Rolltreppen:Links gehen, rechts stehen - und Stress dazwischen

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Vor allem bei langen Rolltreppen wie am Marienplatz empfehlen Experten, dass alle Passagiere stehenbleiben. (Foto: Florian Peljak)

Das ungeschriebene Gesetz wird unterschiedlich ausgelegt. Eine Typologie der Rolltreppen-Fahrer.

Von Andreas Schubert

London macht es gerade vor: In der U-Bahn-Station Holborn ist die alte Rolltreppen-Regel "Links gehen, rechts stehen" für ein halbes Jahr offiziell außer Kraft gesetzt. Der Gedanke dahinter: Wenn die Passagiere auf der Rolltreppe grundsätzlich auf beiden Seiten stehen, verteilen sich die Verkehrsströme besser und werden insgesamt flüssiger. Ob sich die Annahme bewahrheitet, wird nach dem Modellversuch ausgewertet.

Nun ist der Andrang in U- und S-Bahn in München zwar deutlich geringer als in London. Während die Münchner Verkehrsgesellschaft MVG von einer Gesamtpassagierzahl von 566 Millionen vergangenes Jahr spricht, fuhren allein mit der Londoner Underground 1,3 Milliarden Menschen.

Wer sich über überfüllte Bahnen und Busse ärgert, der braucht sich nur zu denken: Es geht also noch voller. Dennoch hat auch die MVG, zuständig für 771 "Fahrtreppen", wie es im Beamtendeutsch so schön heißt, die Regel vor 15 Jahren abgeschafft, ebenso wenig gilt sie in Kaufhäusern und auch nur teilweise bei der Bahn, wo es lediglich heißt: rechts stehen - von links gehen ist nicht die Rede, also ist das Auslegungssache.

London
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Die meisten Rolltreppen betreibt die MVG. "Der Hinweis wurde hauptsächlich aus Sicherheits- und Haftungsgründen entfernt", teilt MVG-Sprecher Matthias Korte mit. Es bestehe "das Risiko, dass rücksichtslose ,Geher' stehende Fahrgäste anrempeln. Im Übrigen gehen auch wir davon aus, dass sich die Beförderungskapazität zumindest bei längeren Rolltreppen besser ausnutzen lässt, wenn die Fahrgäste auf allen Stufen nebeneinander stehen und den vorhandenen Platz damit voll ausnutzen."

Etwa 150 Unfälle passieren jährlich auf Münchens Rolltreppen - beim Stehen und Laufen. Es liege "in der Natur der Sache, dass man beim Gehen auf einer Rolltreppe einem tendenziell höheren Unfallrisiko ausgesetzt ist als beim Stehen, zumal sich viele Geher nicht mal am Handlauf festhalten", sagt Korte.

Doch nach wie vor gilt "Links gehen . . ." als ungeschriebenes München-Gesetz. Wer sich partout nicht daran halten will, bekommt so einiges zu hören, wie vor ein paar Jahren eine Studie bewies, bei der sich die Probanden absichtlich links hinstellten. Man muss aber kein Soziologe sein, um verschiedene Stereotypen von Rolltreppenfahrern in München auszumachen. Da reicht es schon, mal ein bisschen genauer hinzuschauen, neben wem man da so täglich unterwegs ist. Eine (nicht ganz vollständige) Typologie der häufigsten Rolltreppennutzer:

Die Sprinter

Sehr häufige Kategorie in München. Sie sind notorisch spät dran. Häufigstes Outfit sind Business-Klamotten, in denen meistens Männer stecken. Am Montagmorgen müssen sie dringend die U-Bahn erreichen, damit sie nicht zu spät zum Meeting kommen, am Freitagabend sprinten sie die Rolltreppen rauf und runter, weil das Wochenende ja nicht früh genug anfangen kann.

Die Sprinter sind Zeitoptimierer, die sich möglichst kurz mit schnöder Fortbewegung aufhalten wollen. Die Zeit im U-Bahnhof wird schließlich nicht bezahlt. Dass man sich einfach ein paar Minuten früher auf den Weg machen könnte, kommt den Sprintern nicht in den Sinn. Das widerspräche ihrem Prinzip der Zeitoptimierung. Es kann lustig sein, sich ihnen in den Weg zu stellen und sich über die vor Ärger roten Köpfe zu freuen. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass es dazu gar nicht kommt, weil man im Zweifel einfach rüde auf die Seite geschoben wird.

Die Lastenträger

Zu dieser Kategorie gehören unter anderem Reisende, die mit großen Koffern unterwegs sind, und Menschen, die in der Stadt einen Großeinkauf erledigt haben und entsprechend üppig mit Taschen bepackt sind. Sie zählen zu den unbeliebtesten Rolltreppenbenutzern - völlig zu Unrecht, denn sie machen vieles richtig.

Erstens halten sie sich schon mal an die sicherere Variante, eben nicht auf der Rolltreppe zu gehen, sondern einfach stehend auf- oder abwärts zu fahren. Zweitens sollten sie Vorbild für jene Autofetischisten sein, die es als Zumutung betrachten, auch mit einem kleinen Einkaufssackerl in öffentliche Verkehrsmittel zu steigen. Es geht auch umweltfreundlicher, wie die Lastenträger beweisen - also bitte nicht schelten.

Die Rechthaber

Der Rechthaber kennt, wie der Name schon suggeriert, seine Rechte. Und so weiß er ganz genau, dass ein "Linksgeh-Gesetz" nirgendwo schwarz auf weiß geschrieben steht. Der Rechthaber, der oftmals das Rentenalter schon erreicht hat, steht also gerne links und wartet nur darauf, angesprochen zu werden. Ob man ihm höflich oder unfreundlich begegnet, spielt dabei überhaupt keine Rolle - ins Dozieren gerät er allemal. Und das kostet Zeit.

Die Touristen, Variante 1

Sie sind oft in größeren Gruppen unterwegs und stammen nicht selten aus Gegenden, in denen es keine U-Bahnen, sondern allerhöchstens Kaufhausrolltreppen gibt - und auf denen wird in der Regel beidseitig gestanden. Sie haben die Ruhe weg - ist ja Urlaub - und weder kennen sie das Links-Gehen-Gebot, noch wissen sie, dass ein dezentes "Entschuldigung" als Hinweis gilt, dass man gerne vorbei will.

Böse kann man ihnen nicht sein, höchstens dann, wenn man a) wegen der Rolltreppenblockade die Bahn und dadurch ein Meeting oder den zeitigen Einstieg ins Wochenende verpasst oder b) sie einen beim Einsteigen an der U-Bahn selber unsanft zur Seite drängen, damit die Gruppe zusammenbleibt. Verschärfte Subvariante: angesoffene Fußballfans.

Die Touristen, Variante 2

Sie kommen selber aus einem Habitat für Rolltreppensprinter, vulgo Großstadt - entsprechend kennen sie sich mit den Regeln aus. Entweder stehen sie brav rechts und lassen die Sprinter vorbei oder sie hetzen selber links entlang. Der überbreite Traveller-Rucksack, mit dem sie Stehende zuweilen auf den in München maximal einen Meter breiten Fahrtreppen anrempeln, kann dabei zum Problem werden. Ob man das flüchtig hingehauchte "sorry" als Entschuldigung annimmt, hängt auch von der Wucht der Rempelei und der eigenen Leidensfähigkeit ab.

Die Links-Geher, dann Steher

Kurz: LGDS. Eine nicht ganz so häufige, aber auffällige Spezies der Rolltreppennutzer, die gerne links die Treppen entlanghetzt, dann aber ein paar Meter vor dem Ziel abrupt stehen bleibt. Eine Subspezies der LGDS sind die Orientierungslosen, die erst nach dem Verlassen der Rolltreppe zum Stillstand kommt, ist vor allem in Kaufhäusern anzutreffen. Stoßzeiten, etwa am Wochenende, bekommen da immer wieder eine wortwörtliche Bedeutung.

Die Gelassenen

Werden immer seltener, da Menschen, die wirklich viel Zeit haben und die man eigentlich bei den Gelassenen vermuten würde, eher zu den Rechthabern überlaufen oder Touristen sind. Zur Gruppe der Gelassenen würde man sich gerne selber zählen. Morgens einfach im Schlendertempo zur Rolltreppe und dann gemütlich in U- oder S-Bahn steigen, ganz ohne Stress.

Es gibt solche Leute, die so wohl organisiert und immer rechtzeitig aufgebrochen sind, dass sie es den Weg zur Arbeit oder sonstwo hin gemütlich hinter sich bringen, ohne Laufen und Drängeln. Und wenn sie doch mal die Treppe hochsteigen, dann nur als sanfte sportliche Betätigung oder weil es ihnen zu blöd ist, sich in die lange Schlange der Rechtssteher am Anfang der Rolltreppe einzureihen.

© SZ vom 30.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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