden zu können", sagt Zattler. Zudem gebe es einen Zusammenhang zwischen Personalmangel und der Form der Geburtshilfe, sagt RGU-Sprecherin Katrin Zettler.

Fast alle Kliniken haben Engpässe

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Anfang Juni vor einer dramatischen Zunahme von Kaiserschnitten in Europa gewarnt und betont, dass dieser medizinische Eingriff eigentlich nur bei etwa 15 Prozent der Geburten notwendig sei. Nach Angaben des RGU ist in einigen Münchner Kliniken die Kaiserschnittrate bereits mehr als doppelt so hoch. Und auch laut Bertelsmann-Stiftung kommen 29 Prozent der Kinder in München per Kaiserschnitt zur Welt. Wenn den Hebammen nur noch wenig Zeit für die individuelle Betreuung bleibt und die gebärenden Frauen unter zusätzlichem Stress stehen, kann das auch zu einem Anstieg der medizinischen Eingriffe führen.

Das Gesundheitsreferat hat im vergangenen Januar alle elf Münchner Geburtskliniken zur Versorgungssituation befragt und ist dabei zu einem Ergebnis gekommen, das aufrütteln müsste: Bis auf eine Privatklinik hatten alle Krankenhäuser Engpässe bei der Geburtshilfe gemeldet. Die Stadt hat daraufhin reagiert und unter der Leitung des Gesundheitsreferats einen Facharbeitskreis einberufen. Dass Frauen auch noch in Wehen abgewiesen werden, verlange Sofortmaßnahmen, konstatierten die Ärzte, Hebammen und Mitarbeiter der Schwangerschaftsberatungsstellen bei ihrem ersten Treffen Ende Juli.

Das Fachpersonal fehlt

Die Kliniken einigten sich darauf, sich künftig besser absprechen zu wollen, um doppelte Anmeldungen zu vermeiden und bei Engpässen schwangere Frauen schneller und besser weiter vermitteln zu können. Es solle nicht mehr vorkommen, dass eine Frau an mehr als einer Klinik abgewiesen wird oder sich in Wehen selbst eine suchen muss, so ihr Ziel. Außerdem erwägt der Arbeitskreis eine zentrale Rufnummer für Schwangere einzuführen, zusätzlich zur Rettungsleitstelle Ivena. Der Stadtrat soll sich laut RGU zeitnah mit dem Thema befassen.

Das größte Problem vieler Kliniken ist es jedoch, Fachpersonal zu gewinnen. Der geringen Bezahlung von angestellten Hebammen und Fachkräften für die Neugeborenen-Abteilungen würden in München hohe Lebenshaltungskosten, fehlender Wohnraum und fehlende Kinderbetreuung gegenüberstehen, sagt RGU-Sprecherin Zettler. Hinzu komme eine hohe Arbeitsbelastung. In dem Facharbeitskreis gebe es auch Überlegungen, die Anerkennung ausländischer Abschlüsse auszuweiten und zu verbessern.

Die RGU-Befragung hatte auch gezeigt, dass Kliniken, die mit freiberuflichen Hebammen arbeiten, besser in der Lage sind, bei hohem Andrang die Versorgung zu sichern. Bei vielen Geburten können sie eine bessere Bezahlung erreichen und sich die Zeit besser selbst einteilen. Das Rotkreuzklinikum hat im Jahr 2014 eigenen Angaben zufolge 220 Frauen trotz Anmeldung verlegen müssen. Daraufhin hat die Frauenklinik auch freiberufliche Hebammen aufgenommen. Das hat offenbar geholfen. Es komme nur noch "extrem selten" zu Engpässen, so Nikolaus von Obernitz, leitender Arzt der Geburtshilfe. Nur etwa einmal im Monat könne eine Patientin nicht mehr aufgenommen werden, weil alle Räume belegt seien.

Bleibe gesucht

Ende des Jahres läuft der Mietvertrag aus, wie es dann weitergeht für das einzige Geburtshaus Münchens, ist unklar. Noch haben die Hebammen keine geeigneten Räume gefunden. Allerdings gibt es nun vielleicht eine neue Option. Sie seien derzeit in Verhandlungen mit dem Stemmerhof in Sendling, sagt Susanne Braun, Leiterin des Geburtshauses. "Das wäre eine tolle Option für uns. Allerdings ist noch nichts in trockenen Tüchern." Die Hebammen hatten sich im vergangenen Jahr mit einem Hilferuf an die Öffentlichkeit gewandt, weil ihr Vermieter Eigenbedarf angemeldet hatte. Dann kam die Idee auf, das Geburtshaus bei den Sanierungsplänen für die Klinik in Schwabing einzubeziehen. Das sei ihnen auch angeboten worden, so Braun. "Aber wir haben leider nicht die Zeit." Schließlich laufe ihr Mietvertrag im Dezember aus, und bis dahin wird wohl die Umstrukturierung des Klinikums nicht abgeschlossen sein. In dem Geburtshaus, das seit 1994 in München eine Alternative zu Klinik und Hausgeburt bietet und in dem 13 Hebammen arbeiten, sind 2014 250 Kinder zur Welt gekommen. inra

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: