Widerstand gegen Paternoster-Verbot:Geliebter Kreisverkehr

Schmuckbild. Paternoster

Rauf und runter: Der Paternoster im Planungsreferat an der Blumenstraße ist der einzige öffentlich zugängliche in München.

(Foto: Sonja Marzoner)

Der Paternoster ist vom Aussterben bedroht, weil ihn die Bundesregierung für zu gefährlich hält. In München wollen Aktivisten die offenen Lifte nun retten - die Erfolgsaussichten stehen nicht schlecht.

Von Alfred Dürr

Er war nicht nur ein beliebtes Transportmittel, sondern auch eine nostalgisch anmutende Attraktion: der sanft vor sich hinrumpelnde Paternoster-Aufzug im ehemaligen Redaktionsgebäude der Süddeutschen Zeitung an der Sendlingerstraße. Man erinnert sich auch an den Schreck, der unkundigen Besuchern im Gesicht stand, wenn man sie vor dem Einstieg in eine der offenen und sich ständig in Bewegung befindlichen Kabinen warnte: Aufgepasst, im obersten Stockwerk festhalten, man wird ja nach dem Wendemanöver kopfüber wieder nach unten fahren - der Paternoster als Abenteuer.

Das war natürlich Unsinn. Die Fahrt in der letzten Etage oben rüber oder im Keller unten durch ist im Prinzip ungefährlich. Die Kabine wird nicht umgedreht, sondern im Rahmen des permanenten Kreisverkehrs lediglich in die neue Fahrtrichtung umgesetzt.

Ein ähnliches Prinzip wie beim Rosenkranz

Aber dann der merkwürdige Name für einen Aufzug. Die Bezeichnung Paternoster - sie kommt aus dem Lateinischen und bedeutet "Vater unser" - erinnert daran, dass die im Kreis laufenden Kabinen nach einem ähnlichen Prinzip funktionieren wie die Perlen eines Rosenkranzes, die beim Beten durch die Finger wandern.

Paternoster-Fahren ist Fortkommen auf besondere Art. Man muss sich zwar ein bisschen konzentrieren, um den richtigen Zeitpunkt des Ein- und Aussteigens in die vorüberziehenden Kabinen nicht zu verpassen. Aber keine Tür schließt sich, das Gefühl eines beengten Raums, wie manchmal sonst in den üblichen Aufzügen, stellt sich erst gar nicht ein. Ohne lange Wartezeiten geht es geruhsam von Stockwerk zu Stockwerk. Für manchen Redaktionskollegen stellte der Paternoster sogar ein wunderbares Entspannungsmittel dar: einfach ein paar Runden gedreht und die akute Schreibhemmung war weg.

Noch gibt es offene Lifte

Diesen Umlauf-Aufzug gibt es seit Jahren nicht mehr. Die SZ ist in ihr Hochhaus mit schnellen und computergesteuerten Liften umgezogen. Völlig ausgestorben ist der Paternoster in München allerdings nicht. Im Deutschen Patentamt, im Polizeipräsidium, in einem Kontorhaus der Großmarkthalle, in Bürogebäuden oder etwa ganz öffentlich auch im historischen Hochhaus des städtischen Planungsreferats an der Blumenstraße sind die offenen Lifte noch vorhanden.

250 Paternoster

gibt es derzeit etwa noch in Deutschland - gegenüber 350 000 Aufzügen. 1885 ist der erste Paternoster in Hamburg in Betrieb genommen worden. Seit 1974 ist der Neubau in Deutschland aus Sicherheitsgründen gesetzlich verboten, die Benutzung soll jetzt nur noch nach Einweisung erlaubt sein.

Allerdings ist das Drehen von Runden zum Problem geworden. Anfang Juni ist eine neue Verordnung der Bundesregierung zur Betriebssicherheit von Paternostern in Kraft getreten. "Personen-Umlaufaufzüge" dürfen demnach nur noch von eingewiesenen Beschäftigten benutzt werden. Wer also keinen "Paternoster-Führerschein" besitzt, kann nicht mehr fahren. Im Hochhaus an der Blumenstraße, das vor allem auch wegen des Paternoster-Erlebnisses einen Besuch lohnt, müssen die Kabinen erst einmal still stehen. "Medien aus dem In- und Ausland haben sich bei uns gemeldet, um darüber zu berichteten. Das Interesse war riesengroß", berichtet Referatssprecher Thorsten Vogel.

Manche zucken freilich mit der Schulter: Der Verzicht auf solch altertümlich anmutende Transportmittel schränke doch nicht die Lebensqualität ein. Doch mit Nostalgie allein hat die Aufregung nichts zu tun. Die Stadt setzt sich für den Paternoster ein, "weil er für die Erschließung des Gebäudes und den ordnungsgemäßen Dienstbetrieb weiterhin unabdingbar ist", heißt es in einer Mitteilung. Neben der reinen Funktion zum schnellen Erreichen der elf Stockwerke des Hochhauses gehöre der Paternoster einfach zu diesem Denkmal-Gebäude. Es sei in der Öffentlichkeit deshalb so beliebt, weil es solche Aufzüge kaum noch gebe und die Fahrt damit für die Besucher ein Erlebnis sei.

Schon 1994 gab es Widerstand gegen ein Verbot

Das Bundesarbeitsministerium hat die Benutzungseinschränkung eingeführt, weil es in der Vergangenheit zu schweren Unfällen mit Paternostern gekommen sei und die Sicherheit gewährleistet werden müsse. Bereits 1994 sollten alle Anlagen stillgelegt werden. Doch das führte gerade in München zu massiven Protesten. Die Freunde des Paternosters organisierten sich im "Verein zur Rettung der letzten Personenumlaufaufzüge" mit der damaligen Stadtbaurätin Christiane Thalgott an der Spitze.

Der Widerstand hatte Erfolg, das Verbot wurde wieder aufgehoben. Christiane Thalgott ist seit einigen Jahren in Ruhestand, ihre Nachfolgerin Elisabeth Merk setzt sich im Verein weiter für den Erhalt des Paternosters ein. Auch Cornelius Mager, der Chef der Lokalbaukommission, die für die Baugenehmigungen in der Stadt zuständig ist, ist mit dabei. "Schauen Sie sich doch die steilen Rolltreppen zu den U-Bahn-Höfen an", sagt Christiane Thalgott, "verlangt da vielleicht jemand einen Rolltreppen-Führerschein?"

Paternosterfahren als "Mutprobe"

Die Unfälle mit Paternostern will sie nicht kleinreden, aber, so argumentiert auch Cornelius Mager, Gefährdungen könne man in vielen Bereichen des Lebens nicht ausschließen. Personen seien im Hochhaus des Planungsreferats beim Fahren mit dem Paternoster nicht zu Schaden gekommen. Nun will man Vorschläge erarbeiten, wie Paternoster doch noch gerettet werden können - vielleicht mit speziellen Sicherheitsschildern an den Aufzügen. "Es ist unglaublich", empört sich Paternoster-Fan Hanne Bredschneijder aus Landsberg und richtet ihren Unmut gegen das Arbeitsministerium: "Da ist mal wieder jemand auf Problemsuche gegangen."

Seit ihrer frühesten Kindheit in den Fünfzigerjahren kenne sie den Paternoster im Hochhaus an der Blumenstraße. Ihr Vater habe im obersten Stockwerk gearbeitet: "Ihn besuchen hieß für mich Paternosterfahren mit Obenrum als Mutprobe." Wenn sie in ihre Heimatstadt komme, könne sie es sich nicht verkneifen, ein paar Runden zu drehen - "und ich freute mich, dass niemand was dagegen hat". Für Leute wie sie sei der Paternoster zwar gar nicht vorgesehen, aber vielleicht könne sie nun ein paar unkundige Beschäftigte einweisen und die Anlage dürfe dann wieder starten . . .

Auch in anderen Städten ist die Empörung riesengroß. Das ist bei Arbeitsministerin Andrea Nahles angekommen. Man arbeite an Lockerungsregelungen für das Fahrverbot, die trotzdem die Sicherheit der Anlagen gewährleisteten: "Aufgrund der vielen Wortmeldungen dazu, gehe ich davon aus, dass das schnell umgesetzt wird." Bis dahin steht der Paternoster im Technischen Rathaus still.

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