Uberschwemmungen:Nassbauweise

Bei der Ausweisung neuer Baugebiete spielte der Hochwasserschutz lange Zeit keine große Rolle. Jetzt schiebt der Freistaat einen Riegel vor. Kommunen wie Gröbenzell stellt das vor Probleme

Von Gerhard Eisenkolb

Normalerweise ist der Gröbenbach ein harmloses Rinnsal, das sich durch die Münchner Schotterebene schlängelt. Nach Dauer- oder Starkregen aber kann er innerhalb kurzer Zeit zu einem reißenden Fluss anschwellen, der binnen Stunden einen großen Teil der Gemeinde Gröbenzell unter Wasser setzt. An solchen Tagen wird den Gröbenzellern bewusst, dass sie in einem Überschwemmungsgebiet leben. Ihre Häuser stehen großteils in einem trockengelegten Moos- und Moorgebiet. Weil es hier aber keine geschützten Bereiche gab und die Grundstücke einmal billig waren, wurde das Bauen im Überschwemmungsgebiet in Gröbenzell ebenso wie in der Nachbargemeinde Eichenau zur Regel. Ähnlich sorglos ging man auch in anderen Kommunen der Region mit den wasserrechtlichen Bestimmungen um.

Doch jetzt hat das zuständige Landratsamt Fürstenfeldbruck etwa zwei Drittel der bebauten Fläche von Gröbenzell und etwa 60 Prozent von Eichenau als Überschwemmungsgebiete vorläufig gesichert. Das sind die Bereiche, in denen ein hundertjährliches Hochwasserereignis zu erwarten ist. Damit sind die Kommunen zum Handeln gezwungen. Die Zeiten, in denen die Retentionsflächen von Gewässern wie dem Gröbenbach von Jahr zu Jahr durch Versiegelung abnahmen, sind vorbei. Wer im Überschwemmungsgebiet bauen will, benötigt nun eine wasserrechtliche Genehmigung. Und nur noch in genau geregelten Ausnahmefällen können dann neue Baugebiete in Bauleitplänen ausgewiesen oder Bauvorhaben genehmigt werden, ansonsten gilt Bestandsschutz.

Welche Folgen der Bauboom im Moos hat, wissen die Bewohner seit dem Juni-Hochwasser 2013. Damals fielen in drei Tagen 130 Millimeter Regen pro Quadratmeter. Aus harmlosen Bächen wurden reißende Gewässer, die in Wechselwirkung mit dem stark gestiegenen Grundwasser in Bereichen, in denen es zuvor nie Überschwemmungen gegeben hatte, Wohngebiete und Keller großflächig unter Wasser setzten. Obwohl das Wasser in der Münchner Schotterebene nur zehn bis 50 Zentimeter hoch stand, waren die Schäden beträchtlich. Danach schufen die Kommunen für die Feuerwehren ein paar zusätzliche Pumpen an sowie mobile Schutzsysteme, um zu verhindern, dass die Bäche über die Ufer treten. Gelöst wurde das Hochwasserproblem damit aber nicht, es wurde nur verlagert auf Gegenden und Menschen, die in Fließrichtung abwärts bis nach Passau hinab an Flüssen wohnen.

Diese Baupolitik nach dem Sankt-Florians-Prinzip soll nun ein Ende haben durch die für ganz Bayern vorläufig gesicherten Überschwemmungsgebiete. Das ist nicht etwa eine Konsequenz aus den Katastrophen im Freistaat der vergangenen Jahre, sondern die längst fällige Umsetzung der europäischen Hochwasser-Risikomanagement-Richtlinie. Wer nun in einem festgesetzten Überschwemmungsgebiet bauen will, benötigt dafür auch eine wasserrechtliche Genehmigung. Die soll sicherstellen, dass der bebaute Grund die gleiche Wassermenge aufnehmen kann wie in unbebautem Zustand. Bauhindernisse dürfen den Ablauf des Wassers nicht verhindern. Nicht einmal das Ablagern von Gegenständen ist in diesen Bereichen gestattet. Selbst Bäume und Sträucher dürfen nur gepflanzt werden, wenn sie dem Hochwasserschutz nicht im Weg stehen. Ausgleichsmaßnahmen sollen bevorzugt auf dem jeweiligen Baugrundstück selbst erfolgen, beispielsweise durch Mulden, die genau die Wassermenge aufnehmen, die der Baukörper bei einer Überflutung verdrängen würde. Wenn das, wie etwa in einem großen Teil von Gröbenzell, wegen des hohen Grundwasserstands nicht möglich ist, muss der Ausgleich auf anderen Flächen nachgewiesen werden.

Die Überschwemmungsgebiete wurden zuvor von den Wasserwirtschaftsämtern ermittelt und kartiert. In München wurden solche Bereiche an der Isar, am Hachinger Bach und an der Würm vorläufig gesichert beziehungsweise per Verordnung festgesetzt, im Landkreis Dachau beispielsweise bei Bergkirchen, wo die Maisach in die Amper mündet, im Landkreis Erding an der Sempt. Auch im Landkreis Freising ist der Hochwasserschutz seit 2013 ein Schwerpunkt. Dort werden drei große Vorhaben zum Rückhalt der Fluten verwirklicht, außerdem sind nicht nur an den Flüssen Isar und Amper, sondern auch an kleineren Gewässern wie Abens oder Moosach Überschwemmungsgebiete gesichert worden.

Damit holt der Freistaat nur Versäumtes nach: Schon in den Achtzigerjahren hätten Wasserwirtschaftsamt und Regierung von Oberbayern gefordert, Planungen zur Hochwasserfreilegung von Gröbenzell umzusetzen, erinnert sich der Zweite Bürgermeister der 20 000-Einwohner-Gemeinde, Martin Runge von den Grünen. Das wusste auch das Landratsamt. Trotz der Drohung, der Gemeinde ansonsten weder die Ausweisung von Baugrund noch den Bau neuer Straßen zu genehmigen, geschah nichts, es wurde fleißig weiter gebaut. Dass die nun gesicherten Überschwemmungsgebiete mit den Karten des Wasserwirtschaftsamts identisch sind, auf deren Grundlage damals Hochwasserschutz gefordert wurde, ist kein Zufall.

Solche Überschwemmungsgebiete seien der natürliche Zustand, sie seien schon da und würden nicht erst geplant, sagt Sylva Orlamünde, Leiterin des Wasserwirtschaftsamts München. Sie rät deshalb jedem, sich vor dem Kauf eines Grundstücks zu informieren, wie "hochwassersicher" es ist. Dazu gibt es einen "Informationsdienst Überschwemmungsgefährdete Gebiete", dessen Karten im Internet zu finden sind (www.iug.bayern.de). Orlamünde weiß, dass gerade nach den jüngsten Hochwasserereignissen in Simbach oder Polling die Bevölkerung sensibilisiert ist. Ihre Behörde hat aber oft genug erfahren müssen, dass Warnungen in Sachen Hochwasser bei Gemeinden als Schwarzmalerei abgetan wurden. Sie wollen wachsen und deshalb bauen.

Gröbenzell steht nun vor einem Problem, auch bei einem eigenen Großprojekt: Die Gemeinde verfügt über Flächen von gut 10 000 Quadratmetern, auf denen sie ein neues Ortszentrum mit Läden, Büros, sozialen Einrichtungen und Wohnungen plant. Da die Grundstücke jetzt im Überschwemmungsgebiet liegen, gilt das Vorhaben wasserschutzrechtlich als bedenklich. Auf diese neue Situation müssen sich auch viele Privateigentümer einstellen. Im Brucker Landratsamt will man das Bauen aber weiterhin ermöglichen und nicht verhindern, wie eine Sprecherin versichert. Gabriele Merz, im Wasserwirtschaftsamt für den Kreis Fürstenfeldbruck zuständig, hält das auch für möglich. Dazu sei aber Kreativität gefragt. Mit Häusern ohne Keller und auf niedrigen Stelzen zum Beispiel wären viele Probleme zu lösen. Um den Preis allerdings, dass das Bauen teurer wird.

Einen anderen Weg beschreiten die Gemeinden Pförring und Münchsmünster im Landkreis Pfaffenhofen: Sie klagen derzeit vor dem Verwaltungsgericht gegen die vorläufige Sicherung eines Überschwemmungsgebiets an der Donau, wo ein Flutpolder zum Hochwasserschutz geschaffen werden soll.

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