Überblick:Fall erledigt

Polizeiinspektion am Hauptbahnhof in München, 2011

Eine Dolmetscherin verließ 2011 die Polizeiwache am Hauptbahnhof mit massiven Verletzungen

(Foto: Stephan Rumpf)

Auf Du und Du: Immer wieder treffen mutmaßliche Täter auf milde Kollegen und Staatsanwälte - die Justizbehörden weisen Vorwürfe scharf zurück

Von Bernd Kastner

In diesem "Du" bündelt sich die Kritik wie im Brennglas. Da ermitteln Polizisten gegen einen Polizisten, weil dieser beim Zugriff seines Spezialeinsatzkommandos (SEK) beinahe einen Unbeteiligten getötet hätte. Es gilt zu klären, ob sich der Polizist des versuchten Totschlags schuldig gemacht hat. Und was tun die ermittelnden Polizisten, als sie zwei Kollegen des Beschuldigten als Zeugen befragen? Sie duzen sich in der offiziellen Vernehmung und bringen es auch so zu Protokoll. Dieses "Du" hat Symbolcharakter. Für jene, die vermuten, dass Polizisten von Ermittlern sanfter angefasst werden als "normale" Bürger, ist es Sinnbild für eine zu große Nähe bei internen Ermittlungen. Dieser wiederkehrende Vorwurf wird von den zuständigen Behörden ebenso regelmäßig empört zurückgewiesen: Justizministerium, Staatsanwaltschaft, Polizeipräsidium wehren sich gegen solche "Unterstellungen". Vorwürfe gegen Polizisten und Justizbedienstete "werden sehr ernst genommen", betont das Ministerium.

Seit 2013 sind die internen Polizeiermittler beim Landeskriminalamt (LKA) angesiedelt, und dort war man entsetzt, als man vom Duzen erfuhr: So etwas dürfe nie wieder passieren, lautet die Anweisung, das "Sie" sei Pflicht. Im Münchner Polizeipräsidium dagegen versteht man die Aufregung nicht so recht: Sie? Du? Egal! Polizisten duzten sich halt nun mal, warum also nicht auch bei einer Vernehmung?

Trotz aller Beteuerungen, immer wieder liefern Polizei- und Justizbehörden ihren Kritikern Anlass für die Frage, ob in eigener Sache wirklich sorgfältig ermittelt werde. Ein kurzer Rückblick:

Beeindruckt: Nach der versuchten Blockade eines Nazi-Aufmarschs 2012 wird ein linker Demonstrant angeklagt und in erster Instanz verurteilt wegen Widerstands gegen Polizisten. Grundlage ist das Polizeivideo einer Rangelei, die Ermittler haben die entscheidenden Sekunden intensiv studiert - und Wichtiges übersehen. Erst in zweiter Instanz erkennt eine Richterin am Landgericht, dass ein Polizist mindestens zweimal mit der Faust gegen den verurteilten Demonstranten geschlagen hat, was "nicht rechtmäßig" sei. Erst jetzt ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen diesen Beamten, stellt das Verfahren aber bald ein: Die Schuld sei geringfügig. Zwar habe der Demonstrant Schmerzen erlitten, aber ein öffentliches Interesse an einer Strafverfolgung gebe es nicht. Außerdem sei anzunehmen, dass den Beamte bereits die Ermittlungen "nachhaltig beeindruckt" hätten, "so dass keine weiteren strafrechtlichen Maßnahmen" nötig seien.

Wehrlos: Der Fall von Teresa Z. lässt Anfang 2013 sogar den Innenminister umschwenken. Ein Beamter hat der jungen gefesselten Frau in einer Zelle in der Au mit einem Faustschlag Nasenbein und Augenhöhle gebrochen, Kollegen waren Zeugen. Anstatt selbst interne Ermittler einzuschalten, wird die Frau angezeigt, wegen Widerstands, Beleidigung und - weil sie den Polizisten angespuckt hatte - Körperverletzung. Die zuständigen internen Ermittler im Präsidium München erfahren von dem Vorfall erst, als Z. fünf Tage später ihrerseits Anzeige erstattet. Der Fall hat nicht nur für den Beamten Konsequenzen, der zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt wird. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) entzieht dem Münchner Präsidium die internen Ermittlungen und siedelt sie beim Landeskriminalamt an.

Grundlos: Eine 59-jährige Dolmetscherin soll 2011 auf der Wache im Hauptbahnhof für rumänische Bauarbeiter übersetzen - und verlässt die Inspektion Stunden später mit Schädelprellung, Verstauchungen, Schleudertrauma, Hämatomen. Die Beamten sagen, die Frau habe sich geweigert, ihre Personalien anzugeben, weshalb unmittelbarer Zwang nötig gewesen sei, und dann sei die Frau selbst gegen eine Wand gelaufen, deshalb die Verletzungen. Sie sagt, sie sei grundlos misshandelt worden. Die Ermittlungen gegen die Polizisten werden eingestellt, die Frau wird angeklagt wegen Körperverletzung: Sie soll einen Polizisten an der Hand gekratzt haben. Ein Richter stellt das Verfahren gegen sie ein wegen geringer Schuld.

Vergessen: Ein Münchner zahlt seine Geldstrafe nicht und muss deshalb 2013 eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten. Unmittelbar danach überweist ein Freund für ihn 550 Euro an die Justizkasse, nun müsste der Mann sofort entlassen werden. Wird er aber nicht, die Justiz vergisst ihn in Stadelheim. Trotz mehrmaliger Mahnung des Freundes bleibt der Mann inhaftiert, offenbar elf Tage zu lang. Verantwortlich für diese Panne ist die Staatsanwaltschaft München I als Strafvollstreckungsbehörde, im Raum steht der Verdacht der Freiheitsberaubung. Es ermittelt die Staatsanwaltschaft - gegen sich selbst. Ein erstes Verfahren wird eingestellt, ohne dass man einen womöglich Verantwortlichen identifiziert. Erst in der zweiten Runde wird ein Rechtspfleger ermittelt, der womöglich geschlampt hat. Wenig später die zweite Einstellung, es sei kein Vorsatz erkennbar, und nur dann ist Freiheitsberaubung strafbar. Der Anwalt des zu Unrecht Inhaftierten fordert, dass eine andere Staatsanwaltschaft ermittelt. Doch die Münchner Ermittler halten sich für unbefangen und ermitteln weiter gegen sich selbst.

Couragiert: Ein Beamter der Verkehrspolizeiinspektion Verkehrsüberwachung macht den Mund auf und meldet 2013 seinem Chef mutmaßliche Tricksereien zweier Kollegen: Sie sollen bei Alkoholkontrollen die Anhaltestelle in den Akten manipuliert haben. Anstatt darüber die Staatsanwaltschaft oder Landeskriminalamt zu informieren, bleiben die Ermittlungen im eigenen Hause: Die Disziplinarabteilung des Präsidiums prüft. Konsequenz für die beiden Beamten: eine Belehrung. Wohl nur durch Zufall erfährt ein Richter von dem Vorwurf und informiert seinerseits die Staatsanwaltschaft. Die eröffnet ein Ermittlungsverfahren, wenige Tage, nachdem das Präsidium alles für erledigt erklärt hatte.

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